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Sharon Jones: „Ich bin keine Retro-Soulsängerin“

(c) Daptone
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Sharon Jones ist die vielleicht letzte authentische Soulsängerin der Welt. Trotz schwerer Erkrankung präsentiert sie mit „Give The People What They Want“ ein hervorragendes fünftes Album zwischen groovigem Funk und Sixties-Soul.

Für manche ist Soul die Stimmakrobatik einer Aretha Franklin oder eines Otis Redding. Andere präferieren die Raffinesse eines Randy Brown oder das soziale Bewusstsein eines Curtis Mayfield. Aber egal, ob man nun die Sechzigerjahre oder die Siebzigerjahre als Blütezeit des Genres ansieht, es gilt unter Aficionados als ausgemacht, dass zu Beginn der Achtziger das letzte Mal authentischer Soul produziert wurde. Für das, was sich in den letzten zehn Jahren getan hat, gibt es bei aller Güte der Produktionen ein Wort, das irgendwie böse klingt: Retro-Soul.

Zu dieser Gattung zählt man Adele genauso wie Joss Stone, aber auch Mayer-Hawthorne und – ganz zu ihrem Missvergnügen – Sharon Jones. „Mich darf keiner Retro-Soulsängerin nennen“, schimpft sie. „Retro sind laut meiner Definition nur die Jungen. Schließlich braucht man eine gewisse Lebenserfahrung, um richtig Soul singen zu können.“ Unter Erfahrung versteht Jones, reichlich bittere Momente gehabt zu haben, von denen sie sich nicht unterkriegen hat lassen. Soul und persönliches Drama sind praktisch ein Synonym. Beinah jeder kann mit Kindheitsgeschichten von Dickens'scher Wucht aufwarten, kann gigantische Karrierehindernisse nennen.

Sie war Gefängniswärterin und Security

Miss Jones jedenfalls grundelte jahrzehntelang herum. Ihr Talent fiel zwar schon im Gospelkinderchor in ihrer Heimatstadt Augusta in Georgia auf. Die Übersiedlung nach New York behinderte eine kontinuierliche Formung dieser Gabe. Mit zehn Jahren kam Jones nach New York. Nicht ins schicke Manhattan, sondern ins zersiedelte, damals schon leicht abgeschabt wirkende Bedford-Stuyvesant in Brooklyn. James Brown konzertierte damals oft im Harlemer Apollo Theater, allein die Tickets waren für die Familie Jones unerschwinglich.

Den Soul zu singen, sollte vorerst ein Traum bleiben. Als junge Erwachsene sang Jones immer wieder auf Hochzeiten. Über Wasser hielt sie sich mit kunstfremden Jobs. So war sie etwa Gefängniswärterin auf Rikers Island, Verkäuferin bei Macy's und sogar Security in Red Hook, einer recht kriminellen Gegend in Brooklyn. Erst im reifen Alter von 40 Jahren traf sie den Mann, der ihr Schicksal wenden sollte. Es war der weiße Musiker Gabriel Roth, ein Idealist, der 1996 ein Independent-Label namens Desco aufzubauen versuchte. „Meinen Optimismus habe ich eigentlich nie verloren“, sagt Jones, „Gott hat mir dieses Talent geschenkt und ich sah es eigentlich immer nur als Frage der Zeit an, bis das auch allgemein anerkannt wird.“

Bei Desco setzte Roth damals auf Funk und Afro-Beat. 2001 entschloss er sich zu einer musikalischen Wende. Gemeinsam mit seinem Musikerkollegen Neil Sugarman lancierte er das Label Daptone. Hier lag der Akzent nun voll auf der Soulästhetik der frühen Siebzigerjahre. Die Musiker von Daptone waren jung, die Vokalisten hingegen von erstaunlicher Reife. Das erste Album des Labels war 2002 „Dap-Dippin'“, das Debüt von Sharon Jones.

In ihrem Fahrwasser tauchten andere interessante Vokalisten auf. Etwa Naomi Shelton und Charles Bradley. Auch sie waren andernorts Gescheiterte, die mit Daptone auf Erfolgskurs gingen. Die Authentizität des Daptone-Sounds sprach sich herum. 2006 fragte eine britische Sängerin an, ob sie denn nicht mal mit der Daptone-Hausband aufnehmen könnte. Sessions wurden angesetzt. Das Album nannte sich „Back To Black“, verkaufte sich über 20 Millionen Mal. Und ja, die Sängerin hieß Amy Winehouse.

Machte dieser Erfolg Sharon Jones nicht ein wenig eifersüchtig? „Überhaupt nicht. Ich fand es cool, dass da eine Britin kommt und mit meinen Jungs aufnehmen will. Ihr Erfolg war wirklich ,Wow‘!“ Ist denn Winehouse das, was Jones retro nennt? „Ja. Amy war geradezu die Inkarnation einer Retro-Soulsängerin. Eine bessere wird es nicht mehr geben. Sie hatte eine einmalige Stimme. Was für eine Vergeudung, dass es sie nicht mehr gibt. Ich traf sie einige Male. Was auffiel, war, dass sie einen wirklichen Horror davor hatte, live zu singen. Sie war total scheu. Ihr sehnlichster Wunsch war es, verheiratet zu sein und Kinder zu haben. Ganz das Gegenteil von mir. Für mich ist die Performance einfach alles. Ich trete vors Publikum und will es einfach wissen.“

Mit Lou Reed auf Tournee

Jones hat in den letzten zehn Jahren viel gearbeitet. Neben ihrer eigenen Karriere nahm sie ein Album mit dem kanadischen Sänger Michael Bublé auf, das ihr viel Geld gebracht hat. Auch mit Booker & The MG's war sie im Studio und mit dem späten Lou Reed auf Tournee. Die letzten zwei Jahre hat sie damit verbracht, ihr fünftes Album „Give The People What They Want“ vorzubereiten. Aus insgesamt 23 Liedern wurden schweren Herzens letztlich zehn ausgewählt. Die analog eingespielten Sounds changieren zwischen groovigem Funk und entzückendem Sixties-Soul.

Eines der Lieder heißt „People Don't Get What They Deserve“. „Darin geht es um die Grundverfasstheit des Menschen“, erklärt sie. „Es ist schon seltsam. Jeder will eigentlich was anderes, egal ob er reich oder arm, schön oder hässlich ist. Der Mensch vergisst viel zu leicht, den Augenblick zu genießen.“ Zeit ist für Sharon Jones, seit sie im Vorjahr die Diagnose Bauchspeicheldrüsenkrebs bekommen hat, ein besonders wertvolles Gut geworden. Sie will sich auf die Bühne zurückkämpfen. „Die neuen Lieder nicht mehr auf die Bühne bringen zu können, ist ein furchtbarer Gedanke. Man wird mir den Kampf ansehen. Perücken werde ich definitiv keine tragen. So eine Krankheit verändert dich. Es wird eine andere Sharon Jones sein, die die Leute zu Gesicht bekommen werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2013)

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