Pop

Konzert: Mika streute Feenstaub

(c) Samir H. Köck
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Der Sänger euphorisierte bei seinem Konzert im Wiener Gasometer. Dem 29-Jährigen geht es darum, das Kind in seinen Hörern wachzurütteln. Mit der „Presse“ sprach Mika zuvor über Leben und Liebe.

„Zucker verwende ich wie eine Droge – extrem sparsam“, sagt der britisch-libanesische Star. Blickt man an seinem hageren Leib hinab, besteht kein Zweifel, dass er sich dem strengen Regime unterzieht. Was ihn vor Unterzuckerung schützt, ist wohl die Übersüße seiner Musik. Da frohlocken Marimbas, glucksen Klaviere, fiepsen Keyboards, und hoch über allem heult seine Stimme, als müssten Tote erweckt werden. In gewisser Weise trifft dies zu. Dem 29-Jährigen geht es darum, das Kind in seinen Hörern wachzurütteln. „Es ist niemals tot, nicht einmal bei den verstocktesten Spießern. Die Kunst kennt viele Möglichkeiten, verhärtete Seelen wieder an ihr Kindheitsverhalten andocken zu lassen. Ein guter Song muss atypisches, unreifes Verhalten auslösen“, sagt er der „Presse“ vor seinem Konzert im Gasometer. Und so startete er mit seinem größten Hit „Grace Kelly“. Darin heißt es schön bekenntnishaft: „I tried to be like Grace Kelly, but all her looks were too sad, so I tried a little Freddie, I've gone identity mad!“

Wozu nur einer sein wollen, wenn man mehrere sein kann? Schon musikalisch. Mikas kapriziöser, sirenenhafter Gesangsstil hat viel vom ehemaligen Queen-Sänger, aber man hört auch reichlich andere Einflüsse in diesem melodiesüchtigen Pop heraus: die Rubettes, Gilbert O'Sullivan und vielleicht sogar die Wombles, diese Retortenkombo der Siebzigerjahre.

Mika erzählt gern von seiner Kindheit, davon, dass er kaum auf den Spielplatz ging, weil er sich die schönsten Fantasiewelten zu Hause erdichten konnte. Er hatte auch große Anpassungsprobleme in der Schule. Längst vergessen. Heute lechzt die Popwelt nach seinen charmant versponnenen Liedern. Den Fans kann die Architektur der Songs nicht verstiegen genug sein. Nur zu gern tänzelte das Wiener Publikum ins Ungewisse, als tappte es in einem Treppenhaus von M. C. Escher herum. Immer wieder löste Mikas konsequent jubilierende Musik eine Art Rasen aus. Besonders intensiv bei „Relax, Take It Easy“, „Love Today“ und „Rain“, seinem vielleicht schönsten Song. Zum infektiösen Refrain „Baby, I hate days like this“ lachten sich viele sorglos das Zahnfleisch frei.

Woher rührt diese euphorische Kraft? Ist Mika auf Kriegsfuß mit dem Unglücklichsein? Der 29-Jährige lehnt den Kopf zurück: „Wohl nicht“, gibt er zu bedenken, „denn das würde das Unglücklichsein als etwas Negatives darstellen. In Wahrheit ist es eine der wertvollsten Quellen für tiefe Gefühle. Freude wäre ohne solche Phasen nicht möglich. Außerdem ist die Euphorie in meinen Lieder definitiv sinister. Sie kann dich jederzeit dazu verleiten, Blödsinn zu machen.“

„Ich lebe wie ein Eremit, und das gern“

So sind die vordergründig weltumarmend klingenden Lieder des neuen Albums „The Origin of Love“ eine Fundgrube für psychotische, ironische oder bittere Schlachten auf dem Feld der Liebe. „Sie ist doch nur ein Phantom, dem wir nachjagen, ohne es wirklich zu erwischen.“ Nachsatz: „Ich lebe wie ein Eremit, und das nicht ungern.“ Auf der Bühne wenigstens liebt er Gesellschaft. Via Internet hat er Fans aufgerufen, sich als Chor zur Verfügung zu stellen. Sechs Wienerinnen schafften es. In getupften Kutten heulten sie gegen jede Vitalverstimmung an. Besonders schön glückte dies bei „Lola“.

Überhaupt waren die Highlights breit gesät. Zu ihnen zählte das hämische „Love You, When I'm Drunk“, bei dem tapfer gegen die Gemütsverfinsterung im nüchternen Zustand gekämpft wird. In seinem Übermut zelebrierte Mika auch das im Stil eines Trinklieds vorgetragene „Toy Boy“. Das den Teenagewahnsinn propagierende „We Are Golden“ bestäubte die Fans zum Schluss mit Feenstaub. Schöner kann Eskapismus nicht sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2012)

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