Leander Haußmann zu "Ein Sommernachtstraum": "Genial lässt Shakespeare die Figuren tanzen"

„Man muss doch nach vorne gucken!“ Leander Haußmann mag es nicht, wenn Regisseure bei den Proben stets ins Buch schauen. Bei „Ein Sommernachtstraum“ könnte er „den ganzen Tag zusehen“.
„Man muss doch nach vorne gucken!“ Leander Haußmann mag es nicht, wenn Regisseure bei den Proben stets ins Buch schauen. Bei „Ein Sommernachtstraum“ könnte er „den ganzen Tag zusehen“.(c) Alexander Heinl / dpa / picturedesk.com
  • Drucken

Der Regisseur Leander Haußmann inszeniert "Ein Sommernachtstraum" am Burgtheater. Im Interview erklärt er, was ihn daran derart fasziniert. Er gesteht, dass er sich nicht der Avantgarde zugehörig fühlt, verzaubert werden will und gern bei Proben lacht.

Die Presse: Sie haben William Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“ bereits mehrmals inszeniert. Demnächst gibt es die Premiere am Burgtheater. Ist das immer wieder ein neues Stück für Sie?

Leander Haußmann: Shakespeares komplexe Art des Erzählens liefert immer neue Ansatzpunkte. Sachen, die ich in den bisherigen „Sommernachtstraum“-Inszenierungen nicht gesehen habe, werden wichtig. Mit Sicherheit hat dieser neue Blickwinkel auch mit meiner Lebenserfahrung zu tun, und der „Sommernachtstraum“ ist so etwas wie mein ständiger Begleiter, den werde ich sicher noch ein paar Mal inszenieren. Ganz anders als zum Beispiel „Romeo und Julia“, dazu habe ich alles gesagt.

Was ist also das Neue für Sie am Drama „Ein Sommernachtstraum“, das Sie doch inzwischen sehr gut kennen?

Es ist wie diese russischen Puppen, in denen viele weitere Puppen drin sind. Auslöser für die Inszenierung war ein Treffen mit Edward Bond. Ich wollte ein Stück von ihm machen, er sah sich meine Weimarer Inszenierung des „Sommernachtstraums“ an, die ihm allerdings überhaupt nicht gefiel. Bond meinte, es gehe zu Beginn des Stücks nicht nur um eine fröhliche Hochzeitsverkündung, sondern um Strafe in größtmöglicher Konsequenz, wenn man sich gegen den Herrscher stellt. Das hat mich beschäftigt, weil wir diese Form von Unterdrückung und Unter-Strafe-Stellen heute immer noch so erleben, in autoritären und leider zunehmend auch in vermeintlich demokratischen Ländern.

Was ist Ihre erste Erinnerung ans Stück?

Für mich ist meine erste Erfahrung mit dem Theater viel prägender. Mein Großvater war Schauspieler am Berliner Ensemble, ein Mann mit dicken Augenbrauen und schlohweißem Haar. Er hat mit Hingabe kleine Rollen gespielt. Als Kind habe ich ihn am BE in Sean O'Caseys „Purpurstaub“ gesehen, eine Modellinszenierung, die mehr als zehn Jahre lief. Ausgerechnet am Brecht-Theater mit seinem Obernaturalismus wurde ich von diesem liebevoll inszenierten Drama verzaubert. Später habe ich das andere Extrem kennengelernt, Stücke von Heiner Müller, mit dem ich später viel gearbeitet habe. Sein „Macbeth“ zum Beispiel war düster, grau, streng. Ich habe in meiner Jugend nicht verstanden, warum das die Leute so begeisterte, heute mag ich das auch, aber ich sehne mich immer wieder zurück zu meinen ersten magischen Theatermomenten als Zuschauer.

Ist das eine Kritik an der Avantgarde?

Es ist mir zu pauschal, gegen sie zu hetzen, aber ich habe mich nie dazugehörig gefühlt. Deshalb habe ich mich wohl immer sehr gut mit Peymann, Bondy, Zadek und Stein verstanden. Wenn ich Lust auf opulente historische Ausstattungen habe, mache ich es eben, egal, was gerade im Feuilleton angesagt ist. Es ist doch in Ordnung, Illusionen zu erzeugen, man kann sie immer noch im zweiten Teil der Inszenierung zerstören. Nur eins ist für mich entscheidend: bitteschön immer ein bisschen Humor dabei. Zum Erzählen braucht man Empathie mit den Figuren, und das vermisse ich bei vielen Inszenierungen. Wenn ich inszeniere, frage ich mich immer: Wie weit kann man eine Szene treiben, dass der Zuschauer atemlos davor sitzt?

