„Krieg und Frieden“ als niveauvolle Telenovela

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bdquoKrieg Friedenldquo niveauvolle Telenovela(c) Burgtheater (Georg Soulek)
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Burgtheater-Direktor Matthias Hartmann lud zur öffentlichen Probe seiner Tolstoi-Bearbeitung. Die Aufführung handelt mehr von der Society als vom Krieg und verführt mit teils atemberaubender Schauspielkunst.

Der alte Fürst Bolkonskij herrscht auf seinem Landsitz mit eiserner Hand. Er schlägt seine Bediensteten mit dem Stock. Er schikaniert seine Tochter, terrorisiert seine schwangere Schwiegertochter. Sein in den Krieg ziehender Sohn soll lieber sterben als feige sein. Und doch hat dieser Widerling ein Herz: Als der tot geglaubte Sohn heimkehrt, sinkt der Vater an seine Schulter und schluchzt.

Das Burgtheater hatte immer diese unheimlichen, grausamen Alten in seinem Ensemble. Irgendwie schienen sie die letzten Jahre entschwunden. Ignaz Kirchner füllt dieses Format nun wieder mit wahrhaft markerschütterndem Leben. Sein Bolkonskij wird in Erinnerung bleiben, wenn diese „Krieg und Frieden“-Aufführung längst vergessen ist. Kirchner ist auch der Einzige, der die Tiefe wahrer Tragödie in diesen auf Kurzweil bedachten Abend bringt – der das Traurige zwar nicht ausspart, aber doch immer wieder ironisch bricht und auflockert.

Matthias Hartmann, dessen „Faust“ geteilte Aufnahme fand, hat als Burgtheater-Direktor zwar Fuß gefasst, aber man kann nie sicher sein. Also lädt er sich zwar riskanterweise „Krieg und Frieden“ von Tolstoi auf, aber nicht zur Premiere ein, sondern zu einer öffentlichen Probe. „Krieg und Frieden“, über 2000Seiten Krieg mit Napoleon aus russischer Perspektive, 1868/69 veröffentlicht. Geschildert werden private Verhältnisse der Upperclass einerseits und die Schlachten andererseits. Wer ein Gefühl für den Autor bzw. die geistigen Themen bekommen möchte, die hier abgehandelt werden – Religion, Atheismus, Individuum, Gesellschaft –, mag den jüngsten Tolstoi-Film ansehen („Ein russischer Sommer“ nach dem Buch „Tolstois letztes Jahr“).

Die berühmteste Filmfassung stammt von Sergei Bondartschuk (1968, auf DVD zu haben). Allein die russische Sprache gibt der Story eine andere Musik. Das deutschsprachige Taschenbuch (Insel) ist schwer zu lesen: weitschweifig, umständlich. Wenn man einmal drin ist, geht es, wie bei allen diesen dicken Romanen, die jetzt zu Theater verarbeitet werden. Insofern ist Hartmanns Kreation, die am Mittwoch erstmals im Kasino zu sehen war, positiv zu bewerten. Man ist zwar im Vorteil, wenn man das Buch gelesen hat, aber man kennt sich auch ohne aus. Fünf Stunden werden einem nicht lang.

Ob Hartmann mit den Regie-Schwergewichten der 68er-Generation mithalten kann, mag später mal beurteilt werden. Er hat auf alle Fälle ein Händchen, das Publikum bei Laune zu halten. Der erste Teil ist ziemlich oberflächlich, der zweite ist der beste, auch der dritte packt über weite Strecken. „Teile aus dem ersten Buch“ werden hier vorgeführt. Aber viel gibt es eigentlich nicht mehr zu sagen, nachdem die Schicksale der Akteure am Schluss wie in einem Film („Was wurde aus...“) verraten werden.

Ältere Schauspieler stark präsent

Die jungen Schauspieler sind nicht ganz so eindrucksvoll wie die alten. Udo Samel spielt den traditionalistischen Bruder Simpel: Pierre, der illegitime Sohn des steinreichen Grafen Besuchow, der dessen Vermögen erbt, ist kein besonders materieller Mensch, dennoch lehrt ihn das Leben gnadenlos, dass Geld nicht glücklich macht. In Pierre steckt ein Kind, daher erscheint er in zweierlei Gestalt. Den jungen Pierre, voll Menschenfreundlichkeit und Liebessehnsucht, aber auch entfesselt brutal, wenn er enttäuscht wird, spielt Moritz Vierboom.

