Tipps für den Kultursommer

Tipps fuer Kultursommer
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Viele Festivals locken jetzt aufs Land. Wo kann man essen, klettern, fliegen – oder frivol nächtigen? Soll man überhaupt wegfahren aus Wien? Check im Internet spart Enttäuschungen.

Nestroy, einst Fixstern, wird immer rarer im Sommer. Immerhin: In Schwechat gibt es „Das Gewürzkrämer-Kleeblatt“ und in Gutenstein einen Raimund-Abend („Brüderlein fein“). Die Sommerspiele Melk feiern ihren 50. Geburtstag mit schwerer Kost: Schillers „Wilhelm Tell“. Dazu wird jedoch eine Revue der Sixties von Peter Alexander bis Woodstock serviert („Twist and shout!“). In Perchtoldsdorf erklimmt Shakespeares „Hamlet“ die Bühne hinter der Burg: mit Florian Teichtmeister (Josefstadt) in der Titelrolle und dem Musiker Christian Brandauer als Horatio. Und auf der Waldviertler Rosenburg wird „Romeo und Julia“ gezeigt.

TIPP: Sixties-Revue in Melk: Dazu passt die heurige NÖ-Landesausstellung auf der Schallaburg „Die 60er: Beatles, Pille und Revolte“. Erdig speisen kann man in Perchtoldsdorf beim Heurigen, edel beim „Alexander“ (Marktplatz 10). Mein persönlicher Tipp: Die Rosenburg lässt sich mit einem Ausflug ins „wunder“-volle Waldviertel verbinden: Kletterpark, Kanufahren und – was könnte wohl das sein? – Waldpädagogik.


L'Amour! Oper(Rette) sich wer kann. Carmen&Kálmán

Während Nestroy schrumpft, expandiert das sommerliche Musiktheater. In Mörbisch widmet man sich heuer dem „Zarewitsch“. Ein eigenes Lehár-Festival hat Bad Ischl, dort gibt es aber heuer Kálmáns „Csárdásfürstin“. Ein reizender Platz ist auch Retz, beim noch relativ jungen Festspiel dort wird heuer „Dido und Aeneas“ von Henry Purcell gezeigt. Die große Oper: „La Traviata“ in Gars und „Carmen“ in Klosterneuburg. In der Burgarena von Reinsberg wird Händls „Acis und Galatea“ geboten, in Langenlois „Eine Nacht in Venedig“ von J. Strauß. Auch Musical darf nicht fehlen: „The Full Monty“ in Amstetten ist dieselbe Geschichte wie „Ladies Night“, Sensationserfolg in den Wiener Kammerspielen: Arbeitslose bilden eine männliche Striptease-Truppe. Die „Winnetou“-Spiele in Staatz sind solche schon lange nicht mehr – und widmen sich ebenfalls dem Musical, heuer den „Drei Musketieren“ nach A. Dumas.

TIPP: Nobel wohnen und speisen kann man im Retzer Hotel Althof. In Reinsberg gibt es auch Waghalsiges: Paragliding (office@paraflug.at). Mein persönlicher Tipp: Mörbisch. Romantische Klänge & der Neusiedler See und die neue St. Martins Therme. Fein!


Programme für Kinder: Märchensommer usw.

