Manker: "Fortell hat noch schlechter getanzt als ich"

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Der Theatermacher Paulus Manker im Gespräch über das Recht auf Revanche, über seinen konservativen Vater Gustav Manker, den Rausschmiss aus dem Reinhardt-Seminar sowie über die wunderbaren Jahre mit Peter Zadek.

Sie haben sich auf die Spurensuche nach dem Werk Ihres Vater gemacht und einen Bildband über den Theatermann Gustav Manker (1913–1988) herausgegeben. Hat Sie die Erinnerung auch zum Weinen gebracht?

Paulus Manker: Ich pflege bei Sentimentalität nicht zu weinen. Seelische Bewegung kann sich auch anders ausdrücken als durch reines Platzen. Angefangen hat die Suche hier bei mir, wo wir sitzen, bei einer Aufräumaktion. Das hier ist die frühere Wohnung meiner Eltern, hier hat mein Vater seit 1948 gelebt, hier bin ich aufgewachsen. Ich wusste von seinen Bühnenbildentwürfen. Deren Wiederentdeckung, 380 Stück, war der Auslöser für mich zu fragen, was der Vater in seinem Leben gemacht hat.

Was war Ihr erster persönlicher Eindruck vom Theater Ihres Vaters, des Volkstheaters?

Die Nachmittagsvorstellung von Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“. Da war ich sechs. Meine Schwester und ich haben im Volksgarten Sand gespielt und sind dann mit der Mutter (Hilde Sochor) ins Theater, eigentlich nur, um den Vater abzuholen, während die Mutter sich auf die Aufführung vorbereitete. Er war aber noch nicht fertig, also hat er uns Kinder in eine Loge gesteckt. Die Szene, in der meine Mutter mit der Gouverneurin um ein sechsjähriges Kind kämpft, hat mich wahnsinnig beeindruckt. Die eigene Mutter kämpft um ein Kind in meinem Alter in einem Kreidekreis. Diese Aufführung ist mir ins Gedächtnis eingebrannt. Der Vater wollte uns dann nach kurzer Zeit aus der Vorführung rausholen, aber da ist er gescheitert, da war nichts zu machen.

Was war für Sie neu zu entdecken?

Von der Kriegs- und Vorkriegszeit wusste ich wenig. Interessant ist die Zeit an der Praterstraße, das war damals der Broadway von Wien. Mein Vater hat insgesamt 560 Premieren gemacht, das ist heute völlig unvorstellbar. Das war eine ganz andere Praxis. In Bielitz zum Beispiel, wo er Schauspieler und Bühnenbildner war, wurde fast jede Woche ein Stück herausgebracht. Mit 25Jahren kam er ans Deutsche Volkstheater und hat gleich riesige Aufgaben bekommen. Alle anderen Bühnenbildner mussten an die Front. Der Direktor hat das Ensemble aber sehr geschützt. Erstaunlich war für mich, mit wie viel Ironie unter Regisseur Günther Haenel Nazideutschland abgehandelt wurde. Es gab angeblich sogar eine Hitler-Parodie.

Ist der Respekt vor den Eltern durch die Recherche noch gewachsen, oder gibt es für Sie jetzt auch mehr Schattierungen?

Mein Vater war ein konservativer Mensch, nicht nur ÖVP-Wähler, sondern sogar ein richtiger Monarchist. Er hat immer Ihre Zeitung gelesen, die ja an und für sich eine Scheißzeitung ist, und das Volkstheater war ein rotes. Aber Kreisky und Benya haben ihn machen lassen, denn auf der Bühne war er nicht konservativ. Als meine Eltern mir gestanden, dass sie Waldheim zum Präsidenten gewählt hatten, war ich sehr zornig. Aber in der Kunst war mein Vater fetzig bis fortschrittlich. Er hat Wolfgang Bauer und Peter Turrini entdeckt. Selber hat er sie nicht inszeniert, aber den Turrini hat er mit blitzenden Augen gefragt: „Na, Peter, haben Sie nicht wieder was, womit wir meine Abonnenten fertigmachen können?“ Nach dem Krieg war er aus Protest kurz Kommunist. Das hat mir gefallen.

Haben die Eltern Ihre Karriere gefördert?

Mein Weg zum Theater wurde weder befördert noch behindert. Ich bin Ende der Siebzigerjahre aufs Reinhardt-Seminar gegangen und wegen der mir angeborenen asozialen Tendenzen bald wieder rausgeflogen. Nach einem Engagement bin ich bald nach Deutschland gegangen. Ich machte bereits einen Film mit Michael Haneke, „Lemminge“.

Waren Sie wirklich so schlimm?

Ja. Ich war schon ein schrecklicher Schüler und hatte vom Stadtschulrat verordnet in ganz Österreich Schulverbot. Die Matura habe ich dann beim Roland gemacht, eine exzellente Schule. Ich war einfach nicht tragbar. Und wenn Sie meinen, mit dem Namen Manker seien mir dann Türen und Tore offengestanden – schmeck's! Von den Leuten, die die Eltern kennen, sind sehr viele, die einen nicht mögen. Meine Tanzlehrerin hatte einen so tief sitzenden Hass auf meinen Vater, dass sie mir das Studium zur Qual machte.

Wer waren Ihre Kollegen am Seminar?

Zum Beispiel Albert Fortell und Gabriel Barylli. Fortell habe ich ganz gern. Vom ganzen Jahrgang hat er als Einziger noch schlechter getanzt als ich. Barylli war der liebdienerische Musterschüler. Er machte immer schon die Art Theater, die ich gehasst und verachtet habe. Aber er hat eine tolle Karriere, die ich ihm gönne. Er ist sicher der reichste von uns allen. Das braucht er allerdings auch, weil er, glaube ich, schon fünf Mal geschieden ist.

