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Patti Smith: Die Zukunft der Grauen Panther

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Patti Smith zelebrierte eine Feldmesse zwischen zähnefletschendem Punk-Gestus und wonniger Hippie-Ideologie. Und sang vielen Toten nach, auch einem Hund.

Das Erstaunlichste an der immerhin auch schon 65-jährigen Patti Smith ist vielleicht, welch jugendliche Hitze ihre Predigerstimme immer noch abstrahlt. Der Bildgewalt ihrer Sermone beugten sich an diesem schönen Spätsommerabend locker drei Generationen. Wissbegieriges FM4-Volk, ergraute Zopfmädchen, wohlsituierte Studienräte und rechtschaffen aufgedunsene Hells Angels standen in trauter Eintracht nebeneinander.

Ja, Patti Smith verbindet gerne, was die Gesellschaft auseinanderdividiert. Am liebsten Außenseiter. Soziale Empathie und Integrationsgeist zeichnete schon ihr Frühwerk aus, das von der Beatnik-, der Hippie- und der Punkkultur geprägt war. Zu Unrecht wurde sie als „Punk Queen“ punziert. Sie war stets mehr. Schriftsteller William Burroughs machte ihr Mut, ihren Hang zum rauschhaften In-Zungen-Reden zu kultivieren. So entstanden epische, metaphernreiche Stücke, mit denen sie sich zunächst furios flüsternd immer mehr in Rage brachte. Von „Birdland“, wo sie Wilhelm Reich im UFO auf die Erde zurückholte, bis zu „Constantine's Dream“, das u.a. Franz von Assisi und Christoph Columbus zusammenbringt.

Elegie auf Maria Schneider

Gern weint sie auch weitergezogenen Seelen nach. Schon ihr erstes veröffentlichtes Gedicht „Bird Is Free“ handelte vom Tod, nämlich jenem des Jazz-Ikonoklasten Charlie Parker. Als Musikerin blieb sie der Elegie treu, betrauerte in Songs die jung verstorbenen Kollegen Brian Jones, Jimi Hendrix, Kurt Cobain. Auf ihrem aktuellen Album „Banga“ treibt sie es mit der Kunst des musikalischen Epitaphs besonders weit. Sie gedenkt des großen russischen Filmregisseurs Andrej Tarkowski, der Soul-Rebellin Amy Winehouse und ihrer Freundin, der Schauspielerin Maria Schneider. Die von Elias Canetti in seinem Opus „Masse und Macht“ decouvrierte geheime Genugtuung, die das Überleben bringt, formulierte Smith im an diesem Abend gesungenen „Maria“ ganz simpel so: „We saw ourselves, raw, exciteable, I knew you when we were young, now you're gone.“

Mit solch virtuellen Tänzen auf Gräbern von Seelenverwandten mutet Smith ganz schön wienerisch an. 1978 trat sie erstmals im Wiener Konzerthaus auf. Schon damals propagierte sie den Aufbruch. 34 Jahre ist ihr Projekt das gleiche: „Do you like the world around you?“, rief sie: „Change it. You are the future!“ Da war die Graue-Panther-Fraktion im Publikum ganz schön gerührt. Zumindest auf Dauer des Refrains von „People Have The Power“ war man plötzlich wieder die Zukunft. Ja, oft erwächst aus gedanklicher Schlichtheit wahres Glück.

Doch vielleicht sollte Smith nicht zu viel zwischen den Songs sprechen. Wenn sie zum Fall Pussy Riot meinte, dass Gebete niemandem Angst machen sollten, dann klang das ein wenig wie ein offizielles CIA-Statement. Und ja, ihr geliebter Schlingensief war auch eher nur die moderne Ausgabe eines Hofnarren als ein wirklicher Rebell. Langzeitfans verziehen ihr den Umgang mit diesem theatralischen Poseur. Viel wichtiger ist, dass es so kraftvolle neue Lieder wie „Banga“ gibt. Der großartige, unheimliche maschinelle Unterton dieses Songs belebte die Menge, obwohl die Melodie ein wenig ratlos schlingerte. „Loyality lives and we don't know why“ formulierte Smith in dieser Eloge auf den Hund einer Bulgakow-Romanfigur.

„Ghost Dance“, „Rock'n'Roll Nigger“

Ein besonders schöner Moment glückte auch, als Smith sich als melodieverliebte Sirene gerierte und den haltlosen Wandererotiker lockte: „Come be my April fool, come we'll break all the rules.“ Wer wollte da nicht gleich alles liegen und stehen lassen? Von der Kompliziertheit des irdischen Lebens lenkte das verträumte „Ghost Dance“ geradezu ideal ab: „We shall live again“ versprach Smith und murmelte die rätselhafte Formel „Tayi, taya, taye, aye...“

Als Schlussnummer dann noch die große Außenseiterhymne „Rock'n'Roll Nigger“: „Outside of society, that's where I want to be“ schrie sie da. Es war wohl weniger die Sehnsucht einer Etablierten nach der Wildheit ihrer frühen Jahre als die gespürte Verpflichtung, den Furor ihrer ersten Alben auch der jungen Generation vorzuleben.

Ja, und einen neuen Toten konnte sie auch begrüßen: Astronaut Neil Armstrong. Zuversichtlich rief sie ihm aufmunternde Worte ins Reich der Geister nach. Von der Ganztodtheorie, die mehr und mehr auch unter christlichen Gläubigen Anhänger findet, will eine Patti Smith nichts wissen. Ihre bewundernswerte Naivität wird sie in diesem Leben nicht mehr los.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2012)

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