Mephisto vs. Kardinal: "Nimm es nicht persönlich"

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Unter Kollegen: "Mephisto"-Darsteller und Burg-Star Joachim Meyerhoff traf Kardinal Christoph Schönborn zum Gespärch über die Schönheit des Bösen, das Scheitern auf der Bühne und die Versuchung der Repräsentation.

Joachim Meyerhoff: Ich habe als Schauspieler schon viele Rollen gespielt, und eine meiner wirklich liebsten Rollen war Mephisto. Eine großartige Rolle. Im Theater ist es sowieso ein bisschen so, dass die Bösen interessanter sind als die sogenannten „Guten". Warum fühle ich mich so belebt, wenn ich das Böse spiele? Was denken Sie, warum ist das für einen Schauspieler so toll?

Kardinal Christoph Schönborn: Ich glaube, es ist einfach der Kontrast, der so spannend ist. Es ist das Abgründige, das Unheimliche, das Ausloten dessen, was alles da ist, auch in einem selber. Es ist ja nicht nur im Mephisto, es ist ja in mir selber. Und es ist meistens ein Teil, den man nicht sehr gerne anschaut.

Also, Sie würden von sich durchaus sagen, dass Mephisto, der ja der Teufel ist, ein Teil von Ihnen ist?

Das alles gibt es in uns, zweifellos. Es gibt ein berühmtes Buch von Max Picard: „Hitler in uns selbst". Solschenizyn stellt sich in „Archipel Gulag" ein ganzes Kapitel lang die Frage: Warum bin ich auf der guten Seite gewesen? Wo war die Weggabelung dafür, dass es in diese Richtung ging?

Würden Sie das Böse als ein Defizit an Gutem beschreiben, oder ist das Böse eine existente, substanzielle Kraft? Ist es da?

Das Böse ist zweifellos da. Ich würde auch ganz ausdrücklich sagen, der Böse ist da, denn Mephisto ist ja nicht nur einfach eine Macht, die stets verneint, sondern er ist eine Person. Das glaubt das Judentum, das glaubt das Christentum, das glaube ich auch persönlich, dass es den Bösen gibt. Dass das eine Realität ist. Nur genügt es nicht, ihn nach außen zu verlegen und zu sagen, dass das jemand anderer, etwas anderes ist - ich muss immer auch darauf schauen, dass es das in mir gibt.

Könnte man also sagen, dass der personifizierte Teufel in uns reingewandert ist? Geht der so in uns rein? Denn wir glauben ja nicht mehr so richtig an ihn, auch die Kirche nimmt den Teufel als Teufel nicht mehr so ernst.

Das nimmt sie schon ernst. In jeder Diözese - auch in der Erzdiözese Wien - soll es einen Exorzisten geben, der sich auch mit dem seltenen, aber doch realen Phänomen der Besessenheit befasst. Ich glaube, da braucht gar nichts in uns hineingekommen zu sein, das ist in uns drinnen. Die jüdische Tradition spricht von den beiden Trieben Jezer Hara und Jezer Tov, dem guten Trieb und dem bösen Trieb. Kant spricht von der Neigung zum Bösen und der Neigung zum Guten. Paulus sagt: „Ich spüre in mir ein Gesetz: Das Böse, das ich nicht will, tue ich, und das Gute, das ich will, tue ich nicht."

Es hat mich wirklich erstaunt, dass die Leute diesen Mephisto, das Böse so lieben. Scheinbar, weil es so lebendig ist. Das Theater ist dafür ein toller Ort. Wenn man das Böse einmal sieht, in seiner ganzen Schönheit, in seiner Lebendigkeit, dann ist es auch ein großer Verführer.

Schönheit? Ich würde eher sagen: mit seinem Glanz, oft Talmi-Glanz. Aber es gibt natürlich auch die bösen Figuren, Macbeth oder Richard III., die wirklich böse sind, da geht dann auch Faszination verloren.

Ja, aber das steht natürlich bei Shakespeare in einem völlig anderen Kontext. Goethe weist mit der Mephisto- Figur viel deutlicher ins Zentrum der Kirche. Ich habe noch eine andere Frage: Wenn Sie eine Predigt halten, haben Sie - das ist ja auch vor einer versammelten Kirche durchaus etwas Ähnliches, was ich auch tue - ja auch einen Auftritt. Haben Sie schlechte Vorstellungen?

