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Captain Beefheart: Der Schönberg des Pop

(c) DisCreet Records
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Er sperrte seine Musiker ein, ließ sie den Klang von zerbrechendem Glas nachspielen: Erinnerung an Captain Beefheart, den größten Ikonoklasten der Popmusik.

„Das Album ,Trout Mask Replica‘ war das Schlimmste, das ich jemals gehört habe“, sagt Matt Groening, Erfinder der Zeichentrickfilmserie „The Simpsons“. „Zumindest solange, bis ich es wiederholt gehört habe und begriff, dass hier jedes Klangpartikel präzise geplant und platziert ist. Ab dem sechsten Anhören war es dann meine Lieblingsplatte.“

Kreiert wurde sie 1969 vom damals 28-jährigen Don Van Vliet, der sich unter seinem Künstlernamen Captain Beefheart schon früh eine Reputation als Despot machte. Er sperrte seine mittellosen Musiker in ein Holzhaus auf dem Ensenada Drive in Woodland Hills, Kalifornien. Sie trugen so fantastische Namen wie Zoot Horn Rollo, Anntenae Jimmy Semens und The Mascara Snake, mussten aber auf Wunsch ihres Bandleaders hungern, um in den geeigneten Geisteszustand zu kommen, um seine abgefahrenen Ideen realisieren zu können. Beefhearts Mutter Su hatte Mitleid und schmuggelte ihnen Essen ein.

Sehr diskret unterstützte sie auch jahrelang ihren Sohn finanziell. Mit seiner abenteuerlichen Mischung aus Deltablues, Free Jazz und Avantegarderock war im Zeitalter der harmoniesüchtigen Hippies einfach kein Geld zu verdienen. Unter materiellen Entbehrungen entstand Musik, die ganz eigenen Gesetzen gehorchte. Polyrythmen, Atonalität und surreale Texte lockten in ein Paralleluniversum, gegen das ein LSD-Trip wie eine biedere Autobahnfahrt anmutete. Der amerikanische Autor Rip Rense vergleicht die originäre Leistung Beefhearts gar mit der von Arnold Schönberg: „Beide haben eine völlig neue Musik geschaffen, die Gesetzen folgt, die nichts mit der traditionellen Harmonielehre zu tun haben.“

Aschenbecher an die Wand!

Beefheart folgte einzig seinen inneren Stimmen. Die verhinderten, dass er in jungen Jahren ein Instrument auf konventionelle Weise lernte. Er griff sich Saxofon, Piano und Schlagzeug und spielte einfach darauf los. Diese kindliche Spontanität konnte er sich ein Leben lang bewahren, ob als Musiker oder später als international erfolgreicher Maler. „Fulfilling the absence in space between opposite meaning“, beschrieb er die Methodik seiner Kunst erwartungsgemäß erratisch. Der deutsche Maler A. R. Penck bezeichnete Beefhearts Zugang zur Kunst als „reachieving naiveté“. Den Musikern der Magic Band wurde die natürliche Neigung zur Virtuosität schnell ausgetrieben. Einmal pfefferte der Meister einen Aschenbecher an die Wand des Studios und verlangte vom Schlagzeuger, exakt jene Sounds zu spielen, die das Glas beim Zerbersten verursachte. Keine leichte Übung. Aber am Ende hat sie sich ausgezahlt.

Die nun erschienene 4-CD-Box „Sun Zoom Spark“ zeigt, dass Beefhearts Musik nach all den Jahren – und vier Jahre nach seinem Tod – nichts an Faszination eingebüßt hat: Die Art, wie hier Primitives und Sublimes zusammenging, war ausschließlich den Geboten von Beefhearts Bewusstseinsstrom verpflichtet. Kalkül war verpönt.

Radiofreundlicher: „Clear Spot“

Die Kreativität Beefhearts blieb trotz einiger Kompromisse, die er Mitte der Siebzigerjahre eingehen musste, unberührt. Bester Beweis dafür ist das in der neuen Box enthaltene Album „Clear Spot“ von 1972. Zum Zwecke einer radiofreundlicheren Umsetzung seiner Ideen hatte ihm seine Plattenfirma den Produzenten Ted Templeman zugewiesen, der mit den Doobie Brothers und Van Morrison schon höchst erfolgreich gearbeitet hatte. Erstaunlich, wie gut der in Zungen sprechende Autodidakt ins Korsett konventioneller Popmusik fand. Mit „Crazy Little Thing“ und „Too Much Time“ glückten testosterongetriebene Groover, die für FM-Radiostationen spielbar waren.

Highlights aber sind die Liebeslieder: das jüngst von den Black Keys gecoverte „Her Eyes Are A Blue Million Miles“ sowie das leicht surreale „My Head Is My Only House Unless It Rains“. Die Hardcore-Fans werden sich indes mehr darüber freuen, dass „Lick My Decals Off, Baby“ (1970), Beefhearts wohl größtes Meisterwerk nach „Trout Mask Replica“ nun ebenfalls remastered vorliegt. Die exzentrischen Melodieverläufe sind im Vergleich zum Vorgängeralbum episch ausgebaut, und Beefheart spielt hier so ausgiebig Blasinstrumente wie sonst nirgends in seinem mit zwölf Alben zu Lebzeiten doch recht schmalen Output. Während die ebenfalls in der Box enthaltene „Outtakes“-CD vernachlässigbar ist, verdient das stets unterschätzte Album „The Spotlight Kid“ (1972) verstärkte Aufmerksamkeit: Auf geradezu ideale Weise verband Beefheart hier seine Wurzeln im afroamerikanischen Blues mit wilden eigenen Ideen.

Alle späteren Werke seiner 1982 abrupt beendeten Musikerkarriere zehrten noch von Songs dieser Session. Beefheart selbst war davon so begeistert, dass er dem von ihm verehrten Boxer Muhammad Ali ein Album zukommen ließ. Eine Reaktion darauf ist leider nicht überliefert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2015)

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