Pop

Nach dem Song Contest: Im Zeichen des Bartes

Eurovision Song Contest
Eurovision Song Contest(c) ORF (MILENKO BADZIC)
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In Bad Mitterndorf verkauft der Fleischer eine Conchitawurst, und der Bart der Sängerin ist zum Symbol geworden. Aber wofür? Darf man sich davon verstört fühlen? Und wie ironisch ist er? Versuch, ein Zeichen zu lesen.

Der heimlich in Prinzessinnenkleidern posierende Bub aus dem Salzkammergut, der es als Königin, als „Queen of Europe“ auf die größte Bühne der Welt schafft: Vieles rührt an diesem wahren Märchen. Doch eine besonders bewegende Szene in der Dokumentation, die der ORF vor dem siegreichen Auftritt der Conchita Wurst ausstrahlte, spielte beim Fleischer von Bad Mitterndorf. Der hat eine Wurst namens Conchitawurst erfunden, scharf und würzig, wie er sagt; und die majestätische Conchita – die er wohl noch als schüchternen Buben Tom Neuwirth kennt – durfte sie vor laufender Kamera aufschneiden und huldvoll verkaufen, unter anderem dem Pfarrer, der sich offensichtlich ehrlich freute.

Dass Straßen nach einem Menschen benannt werden oder chemische Reaktionen oder Parfüms, das ist eine Lebensleistung, aber machbar. Aber eine Wurst, das ist selten. Auch der gebildete Leser wird nicht glauben, dass die Kantwurst nach dem Königsberger Philosophen benannt ist oder die Kafkawurst (eine Variation der Bosna) nach dem Schriftsteller. Jazzfans erinnern sich vielleicht noch daran, dass beim Festival in Saalfelden einst ein Gastwirt auf die Idee kam, ein Fleischgericht nach dem auftretenden Freejazz-Saxofonisten Archie-Shepp-Steak zu nennen. Manche fanden das geschmacklos – obwohl auf derselben Speisekarte auch eine Tirolerleber stand –, aber es war der ehrliche Versuch, eine Kunstform, die man nicht gleich versteht, die einen zunächst verstört, doch sichtbar zu akzeptieren. Und wie kann man das besser als durch gastronomische Eingemeindung? Die Speisekarte ist eine erste Station der Integration, das war bei Ćevapčići und Kebab so, und das wird bei Zacuscaund Yassa so sein.

Zurück zu Kunstfigur Conchita Wurst. Auch wenn es viele angesichts des Welterfolgs jetzt leugnen: Sie hat etwas Verstörendes. Sie arbeitet, wie die Kunstkritiker gern sagen, mit doppelter Brechung. Dass sich ein Mann als Frau verkleidet, gut, das kommt in der fünften Jahreszeit auch in Dörfern vor. Dass er es ohne Ironie tut, sondern aus echtem Verlangen, eine Frau zu verkörpern, das kann manche schon verunsichern. So akzeptiert Transvestiten in der Populärkultur sein mögen: Die schöne Frau, die sich dann – womöglich in einer verfänglichen Situation – als Mann herausstellt, hat etwas Verwirrendes bis Erschreckendes. Die Kinks erzählten 1970 in ihrem Welthit „Lola“, wie einem biederen Mann so etwas passiert, seine Lola, „who walks like a woman and talks like a man“, sagt ihm sogar, um die Verwirrung noch größer zu machen: „Little boy, I'm gonna make you a man...“ Die ebenfalls britische Band Tindersticks griff das Thema 2012 im Stück „Chocolate“ auf, etwas ausführlicher: Hier löst tatsächlich die Entdeckung eines unerwarteten Gliedes die Bestürzung aus.

Marcel Duchamps Mona Lisa

Der kluge Tom Neuwirth hat sich, um die Geschlechterbilder abermals zu brechen, für einen – vorbildlich gepflegten – Bart entschieden. Die Frau mit Bart war ja eine häufige Figur in Freak-Shows und Monstrositätenkabinetten; der Damenbart ist – besonders in einer Zeit, in der sämtliche Behaarung außer jener des Kopfes schwer neurotisiert scheint – für so manche ältere Frau ein gefürchtetes Zeichen dafür, dass sich ihr Hormonstatus geändert hat.