Was bedeutet dieser Ansatz konkret für Ihren aktuellen „Sommernachtstraum“?

Shakespeare hat mit diesem Stück das horizontale Erzählen perfektioniert, eine Erzähltechnik, ohne die es die aufregenden Serien von heute gar nicht geben würde. Im „Sommernachtstraum“ watscheln vier Gruppen von Leuten mit ihren eigenen Geschichten los, und Shakespeare kriegt das alles unter einen Erzählhut. Wie ein genialer Marionettenspieler lässt er die Figuren tanzen, lässt sie Drogen nehmen, Nymphen jagen, Inderkinder suchen, Blumen pflücken, Esel bumsen und Theater spielen. Herrlich, ich könnte dem Stück den ganzen Tag zusehen.

Ist es schwierig, Übersicht zu behalten?

Ich zeige Ihnen meine Arbeitsweise (er blättert in einem Regiebuch mit Zeichnungen von Szenen): Ich denke vor allem bildlich. Zur Probe komme ich immer mit neuen Ideen für die Szene, die versuche ich dann aber ganz schnell wieder zu vergessen, weil ich die Inszenierung mit den Schauspielern entwickeln möchte – zumindest will ich jedem das Gefühl vermitteln. Manchmal verliere ich bei der Arbeitsweise kurzzeitig die Orientierung, aber wenn ich ins Buch schauen muss, dann haben wir verloren. Als Schauspieler haben mich Regisseure irritiert, die nie aufgeschaut haben, das habe ich immer als eine Form von Feigheit empfunden. Man muss doch nach vorne gucken!

Haben Sie bei diesen Proben am Burgtheater schon befreiend gelacht?

Ich lache nur. Das ist mir fast schon peinlich. Das Leben – nicht unbedingt die Welt – halte ich für sehr schön. Mein Ausgangspunkt ist immer ein positiver. Es gibt Hoffnung, auch wenn sie nur mit Liebe umschrieben werden kann. In diesem Stück kommen alle denkbaren Spielarten der Liebe vor. Am Ende steht für mich immer die Sehnsucht nach Liebe. Davon will ich verzaubert werden.

Sie sind auch Schauspieler. Welche Rolle in dem Stück würden Sie gern spielen?

Das Besondere am „Sommernachtstraum“ ist, dass es eigentlich keine Hauptrollen gibt. Bei meiner Inszenierung in Salzburg hat Ulrich Wildgruber den Mond gespielt, mit großer Hingabe und drei Sätzen. Und jetzt spielt Hermann Scheidleder, das ist auch großartig. Das hat mich an meinen Großvater erinnert. Sicherlich sind Peter Squenz oder Zettel Traumrollen. Und ich liebe natürlich Puck, der mit seinem Kurzzeitgedächtnis, seinem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom permanent alles durcheinanderbringt. Die Liebespaare haben es zunächst nicht leicht, das sind schwere Rollen, obwohl ich mir den jugendlichen Liebhaber durchaus zutrauen würde. Man kann das Stück grandios besetzen, weil es durchweg schöne Rollen zu spielen gibt. Und das Ensemble am Burgtheater ist großartig! Mir würde in diesem Zusammenhang sicherlich kein Suppentopf einfallen, den man ausschütten müsste.

Update, 6. September: Die ursprünglich für heute, Mittwoch, vorgesehene Burgtheater-Premiere von Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" wurde verschoben und findet nun am Sonntag, 10. September (19 Uhr), statt. Die Vorstellungen am Donnerstag, Freitag und Samstag werden als Voraufführungen deklariert.

EIN REGISSEUR UND SCHAUSPIELER

Leander Haußmann, 1959 in Quedlinburg geboren, stammt aus einer Theaterfamilie, studierte an der Ostberliner Schauspielschule Ernst Busch. Dann spielte er an diversen Theatern, hatte erste Rollen in Kinofilmen, wurde bald als Theater- und Filmregisseur erfolgreich. Haußmann inszenierte an großen Bühnen, unter anderem in Weimar, Berlin, München, Hamburg. 1995 bis 2000 leitete er das Schauspielhaus Bochum. Zu seinen bekanntesten Kinofilmen zählen „Sonnenallee“, „Herr Lehmann“, „NVA“, „Dinosaurier“, „Hotel Lux“, „Das Pubertier“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.