Wie war dann Ihr Wechsel von Wien nach Frankfurt am Main?

Ein Kulturschock, der mir sehr gutgetan hat. Es war riesig was los. Ich habe das zeitgenössische Theater kennengelernt. Neuenfels war dort, und auch Zadek. Im Vergleich dazu war Wien abgeschottet. Ich ging nach Hamburg und München. Dieser Zeit habe ich wahnsinnig viel zu verdanken. Nach Wien wollte ich damals nicht, als kleiner Manker. Bei Peter Zadek habe ich am Deutschen Schauspielhaus drei Jahre gespielt, das war mein längstes Engagement. Er war der wichtigste Regisseur für mich. Ich habe in acht Stücken bei ihm gespielt, darunter auch in „Weiningers Nacht“, das ich später in Wien gemacht habe.

Wann haben Sie beschlossen, nicht nur zu spielen, sondern auch Regie zu führen?

Relativ früh, da hat mein Vater noch gelebt, ich habe einen Film gedreht, „Schmutz“, die Dialoge hat Haneke geschrieben, fast mein ältester künstlerischer Freund. Schon Zadek hat in seinen Memoiren angemerkt, dass ich bei den Proben zu „Baumeister Solness“ 1982 hinter ihm gesessen bin und offenbar mehr wollte. Ich habe dem Meister genau zugeschaut. Das reine Spielen wäre mir zu wenig gewesen.

Ein wesentlicher Teil dieser Arbeit besteht wohl darin, Geld aufzutreiben.

Da gehen heute zwei Drittel der künstlerischen Energie drauf, bei der Akquisition von Geld und Sponsoren. Ich organisiere gern. Aber bei der „Alma“ zum Beispiel, die schon über 400 Aufführungen in fünfzehn Jahren hatte, wurde uns seit drei Jahren für Wien von der Stadt und vom Kulturministerium kein Geld gegeben. Zu hundert Prozent trägt sich solch eine Aufführung aber nicht. Ich will aber nicht hunderttausende Euro, und ich stecke meine Gagen aus Salzburg in das Projekt. Vielleicht gibt es von Wien noch ein Einlenken. Von der Ministerin habe ich nichts gehört.

Würden Sie gerne ein Theater leiten? Da hätten Sie mehr Gestaltungsmöglichkeit.

Ich habe mich sowohl um die Josefstadt als auch um das Volkstheater beworben. Jetzt habe ich die Lust verloren. Schade! Man könnte so viel machen, wenn man ein fixes Haus hat.

Sie wirken oft kontroversiell. Ist das ein Spiel mit der Öffentlichkeit – oder gar echt?

Ich bin jetzt 52 und gelte noch immer als Enfant terrible, oft aus gewissen Anlässen. Inzwischen ist das nur noch albern. Das haben mir Ihre Kollegen angedichtet. Ich bekämpfe dieses Image nicht, das ist mein Markenzeichen. Ich könnte mir aber zum Beispiel nicht leisten, so exzessiv wie Wolfgang Bauer zu leben. Ich saufe nie vor Aufführungen, nicht einmal am Vortag. Bei der Probe kann man schon einmal Champagner trinken, um sich zu lockern.

Sind Sie in diesen Kontroversen beim Einstecken auch so gut wie beim Austeilen?

Ich bin beim Einstecken nicht so gut. Eben erst war ein Prozess, den ich gewonnen habe. Ich war im Internet beschimpft worden. In der Arbeit kann man sich alles sagen, aber wenn ich auf Facebook unter „Ich scheiß auf Paulus Manker“ verunglimpft werde, wenn behauptet wird, dass ich Mitarbeiterinnen sexuell nötige, hört sich der Spaß auf. Deshalb mussten wir eingreifen. Ein Ranking im „Kurier“ mit den unbeliebtesten Österreichern, in dem ich hinter Hitler und Fritzl vorkam, fußt auf diesem Facebook-Eintrag. So etwas ist dann nicht mehr zu beherrschen. Ich komme auch immer bei „Best of Böse“ im „Falter“ vor. Da freue ich mich aber, es stehen keine falschen Sachen drin, wie zum Beispiel Körperverletzung.

Reden wir zum Schluss noch über Ihre Mutter. Sie gilt nicht nur als Volksschauspielerin, sondern ist eine Intellektuelle. Wie sehr wurden Sie von ihr künstlerisch beeinflusst?

Sie ist eine bezwingende Beobachterin dessen, was ich auf dem Theater mache, selbst wenn sie Dinge nicht mag. Ihr Urteil über Theater ist toll und hochintelligent. Man will sie jetzt zwingen, ihre Memoiren zu schreiben.

STECKBRIEF

Biografisches
Paulus Manker,
am 25. 1. 1958 in Wien geboren, ist Schauspieler, Drehbuchautor, Regisseur. Seine Mutter ist die Schauspielerin Hilde Sochor, sein Vater war der Theaterdirektor Gustav Manker.

Literarisches
Bei Amalthea-Signum erscheint die zweite Auflage von Paulus Mankers „Spurensuche“ über seinen Vater, ein reich illustrierter Band: „Der Theatermann Gustav Manker
(1913–1988)“. Die erste Auflage (im Christian Brandstätter Verlag) war nach drei Wochen vergriffen. 40 Jahre lang war
G. Manker dem Volkstheater verbunden, zuletzt als Direktor. Das Buch (Preis:
20 Euro) präsentiert seine Inszenierungen und Bühnenbilder sowie Privates.

4. 12. 2010
Von 14 bis 15 Uhr geben Sochor und Manker eine Signierstunde bei Leporello in der Singerstraße 7.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2010)

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