Theater an der Wien: „Arme Leute“ in der „Hölle“

Österreich-Premiere: Sedelnikows Miniaturoper nach Dostojewski.

„Arme Leute“, sein Briefroman „eines Beamtenherzens, rein und redlich, und eines jungen Mädchens, gekränkt und traurig“, begründete 1846 Dostojewskis Ruhm – und erwies sich auch für den Komponisten Gleb Sedelnikow als Glücksgriff: Anfang der 1970er-Jahre schuf er eine Miniaturoper für zwei Protagonisten und Streichquartett, die 1974 in Moskau uraufgeführt wurde. Als österreichische Erstaufführung eröffnete sie nun eine Serie klein dimensionierter Musiktheaterwerke, mit denen das Theater an der Wien zweimal pro Spielzeit in die „Hölle“, also in den Pausenraum im Souterrain, locken und dort quasi Opernschicksale zum Anfassen bieten will.

In Andreas Bodes trotz Videoinstallationen bewusst karger Inszenierung liegt schon am Beginn ein Haufen zerknüllter Zettel: Briefe, die von einer glücklosen Beziehung künden und doch schöne Erinnerungen bieten. Der stimmgewaltige Charakterdarsteller Martin Winkler erscheint in dieser Lesart als psychisch schwer gezeichneter Beamter, der mit der Näherin vor allem seine seelische Armut überwinden möchte. Petra Baráthová, ihrem sympathisch klaren Sopran zum Trotz, wirkt viel kühler, weil sie sich an der Seite eines ungeliebten, aber reichen Mannes mit dem Weg aus der materiellen Armut begnügt. Sedelnikows Musik verschreckt niemanden, vereint jenseits aller Sentimentalität gefühlvolle Gesangskantilenen mit sanften Akzenten und Widerborsten im Stile einer gemäßigten Schostakowitsch- und Bartók-Nachfolge: Das von RSO-Konzertmeister Peter Matzka angeführte Streichquartett setzte dies ebenso konzentriert um wie die Protagonisten. wawe

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2010)

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