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Elton John: Songs über Lebenslügen und Oscar Wilde

(c) REUTERS (STEVE MARCUS)
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Elton John ist mit seinem 30. Soloalbum "The Diving Board" endlich wieder ein Meisterwerk geglückt.

Elton John, dieser Name bürgte in den letzten 25 Jahren – zumindest für Konzertgeher – für gepflegten Ennui. Wenn seine Finger routiniert über die Tasten pratzelten und das immer gleiche Repertoire zwischen „Candle in the Wind“ und „Crocodile Rock“ aus dem Piano quälten, strapazierte das selbst jene, die ihn eigentlich mögen. Elton John, dem in den Siebzigerjahren etliche meisterliche Alben gelungen sind (z.B. „Goodbye Yellow Brick Road“), verwaltet seine Hits umsichtig wie seine Luxusdomizile. Allein der Blumenschmuck in diesen kostet ihn jährlich einen sechsstelligen Pfund-Betrag. Solchen Lebensstil muss sich selbst ein Elton John hart erarbeiten: Mindestens 150 Konzerte gibt er pro Jahr – und will dabei sich und seinen Fans kaum etwas Neues zumuten.

„They're miserable songs“

Doch an dieser behaglichen Einstellung ändert sich seit ein paar Jahren etwas. Tief drin im beleibten Lebemann beginnt sich ein immer noch hungriger Künstler zu regen. Schon bei „The Union“, seinem 2010 erschienenen Gemeinschaftswerk mit dem US-Musiker Leon Russell, zeigte die Formkurve nach oben. Beim soeben erschienenen 30.Soloalbum „The Diving Board“ ist Elton John endlich wieder dort, wo er hingehört: an der Spitze. Großen Anteil daran haben zwei Kollegen: der ehemalige Bob-Dylan-Sideman T-Bone Burnett als Produzent und Bernie Taupin, der in den Siebzigerjahren die Texte für Elton John geschrieben hat – eine Schreibgemeinschaft, durchaus vergleichbar mit Burt Bacharach/David und Goffin/Carole King.

Für „The Diving Board“ hat Taupin düstere Songszenarien entworfen. Es geht um Sterblichkeit und Lebenslügen, um den im Alter wachsenden Wert der Erinnerungen. „They're miserable songs“ sagt John begeistert, „and I love to sing miserable songs. If misery is done well, it's fantastic.“ Es scheint, als fielen ihm vor allem dann attraktive Melodien ein, wenn es den Helden seiner Songs gar nicht gut geht. Etwa die süffigen Mollpassagen für „The New Fever Waltz“, einen Liedtext, in dem Taupin in die Ära der Großen Depression taucht. Bei einer Zeile wie „From dirt and damp to hardwood floors beyond the burned out broken walls“ assoziiert der Zeitgenosse den „Depression Chic“, wie er sich in der Renaissance der hedonistischen Swing-Szene zeigt. Getreu dem Motto: Je weniger Zukunft man hat, desto mehr will man der Gegenwart abtrotzen.

Statements für Homosexuelle

Der Pessimismus färbt auch auf Elton Johns Stimme ab. So bluesig hat sie sich nur ganz zu Beginn der Karriere angehört. Dramatisch ist das Titelstück, das das labile Künstlerleben behandelt. „Sink or swim, I can't recall, who said that to me, when I was sixteen?“

T-Bone Burnetts Methode, alles live im Studio aufzunehmen, trug die schönsten Früchte. Etwa den erhabenen Song „Oscar Wilde Gets Out“. Er spielt auf Wildes letztes Werk „The Ballad of Reading Gaol“ an. Darin sinniert der wegen Homosexualität verurteilte Dichter über seine Zeit als Zwangsarbeiter im Reading-Gefängnis. Ein wichtiges Statement in Zeiten, in denen etwa in Russland Homosexuelle wieder offiziell geächtet werden. Elton John hat vor, weiterhin Konzerte in Russland zu geben. Im Dezember soll es wieder so weit sein. Dann will er seine Worte zwischen den Liedern sorgfältig abwägen: „As a gay man“, sagt er, „I can't leave those people on their own without going over there and supporting them.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2013)

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