Das Kinderprogramm im Sommer dürfte durchaus vielfältiger sein. Hier eine Auswahl: Gut etabliert hat sich seit einigen Jahren Nina Blums Märchensommer in Poysbrunn (vier bis zwölf Jahre). „RiesenFreund“ erzählt von vier Freunden, die im Schloss Poysbrunn auf die Suche nach einem verschollenen Riesen gehen. Ein äußerst reichhaltiges Programm bietet Burg Forchtenstein, „Ritter Roland rastet aus“, ferner Theater zum Mitmachen für Kinder, Hexe Griselda erzählt, es gibt eine Zunftstraße mit neuer Backstube usw. „Die Zauberflöte“ wird oft als Kinderstück missverstanden. Jedenfalls ist sie meist das erste Musiktheaterwerk, das Kids vorgestellt wird. Heuer ist Mozarts Singspiel im Steinbruch von St. Margarethen zu erleben, außerdem noch als richtige Kinderoper „Hänsel und Gretel“. Als Ergänzung kann der Vergnügungspark Märchenwald erkundet werden. Schon seit 13 Jahren gibt es in Graz das Straßentheater-Festival La Strada, das uns heuer die schönsten Fotos gesandt hat. Außer „Die Alte und das Biest“ vom Theater Meschugge, das gar gruselig ist, sind alle Aufführungen für Kids geeignet (Google: La Strada Festival). Da gibt es z. B. den verträumten Leandre (E), dem eine Tür für seine Kunst genügt („Chez Leandre“) oder die Compagnie Lug (F): Jean-Michel Debarbat ist ein Clown, der eine Zeitreise antritt. Aus Österreich stammt „Hitchhike the Wind“ von Sitespecific Project, die mit einem Schrottfahrzeug nach Kasachstan reisen. Ein Kindermusical bietet ergänzend zu den Musketieren Staatz „Ritter Rost“.

TIPP: Nur 20 km von Poysbrunn entfernt ist die Therme Laa. Von Graz ist es nicht weit zu meinem geliebten Wörthersee. In Graz-Umgebung, also näher, liegt das Urlaubsgebiet Thalersee: Wandern, Fischen, Tretbootfahren, Golfklub. Mein persönlicher Tipp: La Strada. Von Graz dann ab in die Südsteiermark und weiter nach Slowenien oder Kroatien an den Strand.


Festivals International:Bochum oder Avignon?

Auf einer Homepage namens Festival-Hopper im Internet sind sämtliche Festspiele dieses Jahres verzeichnet, vom Cactus-Festival in Brügge bis zum Meersburg-Open-Air, vom Hindsgavi-Festival in Middelfart (Dänemark) bis zum Rostocker Elvis-Festival (Ostsee, Nordsee, ein schönes Kontrastprogramm zum labbrigen Mittelmeer). Sie wollen auf Experimente verzichten? Gut: Interessant klingt z. B. die Ruhr-Triennale: „Leila und Madschnun“, ein Text von Albert Ostermaier nach einem persischen Epos. Nizami erzählt von Liebe und Spiritualität. Musik: Samir Odeh-Tamimi, Regie: Willy Decker. Konservativere Gemüter entscheiden sich für die Arena di Verona. Dort wird heuer Franco Zeffirelli (87) mit seinen Inszenierungen von „Aida“ bis „Trovatore“ gefeiert. Ebenfalls sicher vor Tiefschlägen des Regietheaters dürfte man in Macerata sein: Bei Gounods „Faust“ in der Regie von Pier Luigi Pizzi, der in Wien einen sehr konventionellen „Don Carlos“ inszeniert hat. Hemingway, Tennessee Williams oder „Porgy und Bess“ in Edinburgh, Brittens „Billy Budd“, „Così“, „Macbeth“ in Glyndebourne oder „Don Giovanni“ (mit Bo Skovhus) in Aix-en-Provence? Sie entscheiden. Und tragen Sie sich schon mal beizeiten in Bayreuth ein. Heuer amtiert erstmals die neue Intendanz (Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier). In elf Jahren bekommen Sie bestimmt eine Karte auf dem Grünen Hügel, aber nur, wenn Sie sich pünktlich jedes Jahr melden. (Dagegen sind die Festspiele in Reichenau, wie immer längst ausverkauft, geradezu leicht zu haben, nicht wahr?) Mein persönlicher Tipp, falls Sie in ein „Land weit weit weg“ wollen, ist selbstverständlich Avignon und zwar das vitale Off-Theater-Festival, freudig, krass, urfranzösisch. Im regulären Programm zeigt heuer u. a. Andreas Kriegenburg Kafkas „Prozess“.