Rudolf Melichar beeindruckt als greisenhafter Graf Rostow. Mit der ihm im Leben, diesmal aber auch auf der Bühne angetrauten Elisabeth Augustin bildet Melichar so etwas wie ein modernes Elternpaar, welches mehr Nachsicht als Strenge übt, mitunter auch aus Resignation. Die Kinder mögen die Alten, tanzen ihnen aber auch auf der Nase herum: Sven Dolinski wird als Nikolai Rostow im Krieg verwundet und schwadroniert trotzdem weiter von Heldentum. Yohanna Schwertfeger als Natascha Rostowa lässt den ehrbaren Bewerber sitzen und wirft sich einem Filou in die Arme. Schwertfeger entzückt als junges Mädchen unbeschreiblich. Oliver Masucci als Verführer feixt zu viel ins Publikum, aber man kann nicht böse sein, obwohl er einen üblen Kerl gibt: Als Anatol Kuragin wird er von seinem Vater, Fürst Wassilij, an die Braut mit der besten Mitgift verhökert, was Anatol nicht abhält, hinter jedem Rock herzurennen. Schließlich versucht er die blutjunge Natascha (Schwertfeger) zu entführen. Sabine Haupt als Salondame Anna Pawlowna Scherer und als Marja Bolkonskaja, die nach dem Tod des Vaters doch noch unter die Haube kommt; Mareike Sedl als bedauernswerte Gattin des widerlichen, später geläuterten Fürsten Andrej Bolkonskij – Peter Knaack spielt diesen grüblerischen Intellektuellen – Franz J. Csencsits als eleganter alter Fürst Wassilij Kuragin und Fabian Krüger als herrlich mokanter Opportunist Dolochow, sie alle überzeugen. Meist. 15 Spieler haben über 100 Rollen. Eine Leistung.

Stefanie Dvorak spielt zwei irrlichternde Schlampen, die schöne untreue Kuragin-Tochter Hélène und die nach „Hinaufheiraten“ gierende Gesellschafterin Mademoiselle Bourienne. Hier könnte man sich ein dämonischeres Wesen vorstellen – z.B. jemanden in der Art von Sunnyi Melles – aber die niedliche Girlie-Attacke hat auch was.

Die Arena-Bühne bewährt sich

Als lohnende Investition erweist sich der Umbau des Kasinos: Der Bühnenbildner Johannes Schütz hat den Raum neu und die Szene für „Krieg und Frieden“ gestaltet, auch die Kostüme. Man hat die Menschen direkt vor sich, nicht weit weg und im Guckkasten wie im Haupthaus. Ein schöner Einfall ist es auch, die Akteure nicht überzudekorieren, sondern sie ihre gesamte Erscheinung und Geschichte erzählen zu lassen. Schon etwas abgebraucht dagegen: Die Kameras und Leinwände, wo sich bis auf eine witzige opernballartige Szene, in der die Society – klick, klick – unentwegt fotografiert wird, nicht wirklich Originelles abspielt.

Tolstois Buch ist u.a. insofern aktuell, als es eine saturierte Gesellschaft, umzingelt von Krieg, beschreibt. Hartmann zeigt zwar glücklicherweise keine Party mit Irak-Krieg als Background. Das Design ist stilisiert, aber historisch. Dennoch drängt sich die Party letztlich zu sehr in den Vordergrund. Es gibt einige wenige starke Kriegsszenen, dann wird wieder bloß herumgeballert, und der Napoleon mit Schnupftabakdose auf dem rauchenden Schlachtfeld ist auch eher läppisch. Es ist kein Zufall, dass das Heer u.a. aus winzigen Figürchen besteht, die abgelichtet werden, wie das heute so beliebt ist.

Letztlich ist dies mehr eine Telenovela als ein Panorama der Zeit. Theater als Katharsis scheint nur peripher das Ziel dieser effektvollen Präsentation. Aber vielleicht wird das noch. Schließlich handelt es sich um „Work in progress“ – was übrigens die meiste Zeit nur daran zu merken ist, dass eine als Babuschka verkleidete Souffleuse auf der Bühne ist. Dabei wurden die Texte bis zuletzt geändert. Burgschauspieler sind schon besondere Profis. Bewundernswert.

AUF EINEN BLICK

Rund fünf Stunden mit zwei Pausen dauert „Krieg und Frieden“ im Burgtheater-Kasino. 15 Schauspieler (Ignaz Kirchner, Udo Samel, Yohanna Schwertfeger) sind in über 100 Rollen zu sehen. Die Burg-Fassung folgt einer Bearbeitung von Roland Schimmelpfennig, Übersetzung: Werner Bergengruen. Verfilmt wurde „Krieg und Frieden“ u.a. von King Vidor, Robert Dornhelm (TV). Leo Tolstoi (1828–1910) verarbeitete in dem Roman seine Familien- sowie russische Geschichte.(Termine: 17., 19.4., 18., 21.5.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2010)

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