Manuel Legris: "Wiener werden Jerome Robbins lieben"

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Manuel Legris will kein Schreibtischdirektor sein. Deshalb trainiert er täglich mit den Tänzern. Im Interview spricht der Wiener Ballettchef über den Vorteil von Hierarchien, teure Tickets und den Weg zum Ruhm.

Die Presse: Sie sind bei der Opernballeröffnung aufgetreten und werden bei der Nurejew-Gala im Juni tanzen. Werden wir Sie öfter sehen?

Manuel Legris: Als Dominique Meyer mich fragte, ob ich Ballettdirektor in Wien werden möchte, war ich Étoile an der Pariser Oper. Er hat mir sehr bestimmt erklärt: „Ich will aber einen Direktor, keinen Tänzer.“ Als ich dann in Wien war, meinte er nach ein paar Monaten: „Ich glaube, die Leute wollen dich sehen.“ Da habe ich ihm die Idee mit dem Opernball vorgeschlagen – und habe danach ein gutes Feedback bekommen. Aber nach der Nurejew-Gala habe ich keine weiteren Pläne. Ich weiß nicht, ob ich im nächsten Jahr wieder auf der Bühne stehen werde.

Geht sich regelmäßiges Training als Tänzer für einen Ballettdirektor überhaupt aus?

Mein Tag dauert, wenn Vorstellung ist, von neun Uhr morgens bis elf am Abend. Ich komme um neun und fange an zu planen. Dann trainiere ich täglich eine Stunde mit den Tänzern. Das war am Anfang nicht leicht, weil ich ständig an die Arbeit gedacht habe – da ist es schwer, sich auf sich selbst zu konzentrieren. Danach gehe ich wieder ins Büro, besuche Proben, arbeite mit den Tänzern, zeige oft etwas vor – das hält fit.

Nächste Woche hat die „Hommage an Jerome Robbins“ Premiere. War es schwer, die drei Stücke nach Wien zu bekommen?

Ja, es ist sehr schwer, die Rechte zu bekommen. Die Pariser Oper durfte zunächst zwei Saisonen lang nur ein Stück von Robbins zeigen – erst dann gab er den Sanktus für einen ganzen Abend. Aber die Leute, die heute darüber entscheiden, kennen mich und wissen, dass ich sehr verantwortungsvoll mit Choreografien umgehe. Jerome Robbins war sehr musikalisch – die Wiener werden ihn lieben: Wir zeigen „Glass Pieces“ zu Musik von Philip Glass, dazu „In the Night“ und das humorvolle Stück „The Concert“ – beides zu Musik von Frédéric Chopin. Das wird ein großartiger Abend.

Sie haben aus der Kompanie in kurzer Zeit viel herausgeholt. Wie ist das gelungen?

Ich schaue bei den Proben und beim Training zu, erarbeite Stücke mit den Tänzern. Ich habe nur eine Solistin – Liudmila Konovalova – neu aufgenommen. Alle anderen waren schon da. Wenn man die Tänzer gut kennt, sie in den richtigen Rollen einsetzt, sind sie am besten. Das kann man nicht vom Schreibtisch aus, da muss man mittendrin – und auch ein wenig Psychologe – sein.

Sie haben das Hierarchiesystem von Paris an die Staatsoper mitgebracht und zwei erste Solotänzer bzw. zwei erste Solotänzerinnen ernannt.

Das ist keine Pariser Spezialität. Das ist überall auf der Welt so – nur in Wien war es anders. Früher gab es in Wien viele Gasttänzer und ein großes Corps de Ballet. Da kann man nicht erwarten, dass die Tänzer gleich viel Anstrengung in die Arbeit stecken, um vielleicht irgendwann solo tanzen zu dürfen, wie wenn sie wissen, es gibt die Möglichkeit, zum Étoile aufzusteigen. So gibt man den Tänzern die Chance zu wachsen. Aber ich will das auch nicht überstrapazieren: Es können nur jeweils drei oder vier erster Solist bzw. erste Solistin sein, weil man denen ja dann auch etwas bieten muss – finanziell und von den Rollen her.

Gibt es an international renommierten Häusern Tänzer, die Sie gern abwerben würden?

Finanziell hätte ich vielleicht die Möglichkeit. Aber für mich ist es interessanter, mit meiner Arbeit die Kompanie hier zu entwickeln.

Haben Sie darüber nachgedacht, das Ballett auch einmal Zeitgenössisches tanzen zu lassen – z. B. um auch ein jüngeres Publikum anzusprechen?

Erst einmal geht es darum, das Vertrauen der Tänzer und des Publikums zu gewinnen. Die Leute müssen es genießen, wenn sie unser Ballett sehen, und sich gleich auf das nächste freuen. Erst wenn dieses Vertrauen da ist, kann man auch einmal ein Experiment machen – das ist ein Prozess. Außerdem kann man auch nicht jedes Stück in jedem Haus aufführen – an der Staatsoper erwartet das Publikum „Schwanensee“. Außerdem ist die Staatsoper für viele junge Leute zu teuer. Aber ich kann mir vorstellen, an einer anderen Spielstätte einmal etwas Neues auszuprobieren – warum nicht mit Impuls-Tanz? Konkrete Pläne gibt es nicht.

Gibt es internationale Kooperationen oder Einladungen? Wie weit ist der Weg zum Ruhm?

Ich hatte zum Beispiel für „Don Quixote“ die Chinesin Qimin Wang engagiert. Sie ist zwar nicht so bekannt, aber eine sehr gute Tänzerin – und dadurch ergibt sich vielleicht die Möglichkeit für meine Tänzer, auch einmal in China aufzutreten. Wir haben schon Einladungen – mit der Jerome-Robbins-Hommage nach Monte Carlo und mit der „Fledermaus“ und einer Gala nach Tokio. Vielleicht kommen welche nach Paris oder ans Mariinski-Theater. Das werden wir aber erst entwickeln. Zunächst müssen wir an der Basis arbeiten und zeigen, dass Wien ein tolles Ballett mit tollen Tänzern hat.

Der Wiener Ballettchef und seine Saison 2011/12

Manuel Legris (*1964, Paris) war Danseur Étoile (erster Solist) der Pariser Oper und ist seit September 2010 Chef des Wiener Staatsballetts.
In der Spielzeit 2011/12 neu an der Staatsoper: „La Sylphide“ (Premiere: 26.10.2011), eine „Hommage an Roland Petit“ (12.2.2012) und eine Nurejew-Gala (23.6.2012). Wiederaufnahmen: „Dornröschen“ (21.12.2011), „Anna Karenina“ (24.3. 2012). An der Volksoper hat ein Ballettabend Premiere: „Carmina Burana“, „Nachmittag eines Fauns“, „Bolero“ (2.3.2012).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2011)

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