TIPP: Das Vier-Sterne-Hotel Cloitre Saint Louis in Avignon mit Pool empfiehlt sich zum Wohnen und Speisen, das Restaurant Christian Étienne nur für Letzteres. (Sommerliches Tomatenmenü für 70 Euro) Ausflüge: Camargue, Arles, Luberon Lavendel-Museum, vielleicht nicht so gut wie Lavendel live, der in der Gegend reichlich wächst.


Alternativen. Gibt's nicht auch mal was anderes?

Zum Probieren: „Odyssee im Linzer Parkbad“ mit Zyklopen, Sirenen, Meeresungeheuern und aufdringlichen Freiern. Die wichtigste Frage lautet natürlich: Warum blieb der Held 17 Jahre seiner Heimat und seiner Frau fern? Klingt lustig. Auch ein guter Platz: das hübsche Litschau im Waldviertel. Im Herrenseetheater im alten Strandbad wird heuer Peter Shaffers „Komödie im Dunkeln“ gespielt: Junger Bildhauer mit Freundin borgt sich, um Sammler zu beeindrucken, Antiquitäten aus der Wohnung des zufällig verreisten Nachbarn. Da fällt das Licht aus... Die Koproduktion des Brauhaustheaters (Zeno Stanek bürgt für Qualität) mit dem Deutschen Staatstheater Temesvár ist einen Versuch wert und wird laut Aviso in perfektem Deutsch gespielt. Einen „Kapitalismus-Kirtag und -Kehraus in bunten Bildern“ verspricht das Theater Hausruck, das sich 2009 mit „A Hetz oder: Die letzten Tage der Menschheit“ gesellschaftspolitisch bemerkbar gemacht hat. Hier wurde auch Franzobels NS-Drama „Zipf“ gezeigt. Diesmal gibt es „die letzte große Sause vor dem Crash“ mit zahlreichen prominenten Mitwirkenden, darunter Jörg Buttgereit, dem deutschen Meister des Autoren-Trash-Films, Robert Misik, Autor und Journalist, oder Kapitalismuskritiker Christian Felber. Kapitalismus-Bashing ist offenbar in. Schauplatz des Hausruckerischen „€AT“ ist die ehemalige Polstermöbelfabrik Hasag, Salzburger Straße 101, Attnang-Puchheim. Als Alternative zu den großen Festivals Salzburg oder Bregenz empfiehlt sich z. B. der Carinthische Sommer oder der feine Attergauer Kultursommer, heuer u. a. mit Thomas Hampson.

TIPP: Im Litschauer Café-Restaurant Seeblick lässt sich mit Glück ein Spanferkelessen erleben. Von Attnang-Puchheim, eher ein Ort zum Flüchten, sind schöne Seen nicht weit. Ins Mühlviertel lockt ein frivoles Hotelangebot: Das Bergergut mit der Adresse Afiesl 7 outet sich als „Liebeshotel“ mit Sieben-Sünden-Angeboten: Drei Tage Wolllust kosten 400 Euro. Coaches kann man z. B. zum Kochen bestellen, aber auch zum Flirten und zur Paarmassage.


Schlusswort: Warnungen und Tipps für Nesthocker

Auch Ausflugverweigerer werden bestens bedient, z. B. in Wien mit der „Fledermaus“ im Theater an der Wien (für Feinspitze). Der Wiener Operettensommer im Theresianum-Schlosspark spielt heuer „Lustige Witwe“, das Wiener Lustspielhaus „Der Widerspenstigen Zähmung“ und beim Tschauner gibt es u. a. Stegreifklassik wie „Urschi der Millionentrampel“. Jetzt wird's zu rustikal? Gut dann zum Filmfestival auf den Rathausplatz oder noch besser zum Kino unter Sternen am Karlsplatz.

TIPP: Wie finde ich meine Location? Zuerst das Einfache: Welches Genre, welche Gegend bevorzugen Sie? Punkt zwei: Sommertheater ist besser geworden, kann aber nicht oft mit High-Class-Kultur mithalten. Der attraktive Schauplatz ist noch immer wichtig. Punkt drei: Schauen Sie sich im Internet die Fotos an. Sehen die Akteure gräulich, grotesk aus, dann Finger weg. Schöne Zeit!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2010)

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