Sehr.

Ja? Beschreiben Sie einmal, was ist eine schlechte Vorstellung für Sie?

Ich sage, was eine gute Vorstellung ist. Die Liturgie ist ja ein Ganzes. Die Liturgie ist dann eine gute gewesen, wenn die Spannung nicht wegbricht.

Die Liturgie ist als Ritual dadurch, dass es jedes Mal wieder den Gehalt finden muss, tatsächlich gefährdet wegzubrechen?

Ja.

Und dann wird sie ein hohles Ritual?

Sie bleibt immer ein erfülltes Ritual, weil im Unterschied zum Theater in der Liturgie das Sakrament da ist. Das heißt, was gespielt wird, ist auch wirklich da. Aber wenn das Spiel schlecht ist, wenn die Akteure zum Beispiel innerlich einfach nicht dabei sind, wenn sie hohl sind, wenn die Gesten mechanisch sind, dann ist der glühende Kern oft wirklich nur mehr mit dem nackten Glauben zu fassen - gegen alle äußere Trockenheit.

Das ist eine sehr gute Beschreibung einer schlechten Theateraufführung. Wenn es hohle Gesten werden, der glühende Kern nicht da ist, die Beseelung nicht stattfindet, dann gibt es bei uns, da haben Sie wahrscheinlich recht, nicht einmal die Hostie, in der sich noch für sich etwas verbirgt.

Und das Spannende in der Liturgie ist eben, dass der Teilnehmer trotz der schlechten Performance der Akteure und der Hohlheit ihrer Gesten und ihrer Worte zu dem glühenden Kern durchstoßen kann, weil der real da ist.

Aber vielleicht ist das genau das Risiko. Weil das im Zentrum real da ist, gerät man drumherum in die Hohlheit. Weil man weiß, dass das Zentrum, wenn man denn glaubt, intakt ist.

Sie können sich im Theater viel weniger leisten, dass die Akteure nachlässig werden. Natürlich merken auch wir, wenn das Publikum wegbleibt. Das hat etwas mit dem eigenen Versagen zu tun.

Für mich hat es ganz stark mit der Sprache zu tun, der Text ist oft schlecht.

Ja.

Wenn wieder einmal über Licht und Dunkel gesprochen wird, habe ich das Gefühl, dass man in diesen relativ einfachen lyrischen Metaphern doch irgendwie unterbedient wird.

Es gibt eine Erfahrung bei der Predigt, die kennen Sie vom Theater auch, wenn die Stille dicht wird.

Natürlich. Das sind große Momente.

Wenn sozusagen atemlose Stille da ist, dann merkt man, dass das Wort getroffen hat, man merkt aber auch, dass einem eine Verantwortung in die Hand gegeben ist, mit der man nicht leichtfertig umgehen darf.

Wenn ich eine schlechte Vorstellung spiele, dann kommt danach der Regisseur und benennt das. Und dann wird er sich die nächste Vorstellung ansehen und kontrollieren, ob ich das versuche anders zu machen. Wie ist Ihr Zugriff?

Gering.

Sehr gering?

Zu gering. Es fehlen die Kontrolle, das Feedback. Manchmal trauen sich die Gläubigen, das zu benennen. Aber es wird viel zu selten gemacht. Wir arbeiten deshalb jetzt mit allen Akteuren der Liturgie - nicht nur den Priestern, sondern den vielen anderen Akteuren wie etwa Lektoren - an einer Erhöhung der Professionalität. Das braucht es einfach.

Haben Sie das Gefühl, das wird zu laienhaft gemacht?

Zu wenig liebevoll den Empfängern gegenüber. Wenn ich eine Wertschätzung für das Publikum habe - in diesem Fall für die Teilnehmer an der Liturgie -, dann wird es mir ein ganz großes Anliegen sein, dass der Dienst, den ich in dem Schauspiel mache, dass der wirklich beseelt ist, dass der gut wird.

