"Baby Doll": Voyeurismus für Fortgeschrittene

Baby Doll Voyeurismus fuer
Baby Doll Voyeurismus fuer(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Deutschsprachige Erstaufführung von Tennessee Williams' "Baby Doll" im Volkstheater mit der reizenden Katharina Straßer. Der Inszenierung fehlt das Flair.

„Daumen lutschend, Cola trinkend, eine klassische Südstaaten-Unschuld, das ist Baby Doll Meighan, 19“, so beginnt die Inhaltsangabe eines selten gespielten Stückes von Tennessee Williams, vor allem als berühmter Film von Elia Kazan (1956) bekannt. Im Volkstheater hat ein Altmeister der Regietheater-Generation, der seriöseste, inszeniert: Niels-Peter Rudolph (70).

Er betont die politische Komponente, Rassismus, wirtschaftliche Probleme im Süden der USA, und entblättert die Lovestory mit vermutlich aller ihm zu Gebote stehenden Sinnlichkeit – was für Tennessee Williams eindeutig zu wenig ist.


Cherchez la femme. Katharina Straßer spielt die Hauptrolle, eine überwältigende Augenweide voller Sex-Appeal, und einmal mehr bietet sie auch schauspielerisch eine rundum grandiose Leistung. Allerdings fehlt ihr die Unschuld des Originals. Dies ist schon eine sehr bewusst ihre Trümpfe ausspielende Frau – die sich übrigens anders als bei Tennessee Williams am Schluss nicht in die Arme ihres Lovers Silva werfen darf. Der hat sie nur benutzt, um ein schriftliches Geständnis zu bekommen, dass Baby Dolls Gatte Archie seine Baumwollmühle abgefackelt hat. Der Schluss bleibt offen...

Der „vielleicht unflätigste amerikanische Film, der je vorgeführt wurde“, urteilte die Zeitschrift „Time“ seinerzeit über „Baby Doll“; der Streifen löste einen Skandal aus. Heute wirkt er auf den ersten Blick wie eine billige Schmonzette zur Bedienung von Männerfantasien– sabbernde Kerle und ein leckeres Mädchen. Trotzdem verraten die harten Schwarz-Weiß-Kontraste, eine Art des amerikanischen Neorealismus, der dem italienischen abgekupfert zu sein scheint, und die siedenden Konfrontationen (Karl Malden brilliert als Ehemann) die meisterliche Hand des großen Kazan.

Er drehte bekanntlich auch den Tennessee-Williams-Klassiker, „Endstation Sehnsucht“ mit Marlon Brando und Vivien Leigh (1951). Williams bekam stets die Besten der Besten Hollywoods, und es waren nicht die lackierten Typen von heute, sondern echte Menschen – wie Elizabeth Taylor, Katharine Hepburn und Montgomery Clift, die alle zusammen in Joseph L. Mankiewiczs Verfilmung der kompliziert flirrenden Nervenheilanstaltsgeschichte „Plötzlich letzten Sommer“ (1959) zu sehen waren.

In jüngerer Zeit hat Frank Castorf Tennessee Williams neue unkonventionelle Gestalt verliehen: „Forever Young“ nach „Süßer Vogel Jugend“. All die nostalgischen Filme, aber auch die schrillen oder interessanten Neudeutungen (Andrea Breths Version der „Katze auf dem heißen Blechdach“ mit Gert Voss am Burgtheater) muss man hier vergessen. Denn verglichen mit ihnen ist die Volkstheater-Aufführung bloß braves, gut gemachtes Theater, anfangs und zwischendurch leicht lähmend, dann aber wieder durchaus flott, jählings packend. Es gibt sogar mindestens eine spannende Idee.


Geschlechterkampf. Marcello de Nardo entspricht keineswegs dem Typus des Latin Lovers – obwohl Sohn italienischer Immigranten und selbst in der Schweiz geboren –, aber er liefert sich als Baumwollmanager mit der hübschen Baby Doll einen gnadenlosen Geschlechterkampf, bei dem sich der Mann schon bald mehr verweigert als die Frau, was auch eine sehr zeitgemäße Sicht der Dinge ist. Ganz süß ist Inge Maux als getretene Tante Rose. In den Frauen hat sich der Homosexuelle Williams oft selbst abgebildet. Rainer Frieb stolziert als Cowboy wie aus der alten Maverick-Werbung entsprungen umher. Als betrogener Gatte strengt er sich mächtig an, es fehlt ihm aber authentisches Flair – wie auch der Aufführung insgesamt. Daran können auch die zwei charmanten Afroamerikaner (Davis O. Nejo, David-Michael Nejo) nichts ändern.


Tolles Bühnenbild. Die Aufführung war für Volkstheater-Verhältnisse vermutlich teuer. Volker Hintermeier baute ein protzig Elend atmendes Bühnenbild, Baby Doll bewohnt ein verfallenes Fabriksgebäude, es gibt einen kaputten Oldtimer, auf dem das Mädchen und der Lover ihre angedeuteten Liebesspiele treiben. Eine alte Leinwand flimmert, hinten erscheinen die Takes aus dem Film, links prangen Buchstaben: „Whatever.“ Whatever ist hier nichts.


Perfektes Training. Das große Ensemble (etwa Patrick O. Beck als Vorarbeiter des Baumwollmanagers, Wolf Dähne als Arzt oder Thomas Bauer als Town-Marshal) agiert präzise, jede Bewegung ist einstudiert, nichts wirkt schlampig oder nicht durchdacht. Es fehlt aber das gewisse Volkstheater-Etwas, und das ist nicht nur wohltuend, weil auch die zügellose, gelegentlich an Schmiere grenzende Spielfreude verloren ging, die einen an diesem Ort sonst des Öfteren nervt. Das Publikum applaudierte begeistert – speziell der Straßer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2010)

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