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Deichkind: Konsumgeil bis kapitalismuskritisch

Deichkind
Deichkind(C) Universal
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Die Hamburger Band legt mit dem Album „Niveau Weshalb Warum“ ihre bislang poppigste Diskurs-Operette vor. Dabei zeigen die Krawallschanis auch ihre zarteren Seiten.

Schon der Titel des Albums ist angenehm verstörend. Man möchte ihm, wenn nicht unbedingt Beistriche einfügen, so doch wenigstens ein Fragezeichen hinterhersetzen. Aber nein! Das erlauben die Burschen von Deichkind nicht. „Wer fragt, ist dumm“, heißt es in einem der neuen Lieder lapidar. Philipp Grütering, der Kopf der Kombo, verwehrt sich im Interview mit der „Presse“ ganz entschieden solchem Ansinnen. „Die Bedeutung muss in mehrere Richtungen offen bleiben.“ In unserer betriebsamen Welt scheint es keine Schönheit und keinen Trost mehr zu geben, außer in einem Blick, der aufs Grauen geht.

Dort finden Deichkind Schönes im Schaurigen und wollen im Bewusstsein der Negativität die Möglichkeit des Besseren festhalten. Ambivalenzen und Ambiguitäten prägen ihre Songs, obwohl zunächst nur die Überfülle von Slogans auffällt. Ältere Titel wie „Arbeit nervt“, „Bück dich hoch“ oder „Befehl von ganz unten“ klangen populistisch, stellten sich letztlich als subversive Vignetten heraus. Im Schatten ihrer vordergründigen Ironie lauert bei Deichkind eine seriöse Gesellschaftskritik, die am Ende aber ganz anders ist als jene früherer norddeutscher Bands wie Ton, Steine, Scherben. Rio Reiser und seine linken Freunde machten in den Siebzigerjahren strammen Agitprop mit Hymnen wie „Macht kaputt, was euch kaputt macht!“ und „Paul Panzers Blues“.

„In jedem Einzelnen von uns ist ein Riss“

Deichkinds Blick auf die Wirklichkeit ist ein ganz anderer, ein betont vexierbildartiger. Jedes Mal Hinschauen auf ein Phänomen enthüllt eine andere Realität. Was ist ihr roter Faden? „Das ist ganz generell der Zweifel“, sagt Grütering, die Stirn in Falten legend. „Nicht nur am neuen Album. Deichkind tragen auch als Band eine Dialektik in sich. Es gibt eine kapitalismuskritische und eine konsumgeile Fraktion. Auch in jedem Einzelnen von uns prangt ein Riss. Ob wir Kommerz machen oder Kunst, zu Burger King gehen oder in den Biomarkt, ob wir fernsehen oder im Wald spazieren gehen: Die richtige Balance ist wichtig.“

Die Subversivität von Deichkind ist leicht zu übersehen. Mit ihrem Hochleistungsparty-Gestus wirken sie oft so, als würde es ihnen darum gehen, den Soundtrack der Spaßgesellschaft zu schreiben. „Wir kommen wie eine prollige, hedonistische Band daher, haben aber den Anspruch, subtil und ironisch gesellschaftskritische Themen einzuflechten. Ausgrenzen wollen wir niemanden, schließlich geht es uns doch auch um Massentauglichkeit.“ Die setzte ein, als sich Deichkind nach zwei Alben mit ganz gutem Hip-Hop ins Universum des Techno und Electro Trash verabschiedeten. Die genormte Rebellenattitüde des Hip-Hop reuelos hinter sich lassend, düsten Deichkind damals trotz neuer, krasser Sounds die Charts hoch. Der überall beklagten, verminderten Aufmerksamkeitsspanne der Jugend kam man mit einer gewissen Plakativität der Songtitel bei. Bewusste Strategie? „Nein. Unsere Hörer achten sehr auf die Texte. Zum Glück sind sie für die Zeilen, die ich aus dem Alltag aufschnappe, überaus empfänglich.“ Der strukturierte Grütering sorgt bei den meisten Songs für die musikalische und textliche Initialzündung. Sebastian „Porky“ Dürre und Ferris MC haben andere Stärken. „Porgy kann spätabends in Kneipen Zeilen raushauen, die es total bringen. Ich lauere da mit dem Schreibstift in seiner Nähe.“ Das politisch höchst unkorrekte Electro-Trash-Juwel „Oma gib Handtasche“ geht textlich auf Porky zurück. „Er hat so eine Affinität für die Minderheit der Rentner und spielt gerne auf deren Klaviatur der Ängste.“ Das nicht einmal zwei Minuten lange Stück gilt Grütering als Highlight des Albums. „Das ist vielleicht wirklich der perfekteste Song, weil da der Funke sicher überspringt.“

Mit leichter Hand haben Deichkind auf „Niveau Weshalb Warum“ abermals potenzielle Singlehits gebastelt. Hervorstechend ist das sanft schaukelnde „Like mich am Arsch“, das Social-Media-Süchte geißelt. Atemlose Raps locken in die „Ego-lution“ der digitalen Scheinwelt: „Folgen, posten, hiden, hosten, ich muss ins Netz, bin am Verdursten. Ich muss Freunde filtern, Jesus liken, Learjets ordern, Styles und neue Statements fordern.“ Jede Schmach des Daseins, über die Deichkind herziehen, kennen sie selbstverständlich aus eigener Erfahrung. Grütering ist Weltmeister im Prokrastinieren. „Statt kreativ zu sein, scrolle ich oft sinnlos im Internet herum.“ Dem Phänomen, dass ganze Familien sprachlos in Restaurants sitzen, weil jeder auf sein Display starrt, sollte Einhalt geboten werden. „Eine Art Etikette in Lokalen wäre schon gut. Das Flashige zerstört jedes Gefühl für die Gegenwart.“ Seine Sentenz zum Dessert: „Liebe dein Leben, so arm es auch sein möge.“

Auf der Bühne geben sie gerne die Krawallschanis. Sie inszenieren den Exzess, um unseren hektischen, quasireligiösen Selbstoptimierungsversuchen Einhalt zu gebieten. Dafür mimen sie zuweilen Hochleistungstrinksportler, die den Vollrausch mit rüden Kleinodien wie „Roll das Fass rein!“ und „99 Bierkanister“ als Systemkritik werten. Und doch hegen sie, wie sich auf dem neuen Album herausstellt, klandestine Sehnsüchte nach dem Stillen. „Party in der Großraumdisco, Loveparade, große Hallen – das macht uns alles total Spaß, aber es ist auch ein Teil in uns, der gerne mal die Tür zumacht.“ Wie sagte Stalin einst so schön: „Kein Mensch, kein Problem“ – könnte ein Deichkind-Songtitel sein. Der aber heißt in diesem Falle schlicht: „Hauptsache nichts mit Menschen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2015)

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