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Konzert in Wien: Es ist ein Kreuz mit Madonna

Konzert Wien Kreuz Madonna
Konzert Wien Kreuz Madonna(c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET)
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Mit viel Verspätung ließ die Starsängerin im schwach gefüllten Praterstadion ihre Show abrollen: ein heillos überladener Zirkus der Zitate und Symbole.

Ja, auch das viel debattierte Hakenkreuz blinkte kurz auf, auf Madonnas Stirn oder auf der von Marine Le Pen, so genau konnte man das nicht sehen. Sakral oder säkular, links oder rechts, politisch oder postpolitisch, fix oder foxy, vor Madonna ist kein Symbol sicher. Das Kreuz schon gar nicht: Auf dem, unter dem sie zu Beginn ihrer aktuellen Show mit ihren Tänzern rangelt, steht dort, wo man anderswo „INRI“ liest, „MDNA“. Das soll die DNA, den Markenkern der Marke Madonna bedeuten, und das könnte man als geistreiche Provokation verstehen, wenn in dieser Show irgendetwas den Eindruck vermitteln würde, dass so etwas wie ein Gedanke dahinterstünde.

Aber nein, da steht nichts. Man muss sich nicht überlegen, wie das christliche Beichtgebet und die jüdische Sabbathymne „Lecha Dodi“ in dem düster dräuenden Eröffnungsstück zusammenpassen. Man muss nicht darüber grübeln, wieso die Hotelzimmer-Gewaltorgie in „Gang Bang“ just unter dem riesigen Kreuz stattfinden muss, wieso Madonna sich in „I'm A Sinner“ unter dem Beistand von indischen Yogis zur reulosen Sünderin erklärt, wieso sie gleich danach „Like A Prayer“, in dessen Video einst die Kreuze brannten, als (wirklich eingängiges) Spiritual mit Nonnenchören inszeniert . . .

Wetten, dass sie es selbst nicht weiß. Dass sie als Produkt einer strengen katholischen Erziehung es halt irgendwie geil findet, ihren Zirkus mit religiösen Anspielungen aus allen Glaubensrichtungen vollzustopfen. Zu diesem haltlosen Synkretismus passt das ästhetische Chaos: Von Gotik zu Gothic, von Pop-Art zu Neo-Geo, jeder auf dem freien Markt erhältliche Stil muss her.
Das Utensil, das man im Praterstadion mit Abstand am längsten sah, war übrigens passenderweise ein riesiges Weihrauchfass, das über der Bühne baumelte, bis die Show endlich begann. Mit 70 Minuten Verspätung. Die sich vielleicht dadurch erklären lassen, dass Madonna etwas ungnädiger Laune war, weil das Stadion durchaus nicht gut gefüllt war. Oder weil sie sich an das „exklusive“ Konzert vor drei Tagen in Paris erinnerte, das sie nach vielen Buhrufen vorzeitig abgebrochen hatte.

Weltverbesserung und Sadomaso

Das seien eben keine richtigen Fans gewesen, erklärte sie in Wien mit ehrlicher Empörung: „With my complete heart and soul, 300 percent“ erledige sie stets ihren Job, den sie so beschrieb: „Überall, wo es dunkel ist, muss ich Licht bringen.“ Dieser im Wortsinn luziferischen Mission möge sich auch das Publikum widmen: „It's your job to bring the light, to change the energy, to make the world a better place!“

Wer wollte dem widersprechen? Über diesen (in den Achtziger- und Neunzigerjahren gern betrampelten) Gemeinplatz geht der Glaubensinhalt Madonnas auch kaum hinaus. Dazu kommt nur ihr wichtigster Imperativ: Man möge sich selbst ausdrücken, ausleben. „You punished me for telling you my fantasies“, singt sie in „Human Nature“. Die Fantasien, die sie meint, sind offensichtlich großteils sadomasochistisch gefärbt: Sie lässt sich fesseln, befreit sich, lässt sich fesseln, erschießt den Fessler, lässt sich fesseln, zeigt ihren Hintern, . . . „No fear“ stand dabei auf ihrem Rücken, und man wollte ihr schon zurufen: Nein, Madonna, wir fürchten uns nicht vor Ihnen, und, ja, Sie sind noch gut beieinander, Respekt und Kompliment!
Komplimente ob ihrer gut gepflegten Muskelmasse und ihrer Geschicklichkeit verdienen auch die Tänzer. Die von Madonna zu diversen Dienstleistungen herangezogen wurden und sich auch in verschiedensten Kutten bewährten. Vorbildlich flexibel, Burschen, so bringt man Licht ins Dunkel.

Noch ein paar Worte zur Musik? „Like A Virgin“ funktioniert als langsamer Walzer gut (und erlaubt Madonna, sich ausgiebig zu räkeln), „Masterpiece“ ist ein wohlig weiches Stück Kitsch, „Vogue“ sticht durch kluge rhythmische Variationen heraus, „Express Yourself“ ist einfach unwiderstehlich. Der Techno-Pop in den neueren Songs ist durchaus nicht schlechter als das, was man in den Hitradios sonst hört. Wenn er, wie manche beklagen, „seelenlos“ sein soll, passt das: zur erschreckenden Geistlosigkeit dieses Zirkus. 300-prozentig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31. Juli 2012)

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