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Melody Gardot: Herzausreißer

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Dieser Name ist Programm, sollte man meinen: Melody Gardot kam aber erst so richtig zur Musik, nachdem sie fast bei einem Unfall ums Leben gekommen wäre.

"Da waren diese furchtbaren, schrillen Töne in der Luft, die mich noch mehr beunruhigten als diese Welle des Schmerzes, die über mir zusammenschlug. Irgendwann realisierte ich: Es waren meine eigenen Schreie." Kurz darauf erfuhr Melody Gardot die Gnade der Ohnmacht. Als die damals 19-Jährige wieder aufwachte, begann ihr neues Leben. Zerschmetterte Hüfte, Schädeltrauma, gelähmte Beine, Verlust der Sprache - es war ein langer Weg zurück. Nach 18 Monaten im Bett begann die körperliche Rehabilitation. Heute geht sie am Stock, muss wegen einer nervlich bedingten Lichtallergie Sonnenbrillen tragen. Und dann wäre da dieses Gerät, das sie mit sich führt, das elektrische Impulse in ihren Körper jagt, um die permanenten Schmerzen zu neutralisieren.

Nicht genug damit, dass es diese junge Frau schaffte, wieder ins Leben zurückzukommen, sie hat in dieser schweren Zeit auch das Fundament ihrer Kunst errichtet. Die an ihr durchgeführte Musiktherapie, die zunächst nur dazu diente, ihre Gehirnfunktionen zu verbessern, rückte die Musik ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit. Melody Gardot hatte schon lange bevor sie ein Jeep beim Radfahren über den Haufen fuhr, ihre ersten Rendezvous mit, wenngleich parfümierten, Songs. Als Tochter einer Alleinerzieherin, die immer wieder Sonderschichten machen musste, um genug Geld zum Überleben zu verdienen, verbrachte sie viel Zeit mit ihrer Großmutter. Glückliche Stunden waren das, wenn sie gemeinsam mit der Oma Songs aus „The Wizard Of Oz" und „The Sound Of Music" trällerte. Die kleine Melody lernte darüber hinaus auch klassisches Piano, spielte Lieder aus dem Radio nach, Kompositionen einer Carol King, eines Bob Dylan.

Ein Geschenk - trotz allem.

Dennoch entschied sie sich dafür, Mode zu studieren. Musik sollte ihr liebstes Hobby bleiben. Auch wenn sich diese zuweilen als praktisch erwies. Damals etwa, als Gardot bei einem Day-Trip nach Philadelphia das Benzin ausging. Da nahm sie die Gelegenheit beim Schopf und verdingte sich vier Stunden als Sängerin in einer Piano-Bar, um Geld für den Treibstoff aufzustellen. Ihr Repertoire umfasste damals Stücke von The Mamas & The Papas, ein paar Jazzstandards à la Ellington und Songs von Radiohead. Gardot weiß heute: „In gewisser Weise war dieser Unfall das Beste, was mir passieren konnte. Er schenkte mir die Musik, lehrte mich Geduld und Dankbarkeit."

Schon am Spitalsbett begann die heute 23-Jährige zu komponieren. Die Ärzte halfen ihr bei der Vermarktung. Ihre erste, komplett im Spitalsbett entstandene EP „Some Lessons - The Bedroom Sessions" wurde zum kleinen Sensationshit. Ein lokaler Radio-DJ aus Philadelphia, der bereits die Karrieren von Singer/Songwriter-Kollegen wie Amos Lee und Norah Jones positiv beeinflusst hatte, half mit viel Airplay aus. Das dieser Tage auch in Europa erschienene Debütalbum „Worrisome Heart" geriet zur Sensation. Mit gleichermaßen unterkühlter wie beseelter Stimme lockt Gardot exakt in jene Gefilde, wo die Zeit stehen bleibt und große Gefühle wuchern. Die in der Weltpresse bemühten Vergleiche mit Madeleine Peyroux und Norah Jones greifen indes zu kurz: Anders als diese komponiert Melody Gardot ihre jazzgetränkten Balladen selbst. Still, aber ungemein intensiv rückt sie in ihren zehn Songs jenen auf die Pelle, die abgeklärt tun oder tatsächlich Hornhaut auf der Seele tragen.

„I need a hand with my worrisome heart", klagt sie im Opener ihres so empfindsamen Debüts. „I need a break from my troubeling ways, I need a man who got no baggage to claim", befindet sie mit zart aufgerauter Stimme im sanften Fluss einer attraktiven Melodie. Der Bangheit ihres Herzens trotzt sie wunderschöne Lieder voll Sehnsucht und Hoffnung ab. Das bedachtsam groovende, mit winzigen Countryelementen angereicherte „Sweet Memory" und das hinreißende, eine bessere Zukunft antizipierende „One Day" sind weitere Highlights dieses starken Albums. Zum Herzausreißer der Sonderklasse geriet das bloß von ein paar Moll-Piano-Tupfern angerissene, mit wehen Trompetentönen aromatisierte „Love Me Like A River Does", wo sich Blues und Jazz aufs Innigste vermählen. Co-Produzent ihres kammermusikalischen Kleinodes war niemand Geringerer als Glenn Barratt, ein grammybekränzter Produzent, in dessen Morningstar Studios schon Stars von Teddy Pendergrass bis Diana Ross aufnahmen.

Die Macht der Winde.

Solch Juwel von einem Album will natürlich auch live zelebriert werden. Trotz ihrer zahlreichen körperlichen Einschränkungen hat Melody Gardot hart an ihrem Act gearbeitet. Ihr geht es darum, jene Magie zu kreieren, die schon eine Billie Holiday und eine Bessie Smith erzeugten. Sie liebt die ein wenig dreckigen Sounds, vermeidet sterile Perfektion. Dazu passt auch die etwas gewagte Definition ihrer Musik, die sie jüngst im „Guardian" kund tat: „So blöd es klingen mag, aber Musik ist für mich irgendwie wie ein Furz. Sie hat schlicht körperliche Funktion. Wenn ich sie kommen fühle, muss sie auch raus, sonst gibt es Probleme."

Tipp

Worrisome Heart
von Melody Gardot (Universal)
Live: 16.7., Jazzfest Wien
www.viennajazz.org
www.melodygardot.com

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