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Stones-Konzert: Mick Jagger verlässt die Bühne zuletzt

StonesKonzert Mick Jagger verlaesst
StonesKonzert Mick Jagger verlaesst(c) REUTERS (TOBY MELVILLE)
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50 Jahre Rolling Stones. Das erste „offizielle“ von fünf Jubiläumskonzerten fand am Sonntag in London statt. „Die Presse“ erlebte eine stimmige Tour d'Histoire. Und einen Sänger, dessen Beine nicht aufhören wollen.

Wie geht's dort oben auf den billigen Plätzen?", rief Mick Jagger, nach einem anständig durchjagten „Get Off Of My Cloud", in ironisch devoter Pose. Und fügte rasch hinzu: „Ich weiß, sie sind nicht wirklich billig, das ist das Problem."

Tatsächlich: Dieses erste „richtige" Jubiläumskonzert der Rolling Stones (nach einem kleinen Überraschungsauftritt in Paris und einem Exklusivkonzert für einen Immobilienkonzern ebendort) war durchaus kein preisgünstiges Event: Da saßen so manche im vierten Rang der imposanten O2-Halle, knapp unterm Plafond, die über 500 Euro bezahlt hatten. Und über Jaggers Bemerkung nur bitter lachen konnten. Aber auch sie standen zehn Minuten später auf, beim nur fünften Song, dem schmerzlich schönen „Gimme Shelter", begeistert von Jaggers Ringen mit den Dämonen, seinem beschwörerischen Zwiegesang mit der alle Register ziehenden R&B-Sängerin Mary J. Blige.

Und vom Spiel der Gitarristen Keith Richards und Ron Wood. Jeder der beiden spielt falsch, zusammen spielen sie richtig, sehr richtig. Wie sie das machen, das ist eines der Geheimnisse der Rolling Stones, aber es hat damit zu tun, dass sie - größte Rock'n'Roll-Band der Welt hin oder her - eine Bluesband geblieben sind. Die von Perfektion nichts wissen will. Die weiß, dass Dissonanz bindet, dass Schärfe aus der Unschärfe kommt. Nicht einmal in unvermeidlichen Schlachtrössern wie „Brown Sugar" und „Tumblin' Dice" stimmte jeder Ton, und darum stimmte alles . . .

Beginn: „I Wanna Be Your Man"

Aber der Reihe nach! Das Ereignis begann ja auch (fast) chronologisch, mit einer Schnellreise durch die ersten zehn Jahre der Rolling Stones. Erst „I Wanna Be Your Man", ihre zweite Single, ihnen einst von den Beatles, den triumphalen Kollegen aus der Provinz, geschenkt. Dann „Get Off Of My Cloud", ein halbschwarzes „It's All Over Now", ein schön apokalyptisches „Paint It, Black". Hier tauchten auf der Videowand, die davor mit alten Aufnahmen gefüllt war, erstmals die heutigen Gestalten auf, auch in Schwarz-Weiß. Ein gelungenes Verwirrspiel: Gerade hatte man noch den 1969 verstorbenen Brian Jones gesehen, jetzt hörte man das Thema, das er einst auf der Sitar gespielt hatte, aber wer spielte es? Wood? Richards? Beide? Und durften sie das? „Through The Past, Darkly" hieß die zweite Best-of-Kompilation der Stones, das drückt die Stimmung dieser Vergangenheitsbeschwörung gut aus.