Das Wort „beseelt" hat bei uns im Theater wirklich auch eine große Bedeutung. Es ist entscheidend, dass die Dinge beseelt sind. Das trauen Sie sich zu sagen?

Das traue ich mir sofort zu sagen. Wenn ich will, dass etwas sprachlich und physisch und intellektuell durchdrungen ist, würde ich da den Gesamtbegriff der „Beseeltheit" wählen, ich würde sagen, dass eine Rolle dann beseelt ist.

Gehen Sie ins Theater?

Zu wenig.

Aber viel zu wenig heißt ja „Ja".

Ja, ich gehe ins Theater.

Dann erzählen Sie mir doch von einem Theatererlebnis.

Ein großes Theatererlebnis war für mich die „Meisterklasse" mit der Andrea Eckert, also dieses Maria- Callas-Stück. Ein köstliches Theatererlebnis war vor einiger Zeit „Das Konzert" von Hermann Bahr, eine Komödie, 1909, erfrischend, ja. Und dann natürlich alle Turrini-Stücke, fast alle habe ich gesehen.

Ich habe in Wien immer das Gefühl, dass Theater und Kirche hier irgendwie ganz schön zusammengehören.

Die Zeit, da die Ernennung eines Burgtheater-Direktors wichtiger war als die Ernennung eines Bundeskanzlers, die ist leider vorbei.

„Leider", sagen Sie. Aber wenn man jetzt zum Beispiel einen Bundeskanzler nimmt und einen Burgtheater- Direktor und Sie, die für drei so völlig verschiedene Welten stehen, da gibt es eigentlich keinen Kontakt, oder? Eher noch zwischen Ihnen und dem Bundeskanzler.

Ja, den gibt es, sehr regelmäßig. Ich gestehe, mit Peymann hatte ich eigentlich öfter Kontakt, über Rudi Scholten und Peter Turrini. Aber es ist nicht meine Lebenswelt. Obwohl ich einen Bruder habe, der Schauspieler ist...

Sehen Sie sich den im Fernsehen an?

Muss ich denn alles hier beichten?

Ach, haben Sie das Gefühl, das ist eine Beichte? - Nein, überhaupt nicht.

Ich gestehe, dass ich sehr wenig fernsehe...

Na, das muss man nicht gestehen...

...und gestern war, scheint's, ein Krimi, bei dem er mitgespielt hat, und ich habe ihn wieder nicht gesehen.

Aber Ihr Bruder ist Ihnen nicht fremd dadurch, dass er diesen Beruf ausübt?

Nein, im Gegenteil, wir tauschen uns sehr viel über die Erfahrungen zwischen Liturgie und Theater aus. Ich sage etwas ironisch zu ihm: Das Stück, das wir aufführen, spielen wir seit 2000 Jahren, und im Durchschnitt ist der Publikumserfolg nicht nachlassend. Das kriegt kein Theater zustande.

Oh doch! Wir spielen doch Stücke, die sind auch so alt.

Ja, aber nicht jeden Tag und an so vielen Spielorten.

Da haben Sie natürlich recht. Als Kardinal sind Sie ja der Träger dieser Würde, ein Würdenträger. Sind Sie das rund um die Uhr, oder können Sie nach einer Vorstellung so wie ich mein Kostüm wo hinhängen, und dann kommt noch ein anderer Mensch zum Vorschein?

Das hat zwei Ebenen. Ich würde zuerst einmal sagen, ich repräsentiere etwas, was Sie nicht unbedingt als Schauspieler repräsentieren. Sie haben eine Rolle, aber ich habe eine Repräsentation. Ich war in Sri Lanka in einem kleinen Bergdorf bei ganz armen Teeplantagenarbeitern. Die hatten ungeheure Vorbereitungen gemacht, es war das erste Mal, dass ein Kardinal in dieses Dorf gekommen ist. Als wir zur kleinen Dorfkirche kamen, flüsterte der alte Jesuit, der Pfarrer dort, ein großartiger Mann, mir ins Ohr: „Glauben Sie nicht, dass die Leute das für den Christoph Schönborn gemacht haben, das haben sie für Jesus Christus gemacht."

Der sagte: Nimm es nicht zu persönlich.

