Pop

Tocotronic sagen: „Hey, ich bin jetzt alt“

(c) Michael Petersohn/ Universal
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Die staatstragendste Band im Staate Pop veröffentlicht „Wie wir leben wollen“: 17 schöne, bewusst „altmodisch“ aufgenommene Songs und ein Bekenntnis zur Körperlichkeit und Hinfälligkeit.

Hey, ich bin jetzt alt, hey, bald bin ich kalt.“ Wer ein Album mit solchen Zeilen beginnt, der will, dass auch jede Rezension mit ihnen anhebt. Und so soll es sein. Denn worum es dieser Band geht, das ist wichtig. Bei aller Tändelei, bei allem virtuosen Spiel mit Slogans (siehe Kasten): Diesen Anspruch stellen Tocotronic seit ihrer Gründung; und sie kommen damit durch.

Seit 20 Jahren. So lang gibt es Tocotronic schon. Doppelt so lang wie die Beatles. Die Buben mit den schmalen Schultern, die Mädchen mit den schlichten Haaren, denen diese Hamburger um 1995 ein Trost waren in ihrer Verachtung der Harten und Coolen, die durch sie trotzdem, nein: erst recht cool geworden sind, sind treu mit ihnen gealtert.

Altern, das ist eine verdammt körperliche Angelegenheit. Wen noch nichts zwickt, der kann sich leicht vergeistigt fühlen. Der kann leicht von der Existenz an sich schwärmen. Doch: „Wir existieren nicht alleine, sondern sind an ein Wesen gefesselt, von dem uns Abgründe trennen und dem wir uns kaum verständlich machen können: unseren Körper.“ Das schreiben Tocotronic in einer Aussendung zu ihrem neuen Album „Wie wir leben wollen“. Und weiter: „Aber vielleicht liegt in dieser Fremdheit, in diesem Eindringen in den Untergrund, in dieser Höllenfahrt, deren Einstieg der Körper ist, auch die Möglichkeit einer Emanzipation von uns selbst.“

Was für schwere, träumerische Worte. Und was für ein Programm! Die Band, die wohl die meisten Songtitel hat, die mit „ich“ beginnen, grübelt über Emanzipation vom Selbst? „Ich bin kein Mensch in der Revolte“, singt Dirk von Lowtzow, „die Revolte ist in mir. In meinem Körper nisten die Viren, die Depressionen, die mich vergiften...“

Liest sich bitter. Doch er singt das zu einem munteren Beat, mit fröhlicher Stimme, als sei das „Wandern in der Endzeit“, von dem er kündet (und bei dem er natürlich „die Signale“ hört), ein Fit-mach-mit-Spaß. Der Kontrast der tief raunenden Worte, der sehr deutschen Spätromantik, wie sie Tocotronic spätestens seit dem Album „Kapitulation“ (2007) lieben, und einer Stimmung der Leichtigkeit ist typisch für dieses Album. Das manchmal fast übermütig wird.

In „Exil“ etwa, in dem Tocotronic die diabolischen Chöre aus „Sympathy For The Devil“ der Rolling Stones zitieren und ein himmlisches Glockenspiel dagegensetzen. Es geht hier um die sexuelle Seite der Körperlichkeit – und ob und wie man ihr entkommen kann: „Exil vom Malestream“, singt von Lotzow, „Stimmbruch im Splitscreen. Bis die keusche Königin vor Neid zerspringt.“ Die Schlusspointe: „Ich bin anders als die anderen, ich bin krank, ich bin ein weißer heterosexueller Mann. Du kannst mich abschieben, wenn du willst.“

„Opium aus dem Firmament?“

Das klingt eher nach konservativer Polemik als nach dem „queeren“ Diskurs der linken Szene, in der Tocotronic irgendwie doch heimisch sind. Aber eben nur irgendwie. Für sie ist nicht nur die Revolte inwendig, sondern auch die Revolution – die die Tocotronic-Generation ohnehin immer nur mit Gänsefüßchen gekannt hat – ein ziemlich individuelles Versprechen: „Denn die Revolution wird permanent den Tod abschaffen“, heißt es am Schluss eines an Konjunktiven reichen Songs: „Sag ist es wahr, was man sich erzählt? Dass wer sich verlassen fühle und in Einzahl vegetiert, fortan im Plural existiert? Auch dass ein Drink des Himmels komme, der uns reich beschenkt, Opium aus dem Firmament?“ Dazu anmutig hallende Chöre und eine betont angenehme akustische Gitarre, wie sie die frühen Tocotronic mit einem Hasslied bedacht hätten, wenn sie nicht ein Bashing der Gitarrenhändler vorgezogen hätten. Gewiss, vom selbstbewusst unbeholfenen Punk ihrer Frühzeit haben sich Tocotronic längst distanziert, aber dieses Album klingt geradezu nach High Fidelity. Was Absicht war: Ihnen sei „artifizielle Soundarchitektur“ vorgeschwebt, erklären sie. In diesem Sinn nahmen sie die Songs mithilfe einer analogen Vierspur-Tonbandmaschine auf. Was man auch als Bekenntnis zur Körperlichkeit lesen kann.

Und damit zur Hinfälligkeit. „Schaum und Stoff werden zerbrechen“, heißt es im elegant swingenden „Neue Zonen“: „Stahl und Eisen werden kippen, Staub zersplittert Marmorklippen.“ Was bleibt für die „Plüschophilen“? „Neue Zonen, wo die Softboys wohnen.“ Wie sagten die Alten? „Das weiche Wasser bricht den Stein.“ „Es wechseln die Zeiten, da hilft kein' Gewalt.“ Tocotronic sind Hippies im besten Sinn: Hippies, die (aus) Punk gelernt haben. Und sie machen schöne Musik, ganz ohne Ironie.

6.Februar: live im Wiener Burgtheater.

Songtitel von Tocotronic

„Ich glaube, ich habe meine Unschuld verloren“ (1995)
„Digital ist besser“
(1995)
„Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“
(1995)
„Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ (1995)
„Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“
(1995)
„Michael Ende, du hast mein Leben zerstört“
(1995)
„Wir kommen um uns zu beschweren“ ('96)
„So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ (1996)
„Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“
(1997)
„Let there be rock“
(1999)
„Dringlichkeit besteht immer“
(2002)
„Aber hier leben, nein danke“
(2005)
„Pure Vernunft darf niemals siegen“
(2005)
„Harmonie ist eine Strategie“ (2007)
„Im Zweifel für den Zweifel“ (2010)
„Eure Liebe tötet mich“ (2010)
„Macht es nicht selbst“ (2010)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.01.2013)

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