Nova Rock: Ein bisschen geordnete Anarchie

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Rock, aber bitte nicht ohne Komfort: Das Nova Rock reagiert auf sein gereiftes Festivalpublikum. Mötley Crüe spulten eine inszenierte Show ab, die Massen begeisterte Scooter.

Ist das Nova-Rock-Publikum erwachsen geworden? Die elfte Ausgabe des Festivals im pannonischen Nickelsdorf vermittelt den Eindruck. Man entdeckt kaum noch blöde Verkleidungen und derbe T-Shirt-Sprüche, dafür immer mehr (vorwiegend männliche) Festivalveteranen, die mittlerweile wohl nine to five arbeiten und im Festival ein kleines Refugium sehen – einen geschützten Mikrokosmos, wo die Sitten noch rauer sind, wo gegen Absperrungen gepinkelt wird und ein mit Edding auf die Brust gemalter Penis als lustiger Körperschmuck gilt.

Man möchte die Sau herauslassen, ja, aber bitte auf ganz geordnete Weise. So stürzt man sich auch 2015 noch hin und wieder in einen Moshpit, jenen von den Zierlicheren unter uns gefürchteten Kreis, in dem „Rempeln bis zum Umfallen“ als einzige Regel gilt – doch man achtet dabei auf seine Atemwege: So mancher Besucher hat sich zum Schutz vor aufwirbelndem Staub ein Tuch um Mund und Nase gebunden.

Und weil warmes Dosenbier und Chili con Carne von Inzersdorfer zwar Klassiker, für die feinen Gaumen der gereiften Festivalgesellschaft auf Dauer aber doch eine Zumutung sind, gibt es jetzt auch kulinarisch hochwertigere Kost: Auf dem Campingplatz versorgt das Wiener Café das Festivalvolk mit Kaiserschmarrn und Sacherwürsteln, in der Genussarena Burgenland bietet der Winzer des Tages seinen Biowein an, den man dann, gebettet auf hipstermäßigen Palettenmöbeln, zum Steppenrindwürstel oder zum pannonischen Wurstsalat von Puls4-Fernsehkoch Oliver Hoffinger degustiert.

Man will Rock, aber bitte nicht ohne Komfort. Nova-Rock-Veranstalter Ewald Tatar reagierte auf die neuen Ansprüche (und wohl auch auf das neue Festival Rock in Vienna, das dem Nova Rock vergangene Woche mit den Vorzügen von Wasserklos und der bequemen U-Bahn-Heimfahrt Konkurrenz machte) mit allerlei Zugeständnissen: Der Weg zwischen den beiden Bühnen wurde massiv verkürzt, das Zelthotel (kein Schleppen, kein Aufbauen) erweitert. Die Wohnwagentickets und Plätze im „Silent & Green“-Camping waren als Erste ausverkauft.

Die regulären Tickets waren es bis zuletzt nicht: 150.000 Besucher in drei Tagen erwartete man sich im Vorfeld, 125.000 werden es wohl werden. Am ersten Festivaltag war selbst vor der Bühne noch so viel Platz, dass man sich die meisten Bands locker am Boden sitzend anschauen konnte.

Etwa die progressive Metal-Band Mastodon: Musikalisch komplex und instrumental virtuos, vermochten deren Songs das von der Hitze sedierte Publikum nicht recht aus der Reserve zu locken. Die Eagles of Death Metal, Nebenprojekt von Queens-of-the-Stone-Age-Sänger Josh Homme, der einen seiner raren Schlagzeugauftritte gab, begeisterte schon mehr: Sänger Jesse Hughes, der Mann mit dem Pornoschnauzer und den übertriebenen Rockerposen, versetzte nicht nur sein eigenes, sondern auch einige Becken im Publikum in Schwingung. Voll wurde es vor der Bühne aber erst bei den amerikanischen Hardcore-Punkern von Rise Against, die geballte Energie ins ergebene Publikum feuerten.


Glatte Show. Die kalifornischen Skandalrocker Mötley Crüe gaben ihr allererstes und wohl letztes Österreich-Konzert im Rahmen ihrer „All bad things must come to an end“-Tour. Ob es wirklich die letzte Tour bleibt, wird sich zeigen, besser wäre es wohl so: Die Glam-Metaller, die in den 1980ern vor allem mit ihrer Musik und in den 1990ern vor allem mit ihren Eskapaden auffielen (Stichwort: das Sexvideo von Schlagzeuger Tommy Lee und seiner damaligen Frau Pamela Anderson), lieferten eine glatte, durchinszenierte Show ab. „If you're ready, say ,fuck you‘!“, rief Frontman Vince Neil ins Mikrofon, seine Hose mit dem phallisch hervorstehenden Goldkreuz als Gürtelschnalle glitzerte dazu.

Aus Metallzacken auf der Bühne schossen wiederholt Flammen empor, zwei Tänzerinnen schwangen ihr in Lack gepacktes Gesäß. Songs wie „Girls, girls, girls“ und „Dr. Feelgood“ sorgten zwar für gute Laune, aber eher aus Nostalgie als durch musikalische Überzeugungskraft. Die Luft ist draußen, da hilft auch kein Feuerwerk. Am Schluss durfte Tommy Lee noch seine Drumsticks ins Publikum kicken – da machten wohl ein paar Zuschauer, die schon am Boden lagen, wieder die Augen auf.

Wiederbeleben konnte die müden Geister nur der Auftritt von „Late Night Special“ Scooter, die mit Kommerzbeats, Gogo-Tänzerinnen und ein bisschen „Hyper, Hyper“ aus der Kehle des Techno-Proleten H.P. Baxxter zum Headliner der Herzen – oder der alkoholgetränkten Lebern – wurden. Was sonst peinlich wäre, wird Kult, wenn der Alkoholpegel stimmt. Ganz erwachsen werden wohl auch die hartgesottensten Festivalbesucher nie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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