Dann „Wild Horses" (mit einem überzeugend sentimental „You know how I am" statt „who I am" singenden Jagger), dann der Landstraßen-Song „All Down The Line", unstet geblieben. Dann begann die Parade der Gäste, der „contemporaries", wie Jagger sagte. Zunächst Jeff Beck im raren „I'm Going Down" mit einem Exzess an überlauter Gitarrenvirtuosität, der nicht wirklich passte. Drei Songs später Bill Wyman, von Jagger lieblos als „one of the former members" vorgestellt: Er wirkte verloren, nicht ganz dazugehörig, wie vor 1993, als er die Band verlassen hat; heute ist er es wirklich. Und Darryl Jones ersetzt ihn aufs Beste, vor allem in Funknummern wie „Miss You". Etwas spukhaft auch Mick Taylor: Dem sanften Jüngling hat die Zeit arg zugesetzt; dass er noch eine feurige Gitarre spielen kann, zeigte er in „Midnight Rambler".
Das natürlich vor allem ein weiterer Triumphzug Jaggers war: Wie in „Sympathy For The Devil" (zu dem er sich auch diesmal in den schwarzen Umhang hüllte) spielt er hier mit einem bösen, bedrohlichen zweiten Ich. Aber auch mit seiner charismatischen Wirkung auf die Massen: Was für ein Verführer! Und dabei mit seinen fast 70 Jahren nicht im Geringsten peinlich. Stimmlich besser als vor zehn Jahren, weil er weniger outriert. Optisch auch: Weil er die Rockstar-Posen heute auf ein Minimum beschränkt. Weil er zwar noch immer über den Laufsteg rennt wie ein Gereizter, sich aber auf seine berühmten „restless legs" konzentriert, alle Tanzstile der Sechziger auf einmal vorführt, strampelt und hampelt und trotzdem nie wie ein Kasperl wirkt. Coolness nannte man das einst, als das noch kein Allerweltswort war. Als die Rolling Stones jung waren.

„I was young, I was foolish, I was vain"

„I was young, I was foolish, I was angry, I was vain", sang Jagger in „Out Of Control", einem der weniger neueren Songs des Abends: „I was charming, I was lucky. Tell me how I have changed." Natürlich ist all das Wesen dieses Mannes darauf ausgerichtet, dass man ihm antwortet: Gar nicht! Es stimmt beinahe. Dass es nicht ganz stimmen kann, mag seine Tragik sein. In Würde altern kann Jagger nicht, er will es nicht, weil er gar nicht altern will. Darum hat er auch kein Alterswerk zusammengebracht.

Sein Kompagnon Keith Richards, mit dem er auf der Bühne erstaunlich wenig Kontakt hat, ist freilich sehr wohl gealtert: Ein rotes Stirnband um den Kopf, das die restlichen Federn zusammenhielt, schien er oft in sich versunken, fast wunderlich, riss die Riffs aus der Gitarre, als rissen sie ihn. Nur dann und wann glitt ihm sein Bubengrinsen zurück auf die verwischten Züge, und dann war er da. Auch bei den beiden Stücken, die er sang, „Happy" und „Before They Make Me Run", bei denen er glaubhaft machte, dass nur mehr der Himmel auf ihn wartet. Das singt er, das tut er seit auch schon 34 Jahren. Wird er es noch lang tun? Wird noch eine Stones-Tournee kommen? Wer könnte es sagen bei dieser Band, die seit drei Jahrzehnten ihre vielleicht letzten Konzerte spielt.

Mick Jagger wäre bereit. Das wurde klar an diesem Abend. Mehr denn je ist er der Kopf dieser ehrwürdigen Band, und er weiß, was er an ihr hat, bei aller Unzufriedenheit mit ihrem ästhetischen Konservativismus. Als sich nach einem wunderbar nuancierten „You Can't Always Get What You Want" (mit Chor!) und „Jumpin' Jack Flash" (alright, also okay) alle zum Abschied verbeugten, zuckte und zitterte er noch, schüttelte die Maracas, als wolle er hier und jetzt mit „Not Fade Away" alles von vorn beginnen. Aber nein, die älteren Herren wollten gehen, die Lichter gingen an: Jagger lief allein eine Extrarunde, einfach weil er es tun musste, weil die Beine noch keine Ruhe gaben. Wenn dieses Schiff sinkt, er verlässt es zuletzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2012)

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