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Britpop: Neue Working Class Heroes?

Zornige Briten: Das Duo Sleaford Mods, gegründet 2006 in Nottingham von zwei Mittdreißigern, entdeckt Punk als Ausdrucksform der Unterprivilegierten neu.
Zornige Briten: Das Duo Sleaford Mods, gegründet 2006 in Nottingham von zwei Mittdreißigern, entdeckt Punk als Ausdrucksform der Unterprivilegierten neu. (c) Jason Williamson
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Heute kommen die meisten englischen Bands aus dem Mittelstand, Sozialkritik ist nicht ihre Sache. Ganz anders die Sleaford Mods: Sie wüten übers schlechte Leben.

Zu den Verheißungen der Popmusik zählte in Großbritannien, dass Underdogs mit ihrer Hilfe die Klassenschranken aufbrechen können. Was sonst nur mit Fußball oder einem Lottogewinn möglich wäre, das realisierten in den 60ern schon Bands wie The Small Faces und The Who. Diese gute Tradition ist fast ausgestorben. Die letzten echten Working-Class-Bands, die es auf die vorderen Plätze der Hitparade schafften, waren Oasis und Happy Mondays. Heute kommen die meisten Bands aus dem Mittelstand, oft gegründet von Absolventen der Popakademien. Soziale Revolte ist ihnen kein besonderes Anliegen. Gerade einmal King Krule, Jake Bugg und Jamie T. fallen einem ein, wenn man juvenile Revoluzzer sucht.

Jugendlich sind Jason Williamson und Andrew Fearn vom Electro-Punk-Duo Sleaford Mods nicht mehr: Doch sie zeigen mit ihrem dritten Album, „Divide And Exit“, dass man auch mit knapp über 40 nicht zu alt für die Wut ist. Ihre graue Haut erzählt von Zigaretten, Bier und fettem Essen. Fearn ist für die technoiden Beats und die dunklen Basslinien zuständig; Williamson liefert die zornigen Monologe, Rants genannt. Gegen seinen Wortschwall hört sich selbst ein Mark E. Smith lieblich an. Selten wurde schlechte Laune so hörenswert in Musik umgesetzt. Die zwei- bis dreiminütigen Litaneien der Wut sind prall gefüllt mit Cunts, Cocks, Twags, Wankers, Arses. Williamson feilt gern an der poetischen Erhöhung des Niederen, wie es einst H.C. Artmann tat, als er in einem Gedicht vom „Gschbeiwlad vor der Stehweinhalle“ schwärmte. Die neue Single, „Tied Up In Nottz“, beginnt mit dem Versuch, Uringeruch etwas abzugewinnen: „The smell of piss is so strong, it smells like decent bacon.“ „Tied Up In Nottz“ ist die klaustrophobische Studie eines Problemviertels. Mit diesem Lied stellen sich die Sleaford Mods in die sozialkritische Tradition ihrer Heimatstadt Nottingham. Von dort kam auch der Schriftsteller Alan Sillitoe, der u.a. das 1960 verfilmte Sozialdrama „Saturday Night And Sunday Morning“ schrieb. Williamson ist ein großer Fan von ihm, gewann Sillitoes Sohn David als Regisseur für das Video des schon etwas älteren Reißers „Jolly Fucker“.

Attacken auf Oasis

Williamsons krude Misanthropie tarnt einen tiefer liegenden Humanismus. „Divide And Exit“ schimpft unter anderem auf eine britische Krankheit namens Nostalgie, die sich derzeit in der Musikbranche ausbreitet. Williamson attackiert G.G. Allen, Lou Reed (posthum) und Oasis-Gitarristen Noel Gallagher. „The wonderwall fell down on you“, ätzt er in „A Little Ditty“. „Creatively speaking, Noel Gallagher's got blood on his hands“, meinte er kürzlich im NME und beklagte den Mangel an politischem Protest im heutigen Britpop: „Ever since Thatcher got in and cut everthing to the bone, it should have been protest music all the way.“

Williamson versucht mit viel Brüllerei, diese Aufgabe zu stemmen, den sozial Abgehängten, den Hacklern und Arbeitslosen wieder Stolz einzuimpfen. So ist „Divide And Exit“ auch ein rüder Soundtrack zur Austeritätspolitik, wie das von oben verordnete Engerschnallen des Gürtels so nobel heißt. Ein Song heißt „Under The Plastic And NCT“: eine auf drei Minuten gestauchte Nacherzählung eines trostlosen Arbeiterlebens. „The state is no longer your voice, the mechanics hijacked by the lies in false choice“, bellt Williamson und zeichnet das Bild chauvinistischer Pubbesucher: „Thousands of Saturday lager bellies punching in the air...“

Doch die Sleaford Mods stellen der Brutalisierung der britischen Gesellschaft als Folge der Politik Thatchers letztlich doch nicht nur Spott und Hass entgegen. Auch sie träumen von einer Konsolidierung der Arbeiterbewegung, ähnlich wie Owen Jones in seinem Buch „Chavs – The Demonization Of The Working Class“ (2011): Er konstatiert, dass die Arbeiterklasse keine echte politische Vertretung mehr hat. Eine neue Arbeiterbewegung sei nur möglich, wenn die Leute aufhören zu glauben, dass soziale Probleme nur die Folge von individuellen Fehlern sind, dass jeder Proletarier ja im Grunde in die Mittelklasse aufsteigen könne. Dieser Glaube führe zur Entsolidarisierung.

In diesem Sinn orten auch die Sleaford Mods Verrat, wenn einst proletarische Popmusiker im Luxus schwelgen. Etwa in „From Rags To Richards“: „Take the money and run to the elite“, brüllt Williamson dem Kollegen Keith Richards nach. Mal sehen, wie es ihm selbst so geht mit dem späten Erfolg...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2014)

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