So oder so: Ein Bart im Gesicht einer Frau, noch dazu einer schönen Frau, ist ein Störsignal. Genau so hat ihn Marcel Duchamps eingesetzt, als er 1919 der Mona Lisa von Leonardo da Vinci mit Bleistift einen Schnauz- und einen Spitzbart aufzeichnete. Der Titel des Werks, „L.H.O.O.Q.“, ist rätselhaft, man versteht ihn erst, wenn man die Buchstaben französisch ausspricht, dann hört sich das an wie „Elle a chaud au cul“, was auf Deutsch so viel heißt wie: Sie hat einen heißen Hintern.

Auch bei Duchamps also: ein Spiel mit Verfremdung durch ein Störsignal, mit Erotik und ihrer Durchkreuzung. Es ist kein Wunder, dass der Bart der Conchita Wurst derzeit in den sozialen Medien auf mannigfaltige Weise variiert wird: Man sieht Putin und Jesus, Sissi und die (britische) Queen mit Conchita-Bart, etliche Frauen und Männer haben auf Facebook ihr Bild durch ihn ergänzt, Karikaturisten haben seinen unmittelbar wirkenden Reiz schon erkannt.

Wir kennen einen anderen Bart, der da und dort schnell auf ein Gesicht gekritzelt wird und jäh Verstörung provoziert: der Schnauzbart, den Adolf Hitler trug. Wer auf ein Gesicht, etwa auf ein Wahlplakat, ein solches Bärtchen malt, behauptet Arges, nämlich: Dieser Mann ist ein Nazi.

Das Geschlecht ist nicht nur ein Spiel

Der Unterschied zum Conchita-Bart ist klar: Dieser hat keine eindeutige Botschaft, schon gar keine denunzierende. Am ehesten sagt er: Auch du könntest anders aussehen, anders sein. Er sagt nicht: Das ist leicht, das ist nur ein ironisches Spiel. Genauso wenig, wie die Figur Conchita Wurst sagt: Es macht keinen Unterschied, ob man (sic!) ein Mann oder Frau ist. Sie sagt schon gar nicht, was manche Gender-Theoretikerinnen wie Judith Butler sagen: Das Geschlecht sei nur eine kulturelle Konstruktion, die biologische, genetische Basis sei irrelevant. Sie sagt aber: Es ist für den Wert und die Würde eines Menschen egal, und es ist dafür auch egal, wenn jemand sich entscheidet, sein Geschlecht zu ändern oder eine Identität zwischen den Geschlechtern zu leben. Sie sagt auch: Homosexuelle haben die gleiche Würde wie Heterosexuelle.

Und das ist nicht schon längst selbstverständlich? Dafür braucht man eine Kunstfigur? Einen Popsong? Ja. Denn die Popmusik kann nicht nur das Lebensgefühl einer Zeit präzise ausdrücken wie keine andere Kunstform; sie kann auch das Niederreißen sinnlos gewordener Schranken fördern. Nach Elvis durften Männer mit den Hüften wackeln, ohne sich dafür zu schämen; nach Mick Jagger durften sie sich schminken; nach David Bowie durften sie sich als Frau verkleiden; nach Conchita Wurst dürfen sie sich dazu noch einen Bart stehen lassen, und auch der Pfarrer macht gute Miene dazu und kauft sich eine scharfe Conchitawurst...

Das heißt nicht, dass es „keine Männer und Frauen mehr“ gibt, sondern „nur noch ,es‘“, wie der russische nationalistische Politiker Wladimir Schirinowski unterstellte. „Das ist Europas Ende!“, sagte er. Nach diesem Song Ccontest darf man ihn korrigieren: Nein, das ist Europa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2014)

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