Pop

Leben und Tod in der Eiszeit

Polyfilm
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Trotz vieler Epigonen: Die Band Joy Division ist bis heute einzigartig – und erschreckend.

„Wir leben in der Eiszeit.“ Niemand hat diese Feststellung so klar, so bar jeder Tändelei und Rührseligkeit vertont wie Joy Division. Diese Band ist ein Nordpol der Popgeschichte: In dieser Richtung ging und geht es nicht weiter, dessen sind sich wohl auch all die heutigen Bands bewusst, die sich auf Joy Division berufen oder mit ihnen verglichen werden (z.B. Interpol, The Editors).

Auch damals, in den gerade noch Aufbruchstagen gewesenen Tagen des Post-Punk, wurde das so empfunden; alle, die sich fortan, nach dem Selbstmord des Sängers Ian Curtis, seelischen Schmerzen widmeten, klangen gegen ihn weinerlich, ja: unernst. Das Ende von Joy Division war eine Zäsur, danach blieb nur Theater: neue Romantiker, Kajalstifte, kokette Ohrenbeichte, parfümierte Tränen von „The Cure“ etc.

Der Sprung von Punk zu Post-Punk

Dabei war das Quartett aus Manchester 1977, zunächst unter dem Namen „Warsaw“, anfangs eine von vielen mehr oder weniger harten Punk-Formationen, noch dazu eine, die mit Nazi-Versatzstücken flirtete, So kommt der Name „Joy Division“ aus „The House of Dolls“, dem Roman des ehemaligen KZ-Häftlings Yehiel Feiner, er steht für eine Prostituiertenriege im KZ.

Doch bald fand Sänger Ian Curtis die Dunkelheit nicht mehr im deutschen Faschismus, sondern in sich selbst; die „hypnotic trance“, die er im frühen Song „Walked In Line“ den Uniformierten zuschrieb, galt bald seinen eigenen Zuständen, vielleicht der sich ankündigenden Epilepsie, vielleicht dem Einsetzen lähmender Depression. Sie schilderten jedenfalls den Moment des Erstarrens, der in vielen Joy-Division-Stücken zentral ist, der plötzlichen Einsicht, dass alles vergebens ist.

„I'm not afraid anymore!“, sagt Curtis in „Insight“, dem Stück, das, quasi von hinten, mit einer zugeschlagenen Tür beginnt, und es ist einer der entsetzlichsten Aufschreie der gesamten Popgeschichte, gerade, weil Curtis die Stimme kaum erhebt, weil er aus völliger Gefasstheit kommt, aus eisiger Einsicht. Und wenn Curtis in „A Means To An End“ den Satz „I put my trust in you“ sang, dann zweifelte man keinen Moment daran, dass „put“ ein Imperfekt war, kein Präsens.

„Unknown Pleasures“ (1979), das erste reguläre Album der Band – „Closer“, das zweite, stellenweise entrückt klingende, erschien erst posthum –, ließ die Hörer gefesselt und entsetzt zurück, die Nachricht, dass sich Ian Curtis erhängt hatte (am 18.Mai1980) kam nicht überraschend. Wie eine nachgereichte Erklärung – die Liebe ist schuld, und doch nicht das (ganze) Leben – hörte man die Single „Love Will Tear Us Apart“, ein Song, in dem, so schien es zumindest, erstmals so etwas wie Wehmut durch den Schrecken schimmerte. In einer Aufnahme, die, vor allem durch ein geradezu verlegen holperndes Schlagzeug, bis heute merkwürdig unfertig klingt, besonders im Vergleich zu den bis ins letzte Zusammenbrechen des Beats perfekten LP-Aufnahmen.

Kongeniale Version aus Österreich

„Love Will Tear Us Apart“ wurde oft nachgespielt, die Version, die dem Song am meisten gerecht wird, stammt von der österreichischen Band Chuzpe, ebenfalls aus 1980. Christian Brandl sang sie kongenial, mit stark an Curtis erinnerndem Timbre; er starb am 1.März1987 durch Sprung aus dem Fenster. Auch diese makabre Parallele führt zu einer argen Frage: Ist so exakter Ausdruck von Schmerz nur durch bis in die letzte Konsequenz durchlebten Schmerz möglich? Oder gäbe es Intensität à la Joy Division auch als Ergebnis von Gefühlsschauspielerei, von „method acting“? Ja oder nein, beide Antworten wären erschreckend.

TREND: Filme über Pophelden

Bob Dylan (*1941) wird aktuell in „I'm Not There“ von Todd Haynes kaleidoskopisch porträtiert: Der legendäre Singer-Songwriter wird darin von sechs verschiedenen Schauspielern verkörpert, darunter Richard Gere, Christian Bale – und Cate Blanchett, die für ihre „Dylan“-Darstellung eben den „Golden Globe“ bekam. Kinostart am 29.Februar.

Falco (1957 bis 1998) kommt davor in der heimischen Produktion „Falco – Verdammt, wir leben noch“ von Thomas Roth auf die Leinwand. Kinostart am 7.Februar.

Kurt Cobain (1967 bis 1994) wurde 2005 in (kaum) verschlüsselter Form von Gus Van Sant eine experimentelle Studie gewidmet: „Last Days“, ein Film vom Verdämmern.

Johnny Cash (1932 bis 2003): Dem weltberühmten Country-Star galt ebenfalls 2005 ein Film: James Mangolds „Walk the Line“, war aber ein grundsolides und konventionelles Hollywood-Biopic.

Toby Wilson (1950 bis 2007): In „Control“ kommt der Impresario der Manchester-Musikszene als Nebenfigur vor, 2002 hatte er schon seinen eigenen Film bekommen: Steve Coogan verkörperte Wilson in Michael Winterbottoms schwungvoller und ironischer Szene-Chronik „24 Hour Party People“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.01.2008)

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