Sibylle Berg: "Das Altern geht mir am Arsch vorbei"

Sibylle Berg Altern geht
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Sibylle Bergs jüngstes Stück "Nur nachts" wurde letzte Woche am Akademietheater uraufgeführt. Der "Presse am Sonntag" erzählt die Schriftstellerin über seltsame Erfahrungen in Österreich.

Ihr jüngstes Stück „Nur nachts“ handelt von der Hoffnung, alles könnte anders werden. Kann es?

Sibylle Berg: Anders? Natürlich kann alles anders werden, das geschieht ja gerade. Das Klima schmiert ab, die Krise zeigt den Leuten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, dass sie keineswegs einen alleinigen Anspruch auf Unversehrtheit haben. Ihr Leben wird so unsicher und gefährdet sein, wie es das der Franzosen zum Beispiel schon lange Zeit ist. Ja, auch wir können verarmen, obdachlos werden. Das ist doch eine interessante Veränderung, in der Hoffnung eher so etwas wie Religionsersatz ist: Hoffnung als Vertrauen, dass alles irgendwie irgendwann besser wird. Warum sollte es?

Ich habe eigentlich den Schluss des Stücks gemeint – alles scheint sich gegen die beiden zu verschwören, aber sie versuchen doch den gemeinsamen Aufbruch...

Das ist so ein trotziges: Etwas Besseres als den Tod finden wir überall. Die beiden haben den mutigen Entschluss gefasst, noch einmal etwas zu wagen, zu ändern, und der wird durchgezogen, ohne Rücksicht!

Frühere Bücher lesen sich zum Teil, als würden Sie möglichst grausame Todesarten durchexerzieren. Dagegen wirkt „Nur nachts“ und Ihr jüngster Roman „Der Mann schläft“ nachgerade sanft.

In der Realität finden sich viel originellere Todesarten: Menschen, die sich nackt hinter ihr Auto spannen und es so lange im Kreis fahren lassen, bis sie wegen Erschöpfung stolpern, umfallen, überfahren oder stranguliert werden und daran sterben...

Darf ich sagen, dass Ihre Antwort nicht gerade dafür spricht, dass es Ihnen nicht um Todesarten geht? Ist da nicht doch ein klitzekleines bisschen Faszination dabei? Oder Angst? Oder Widerwillen?

Sicher habe ich Angst, dass mein Mann vor mir stirbt oder ich vor ihm. Ansonsten hoffe ich, dass ich so viel an den Tod gedacht habe, dass mich allein das Bewusstsein um das rasche Ende zu einem etwas sorgfältigeren Menschen hat werden lassen. Es ging mir beim Schreiben nie um Todesarten, ums Sterben, um Splatter, sondern um die Widerlichkeit des Lebens. Das ist in meinem letzten Buch nicht anders, anders allerdings der Umgang damit. Die Protagonisten kämpfen nicht mehr, schwimmen nicht mehr, sie ziehen sich auf Inseln zurück.

Ist das besser? Oder nur Zeichen von Resignation?

Besser oder schlechter von wem gewertet? Von Gott, dem letzten Richter? Das, was die meisten unter „ich kämpfe gegen die Widrigkeiten des Lebens an“ verstehen, ist ja meist nicht mehr, als böse Kommentare im Internet zu schreiben oder einmal zu demonstrieren irgendwo. Als Staatsanwalt gegen die Mafia kämpfen die wenigsten. Im gesellschaftlichen Kontext ist es dann eigentlich wirkungsvoller, sich bewusst zurückzuziehen, der Familie mit Sorgfalt zu begegnen, dem kleinen Umfeld, und für die Welt Mikrokredite zu vergeben.

Und Bücher? Haben Sie die Hoffnung ganz aufgegeben, da was anzustupsen?

Ich denke, man bewirkt mit Büchern nicht sehr viel. Hier und da fühlt sich ein Leser mal verstanden, nicht mehr alleine mit den Sachen in seinem Kopf. Aber ändern? Um Himmels willen.

Sie schreiben auf Twitter, in einem Wiener Hotel habe man für Sie den „Lohndiener“ gerufen, und ein Taxler habe Ihnen erklärt, rote Haare seien gefährlich. Machen Sie in Wien immer so seltsame Erfahrungen?

Ich denke, das ist in Wien völlig normal, all das, was ich merkwürdig finde. Und ja: Mir passieren da seltsame Dinge, aber vermutlich nur, weil ich sie nicht lesen kann.

Zum Beispiel?

Ach, ich mag jetzt nicht all die Worte aufzählen, die man als schnurrig erlebt, wenn man sie nicht kennt. Aber eben – ich kenne Österreich nicht, Wien im Besonderen. All die kleinen Geschichten, die eine Gesellschaft ausmachen, die Entstehung von Legenden, von Worten, von Benehmen, das ist mir fremd, wie sollte es auch anderes sein. Schade eigentlich, denn ich glaube Wien ist voller schmutziger Geschichten.

