Palfrader als "Liliom": Küsse, Bisse - und der Tod

Liliom Kuesse Bisse Risse
Liliom Kuesse Bisse Risse(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Katharina Straßer und "Kaiser" Robert Palfrader brillieren in Franz Molnárs "Liliom" im Volkstheater. Schottenbergs Inszenierung ist teils gelungen, teils befremdlich, teils derb. Insgesamt: Düster, aber sehenswert.

Von der Höhe saturierten Bürgertums sah der spätere Bestsellerautor Ferenc Molnár (1878–1952) um die Jahrhundertwende liebevoll auf das Treiben der gewöhnlichen Leute. Mit dem „Liliom“ bewältigte der Sohn eines wohlhabenden jüdischen Arztes, der in Genf Jura studiert hatte, auch seine eigenen stürmischen Frauenbeziehungen. Die Geschichte vom Hutschenschleuderer und dem Dienstmädchen ist Molnárs erfolgreichstes Stück. Sogar ein Broadway-Musical wurde daraus: „Carousel“. Dabei war die Uraufführung 1909 in Budapest ein Flop. Ein Lustspiel war erwartet, eine „Vorstadtlegende“, die eigentlich eine Elegie ist, wurde serviert. Das elegante Premierenpublikum war schockiert. Bis heute hängt dem „Liliom“ das Image nach, dass er besonders lustig sei. Ein Irrtum.


Atemberaubender Schmerz. Allerdings spielt er am Rummelplatz, im Budapester Stadtwäldchen, wie Molnár beschrieb, oder im Prater, wie Alfred Polgar übersetzte. Das ist egal. Im Volkstheater ist der Schauplatz eine Lagerhalle – was nicht stimmt und außerdem ein schrecklich abgenutzter Ort für Katastrophen ist (Bühne: Hans Kudlich). Die Halle indes, sie bewährt sich auf überraschende Weise. Sie gibt dem Spiel Weite und den Menschen Verlorenheit. Volkstheater-Direktor Michael Schottenberg hat inszeniert, grindiger Herzschmerz ist seine Domäne – und die Besetzung ist überwiegend einsame Klasse. Die bildhübsche, kesse Katharina Straßer trägt Brille und ist auch sonst sehr anders als gewohnt.


Zurückhaltender „Kaiser“. Was hält den Liliom und seine Julie zusammen? Die sture Widerspenstigkeit, mit der sie sich über ihre Verhältnisse erheben und hilfreiche Hände beiseite schlagen. Er verliert seinen Job, lehnt alle Gelegenheiten, ihn wieder zu bekommen ab – wie die Julie den Drechsler, einen Witwer, der sie von der Armut und den Schlägen des Liliom befreien könnte. Die Liebe des Liliom und seiner Julie ist wortkarg, aber beredt in den Gesten. Als der Liliom, bei dem Versuch einen Geldbriefträger zu berauben, stirbt, schluchzt Julie herzzerreißend und wütet wie ein Kind. Es ist der größte Augenblick dieser Julie von Katharina Straßer, ganz großes Theater, ganz große Natur, ganz große Kunst.

Robert Palfrader, der „Kaiser“ aus der lustigen, manchmal auch penetranten TV-Sendung, die am 11. März zu Ende ist, hat im Volkstheater bereits den Fleischer Oskar in Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ gespielt. Den Liliom hat wohl mancher Theaterbesucher im Kopf, jenen von Albers, Meinrad, Karlheinz Hackl. Der Liliom verleitet zur „Rampensau“, er ist nun mal ein auffälliger Charakter.

Schön zu sehen, wie Palfrader den Kraftlackl verweigert. Er wirkt sehr authentisch, echt und zurückhaltend, zeigt die Unsicherheit dieses Mannsbilds, das Gefühle, weder fremde noch die eigenen, ertragen kann und geradezu panisch auf Nähe reagiert. Vielleicht sind diese Julie und ihr Liliom geschlagene, missbrauchte Kinder. Auf jeden Fall sind sie ein sehr berührendes Paar, verletzt, anarchisch, auf der Flucht.


Polacken, Bruch und Leberreißer. Die Volkstheater-Fassung wirkt äußerst derb wienerisch („Maul halten, sonst kriegst eine in die Goschn“). Schottenberg lässt geradezu schwelgen in Dialektexzessen. Vor allem die Frau Muskat, hier sonderbarerweise eine Kaffeehaus- statt einer Karussellbesitzerin, schwingt verbal die Fäuste. Claudia Sabitzer tut das allerdings mit solcher Bravour, dass man nur staunen kann. Andere bedienen das Format, für das sie bekannt sind: Brigitte Swoboda erntet Lacher als brabbelnde Vermieterin Hollunder. Köstlich: Andy Hallwaxx als ihr Sohn, ein Fotograf, der Nackerte und Hochzeitspaare mit dem gleichen stoischen Wesen ablichtet. Ein starker Duft der muffig-trostlosen Horváth-Milieus, in denen es immer wieder plötzlich urkomisch hergeht, durchzieht diesen Molnár. Regen prasselt an die Scheiben, durch die trüben Fenster glotzen Gestalten ins Innere, Polizisten tauchen auf und gehen wieder ab. Sie schreiten nicht immer ein, verströmen aber lauernde Bedrohlichkeit.

Julies Freundin Marie liebt einen Wolf in Uniform. Sie tut mit ihm verboten Unbeschreibliches, „ohne Moral“, aber mit „herzlicher Liebe“, als der Kerl auftaucht, weckt er Heiterkeit: Ein alter Mann, schüchtern, brav und bieder. Am Schluss ist er ein wohlhabender Besitzer mehrerer Kaffeehäuser, Frau Marie trägt grelles Pink und lädt ihre Kids bei Nanny und im Internat ab. Das ist nicht von Molnár, aber herrlich: Nanette Waidmann und Haymon Maria Buttinger sind ein umwerfendes Paar. Weniger knallig, aber auch nicht schlecht: Herr und Frau Kadar, Günter Tolar und Iris Graf. Der Gatte lässt die Frau oben ohne ablichten, sie hält sich den Busen zu und einen Teddy davor.


Verquer und Verklemmt. Was treiben diese beiden? Man wagt kaum, darüber nachzudenken. Am Schluss finden sie sich im Himmel wieder, wo ein grantiger Kanzlist (etwas zu routiniert: Heinz Petters) Fegefeuer und Wiederkehr auf die Erde zuteilt. Sogar den schießwütigen Geldboten (prägnant, wenn auch manieriert: Thomas Kamper) hat es ins dem Diesseits erschreckend ähnliche Jenseits verschlagen. Und mancher, den man vor der Pause noch recht munter am Leben weben sah, erscheint nun als Selbstmörder...

Nach dieser etwas grauen Episode kommt nochmal Leben in die Bude: Liliom trifft seine Tochter (entzückend: Larissa Hois) und raubt ihr alle Illusionen. Dann fällt der Vorhang.

„Liliom“
Nächste „Liliom“-Vorstellungen im Volkstheater: 8., 10., 11., 12., 14. März.

Gut leben ohne nix Garage X, ehemals Ensemble Theater am Petersplatz, Kochshow für das Prekariat mit Götz Bury. 10. 3.

Gender pur
Kosmos, Theater mit Frauenschwerpunkt, feiert zehnten Geburtstag mit Promis, Symposium, Workshop. 8.–13. 3.

Arbeit ohne Geld
Probebühne Josefstädter Theater, Uraufführung „Man muss dankbar sein“ von Volker Schmidt, Gesellschaftskritik, lustig & böse. 12. 3.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2010)

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