Pop

Konzert: Paul Simon kann nichts erschüttern

(c) APA/Herbert Neubauer
  • Drucken

Hedonismus und Weltverbesserung müssen einander nicht ausschließen: Paul Simon und Sting haben bei ihrem Konzert in der Wiener Stadthalle überraschend gut harmoniert.

Traulich standen sie nebeneinander. Obwohl: Ein seltsameres Paar hatte man sich vorher eigentlich kaum vorstellen können. Links Sting, der etwas streberhafte, gut austrainierte britische Barde, der sich mit modischem Pelzgoscherl zeigte. Und rechts, der nur 1,60 Meter aus der Erde gewachsene Paul Simon, dessen gewaltige Aura allein aus seiner sanften Stimme erwächst. Sting, ein gnadenloser Selbstoptimierer, ein Poseur des Leids, der, falls ihn das Schicksal einmal zu Boden schickt, garantiert in stabiler Seitenlage landet, und Paul Simon, dieser kompromisslose Altruist, dessen noble Haltung neben der Egomanie des Kollegen umso intensiver geleuchtet hat. Nun auch schon 73 Jahre alt, fasziniert Simon damit, dass er unbeirrt von den Wirren einer ungerechten Welt in jedem seiner Lieder diesen zart optimistischen, hymnischen Grundton anschlägt.

Der erste Song des Abends, Stings „Brand New Day“, schwärmte von der Transformationskraft der Liebe. „You can turn the clock to zero, honey. I sell the stock, we'll spend all the money, we're starting up a brand new day“ hieß es da. Nicht nur die Hardcore-Fans waren da wunderlich angerührt: Wie diese beiden Trademark-Stimmen einander ergänzten, überraschte selbst die härtesten Skeptiker. Statt ewig von Lercherlstimmen à la Art Garfunkel kontrastiert zu werden, hat es Simon sichtlich genossen, es mit Stings monotonem Organ aufzunehmen, das sich regelmäßig zu gewaltigen Ausbrüchen gesteigert hat. Nach dem intensiven Beginn folgte eine kleinere Enttäuschung. „Boy in the Bubble“, einst strahlende Eröffnungsnummer von Simons genialem „Graceland“-Album, litt unter dem neuen Mainstreamrock-Arrangement. Fehlleistungen wie diese haben dennoch den Charme der ganzen Unternehmung erhöht, die keiner zynischen Geschäftsidee geschuldet ist.

Beide waren ja auch vorher glänzend im Geschäft. Kennengelernt haben sie sich Ende der Achtzigerjahre, als sie im gleichen Haus an der Upper West Side in New York gewohnt haben. Damals spielten sie einander ihre jeweils neuesten Lieder vor, aber keiner kam auf die Idee, einmal etwas miteinander zu wagen. Nach einem zufälligen gemeinsamen Engagement 2013 dachten die beiden weiter. Seit dem Vorjahr sind sie zusammen mit einer 16-köpfigen Band, in der u. a. Bruce-Springsteen-Keyboarder David Sancious und der ehemalige Zappa-Trommler Vinnie Colaiuta mitwirken, unterwegs.

Resolute Version eines Police-Knallers

Neben den gemeinsamen Momenten gab es in den drei Stunden auch reichlich Gelegenheit, die Herren einzeln zu bestaunen. Sting überzeugte mit einer resoluten Version des alten Police-Knallers „When the World Is Running Down, You Make the Best of What's Still Around“, der sich als veritable Hymne des heutigen Prekariats erwies. In seinen Liedern denkt Sting nie global, sein Ansatz ist streng subjektivistisch. Die Botschaft lautet, dass Lust und Hedonismus auch dann möglich sind, wenn alles um einen herum einbricht: „When I feel lonely here, don't waste my time with tears. I run ,Deep Throat‘ again, it ran for years and years.“ Was Ehefrau Trudie, eine Yoga-Fanatikerin, zu solcherart angesprochenem harten Porno sagt, will man sich gar nicht ausmalen . . .

Paul Simon war offenbar auch schon von Einsamkeit bedroht. Sein glühend dargebrachtes „50 Ways to Leave Your Lover“ ist aber immer noch kein Vademecum für Trennungswillige. Die Freiheit bleibt in diesem Song nur Theorie, weil die Protagonisten nach einigem Hin und Her beschließen, das Problem gemeinsam zu überschlafen. Durch Körperwärme und alte Reflexe korrumpiert, bleibt das Paar zusammen. Die Liebe als unentrinnbares Fatum, das war ein Szenario, dem, nach der Intensität des Applauses zu urteilen, die Fans viel abgewinnen konnten.

Episch: „Bridge over Troubled Water“

Der Schönheit Stimme redet leise, befand einst Friedrich Nietzsche. Tatsächlich war in den stillen Liedern dieses Abends die meiste Magie. Etwa in „Fragile“, das Sting beinah so gut singt wie Isaac Hayes. Oder in „Still Crazy After All These Years“, das die Beharrungskraft von Charakteren in einer Massengesellschaft lobte. Bei seinen afrikanisch aufgezwirbelten Liedern wie „Diamonds on the Soles of Her Shoes“ oder dem als fröhlichen Zydeco dargebrachten „That Was Your Mother“ brandete gar gemeinschaftlicher Frohsinn auf. „The Boxer“ und „You Can Call Me Al“ erwiesen sich ebenfalls als Reißer. Das Finale gehörte einer epischen Lesart von „Bridge over Troubled Water“, bei der Sting im Duett mit Simon mit seiner raffinierten Tonlosigkeit punktete. Ganz zum Schluss fragte das „Odd couple“ in den Spuren der Everly Brothers noch kokett: „When Will I Be Loved?“ Der donnernde Schlussapplaus kommunizierte den Willen der Masse: jetzt und immerdar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.