Die große Liebe – ist das nur ein „großes Glück“? Oder muss man sich bescheiden?

Das ist beides ein falscher und verkitschter Ansatz. Die große Liebe ist vor allem eine Entscheidung, und zwar die, von all dem Kitsch in uns Abschied zu nehmen. Von Ideen wie Leidenschaft und permanentem Geschlechtsverkehr und Seelenverwandtschaft. Ich glaube, einen Partner zu finden, der zu einem passt – das heißt: einen erträgt und umgekehrt –, verlangt nach einer großen Entspanntheit. Man muss sich freigemacht haben von allen Medien- und Filmideen, um zu sehen, wer einem gut tut, bei wem man mit unverstellter Stimme redet. Und der Rest ist: durchhalten. Es ist wirklich so, dass man, wenn man kein Idiot ist, mit einem Menschen zusammenwächst, ihn lieben lernt und vermissen. Das dauert eben ein wenig.

Das klingt nach: Liebe ist machbar. Nach: Lasst euch nicht so euer Hirn vernebeln, dann klappt das schon. Ist das nicht ein bisschen unfair?

Unfair der Pornoindustrie gegenüber? Den Arztromanen, der Wirtschaft, die uns verspricht, Liebe entstünde beim Kauf von Kosmetik?

In Ihrem Buch ist es aber doch so etwas wie „Liebe auf den ersten Blick“, auch wenn Sie das betont unterspielen.

Das wird nicht unterspielt, sondern einfach von den Figuren nicht verstanden. Es ist nicht das, was wir unter Liebe auf den ersten Blick verstehen, kein Begehren, kein Rausch, keine Hyperventilation. Beide werden einfach sehr müde. Eine zuerst einmal rätselhafte Reaktion, die sich nur schwer erschließt.

Von der Liebe zum Hass: In „Gold“ haben Sie hasstriefende Leserbriefe abgedruckt. Machen Ihnen solche Briefe nichts aus?

Mit Wahn konfrontiert zu werden ist mir auch immer schrecklich. Vieles kann man ignorieren, zumal seit Hass vermehrt im Internet stattfindet. Man vermeidet Ekel, indem man sich nicht googelt, aber mitunter kommen anonyme Briefe oder Links oder was weiß ich, und dann ist es mir schon, als ob einer einen Haufen in meine Wohnung macht. Die Welt, die in meiner Wohnung eine unschuldige, saubere ist, öffnet sich auf einmal nach draußen, wo dann scheinbar Krieg stattfindet und Hass auf dem Fußboden schwimmt. Das verstört mich sehr.

Ich habe Ihren Auftritt bei Harald Schmidt gesehen. Sie sprechen und verziehen dabei keine Miene. Machen Sie das bewusst?

Also bei Schmidt hängt vor deiner Nase ein riesiger Monitor, man sieht sich wie in einem Vergrößerungsspiegel. Jedes Lächeln: ein Faltenwurf wie ein Plisseerock. Also dachte ich: Mal bloß nicht bewegen das schaut ja grauenhaft aus. Was auch die Frage nach meiner Eitelkeit beantwortet, die Sie nie gestellt haben: Nein, ich bin null eitel.

Ich habe die Frage nicht gestellt, weil ich niemanden kenne, der nicht eitel wäre. Und ich kenne auch niemanden, dem ich es abnehmen würde, dass Altern ihm egal wäre.

Ganz ehrlich und unter uns? Mir geht's am Arsch vorbei. Ich sehe nett aus, alle Körperfunktionen sind noch 1a unterwegs, ich war nie jung im Sinne von: Weggehen, Aufreißen. Es gibt also nichts zu vermissen.

„Gott hat die Menschen seiner Tochter zu Weihnachten geschenkt, die hat ein paarmal damit gespielt und sie dann in irgendeiner Ecke vergessen“ – das stammt aus einer Ihrer Kolumnen. Können Sie Menschen verstehen, die an Gott glauben?

Ich kann alle verstehen, ich bin gütig und weise. An Gott zu glauben ist für mich so nachvollziehbar wie an fliegende Yogis zu glauben, an Ron Hubbard, an Bachblüten, Wiedergeburt, Rückführung. Die Menschen wollen von einem größeren Ordnungssystem ausgehen, weil viele nicht ertrügen, einzig zum Zweck der Vermehrung auf der Welt zu sein.

Ertragen Sie es?

Nein, ich schreib ja Bücher und habe mich so um die Vermehrung gedrückt.

Wie kamen Sie eigentlich zur Kolumne?

Der gute alte Weg, den es heute nicht mehr gibt. Schreiben, viele, viele Jobs machen, in billigen Buden hausen, schreiben, drei Bücher schreiben, die keiner wollte, dann wollte nach 60 Absagen doch einer, dann kamen die Zeitungen und wollten tolle Statements, heute bin ich Besitzer eines Gestüts, einer Airline und eines Shoppingcenters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2010)

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