Ja, nimm es nicht persönlich. Du repräsentierst für diese Menschen Jesus Christus. Und darum haben sie diesen unglaublichen Aufwand betrieben.

Ich merke, dass wir am Theater durchaus aus dem christlichen Kontext entliehene Worte verwenden: Das hat mit Demut zu tun, gegenüber einer Rolle, einer großen, fantastischen Rolle.

Ja, diese Rolle, diese Repräsentationsrolle, erfordert Demut. Aber es gibt dann ja auch die Zeit, wenn ich zum Beispiel bei meiner Familie einfach der Christoph bin. Oder auch im Kreis von Freunden.

Und haben Sie dann das Gefühl, es ändert sich für Sie auch etwas?

Ich erlebe mich selber durchaus in meiner Repräsentation als so unzulänglich gegenüber dem, den ich repräsentiere, dass es mir nicht allzu schwerfällt, in die Alltäglichkeit meiner selbst zurückzukehren.

Empfinden Sie das als Belastung? Die dann abfällt - jetzt kann ich wieder nur ich sein. Es muss ja anstrengend sein, 24 Stunden am Tag Jesus Christus zu repräsentieren.

Ja und nein. Es ist natürlich auch etwas Berührendes, wenn man sich bewusst bleibt, dass es wirklich Repräsentation ist. Mir hat Nixons früherer Finanzminister einmal gesagt: „Das große Elend ist, wenn Repräsentanten ihre Repräsentation mit ihrer Person verwechseln."

Aber man sieht immer wieder, dass es passiert.

Das wird dann auch peinlich. Papa Giovanni, der selige Papst Johannes XXIII., hat dieses wunderbare Wort gesagt: Als er nicht schlafen konnte unter der Last seines Amtes, hat er zu sich selber geredet und gesagt: „Also, Giovanni, wer leitet die Kirche, du oder Christus? Also nimmt dich doch nicht so wichtig."

Das war auch bei Ratzinger so: Als er gehört hat, dass er Papst wird, hat er vor der Riesenrolle, die er da bekommen hat, einen richtigen Schock gekriegt: quasi die größte Rolle der Welt, die man bekommen kann.

Er hat vom „Fallbeil" gesprochen. „Als ich sah, dass das Fallbeil auf mich zukam..."

Die Angst vor dem Scheitern. Ich finde, in meinem Leben bedeutet das sehr viel. Ich schreibe wie Sie auch. Wenn man sich als Autor versucht, ist das Scheitern ein großer Bestandteil. Was ist das für Sie?

Die Barmherzigkeit Gottes ist das einzige Remedium, dass ich auch scheitern darf. Ich muss nicht der Musterschüler des lieben Gottes sein.

Aber was ist das Scheitern? Was Sie sagen, beantwortet die Frage, wie man mit dem Scheitern umgehen kann. Aber worin besteht es?

Es gibt das objektive Scheitern, wenn man etwas einfach schlecht gemacht hat.

Was? Was läuft schlecht?

Zum Beispiel eine Personalentscheidung, die einfach falsch war. Da hat man in das Leben eines Menschen eingegriffen, oder vielleicht vieler Menschen. Das ist schrecklich! Und das muss auch als das akzeptiert werden, was es ist. Es ist ein Flop, es ist ein Fehler, es ist vielleicht sogar eine Sünde gewesen, zu wenig nachgedacht, zu wenig hingeschaut. Und dann gibt es einfach das Scheitern, das darin besteht, dass wir grundsätzlich unzulänglich sind.

Aber die Unzulänglichkeit ist nicht eine im Glauben, oder? Dostojewski hat in „Die Brüder Karamasow" immer gesagt, seinen Glauben begreift er eigentlich als das Ringen um den Glauben. Aber Ihr Glaube ist fest, oder ist das eine wackelige Angelegenheit?

Der heilige Thomas von Aquin sagt das wunderbar: „Vom Objekt her ist der Glaube das Festeste, was es gibt. Aber von der Art und Weise, wie wir ihn leben, ist er etwas sehr Wackliges." Das heißt, Gott ist absolut zuverlässig, mein Vertrauen ist sehr unzulänglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2011)

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