Rock, aber bitte nicht ohne Komfort: Das Nova Rock reagiert auf sein gereiftes Festivalpublikum. Mötley Crüe spulten eine inszenierte Show ab, die Massen begeisterte Scooter.
Ist das Nova-Rock-Publikum erwachsen geworden? Die elfte Ausgabe des Festivals im pannonischen Nickelsdorf vermittelt den Eindruck. Man entdeckt kaum noch blöde Verkleidungen und derbe T-Shirt-Sprüche, dafür immer mehr (vorwiegend männliche) Festivalveteranen, die mittlerweile wohl nine to five arbeiten und im Festival ein kleines Refugium sehen – einen geschützten Mikrokosmos, wo die Sitten noch rauer sind, wo gegen Absperrungen gepinkelt wird und ein mit Edding auf die Brust gemalter Penis als lustiger Körperschmuck gilt.
Man möchte die Sau herauslassen, ja, aber bitte auf ganz geordnete Weise. So stürzt man sich auch 2015 noch hin und wieder in einen Moshpit, jenen von den Zierlicheren unter uns gefürchteten Kreis, in dem „Rempeln bis zum Umfallen“ als einzige Regel gilt – doch man achtet dabei auf seine Atemwege: So mancher Besucher hat sich zum Schutz vor aufwirbelndem Staub ein Tuch um Mund und Nase gebunden.
Es gab heuer einige Änderungen am Nova Rock, das vom 12. bis zum 14. Juni im burgenländischen Nickelsdorf stattfand: Das Festivalgelände wurde breiter. Die zwei Bühnen waren nicht gefühlte zwei Kilometer voneinander entfernt aufgebaut, sondern nebeneinander. Die größere Blue Stage blieb, wo sie bisher war, rechts daneben zog die etwas kleinere Red Stage hin - mit Respektsabstand und schräg zur Hauptbühne.Text: her, kanu (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Das hatte auch den Effekt, dass eine kleine Festivalstadt entstand - und nicht zwei entfernte Dörfer. Der Bühnenwechsel war einfacher - so konnte man mehr Bands (und Leute) sehen. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Auch der Vergnügungspark wuchs: Das Riesenrad kannte man schon vom vergangenen Jahr, aber heuer war die "Fun Zone" zentral im Festivalgelände angesiedelt. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Nicht alles, was vom Prater nach Nickelsdorf übersiedelte, wurde zum durchschlagenden Erfolg. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Bereits im vergangenen Jahr eingeführt wurde auch die Genussmeile, in der es lokale Schmankerl gab. Wie zum Beispiel ... (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter ... Spanferkel. In einer Semmel mit Zwiebelsenf und Krautsalat serviert, nannte man das "Burgenland-Burger". (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Kein durchschlagender Erfolg: Das "Oktoberzelt" am Festival. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Am Zeltplatz, ebenfalls etwas kompakter aufgestellt, war Abkühlung gefragt. Die Temperaturen kletterten auf mehr als 30 Grad. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Am ersten Tag war noch deutlich weniger los am Festivalgelände. Die deutsche Band Guano Apes zelebrierte ihren Crossover der alten Schule. Frontfrau Sandra Nasić wetzte auf der Bühne hin und her. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Die etwas ergrauten Herren von Mastodon zelebrierten auf der Red Stage ihre ausgefeilten Metal-Elegien. Das ist keine Mitstampf- und Haarschüttelmusik, sondern Zuhörmetal - und zieht nicht unbedingt die Massen an. Was Cy Twombly für die Maler, ist Mastodon für Metal: Eine Metalband, die von Metalbands bewundert wird. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Am ersten Tag des Festivals war zwar Mötley Crüe der Hauptact, beim Merchandising waren aber T-Shirts anderer Bands der Renner: Neben dem bereits ausverkauften Godmack-Muskelshirt vor allem das Mädchen-Shirt von Scooter mit der Aufschrift "I like it loud". "Das habe ich mindestens schon 50 Männern verkauft", sagt die Verkäuferin. (c) Presse Digital Die Masken dürften erst am Sonntag ihren großen Auftritt haben: Dann kommen Slipknot ins Burgenland. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter In der Nachmittagshitze die Leute zu animinieren, gelang den Eagles of Death Metal ganz gut: "This is not fucking England", rief Jesse "The Devil" Hughes, wenn es ihm zu leise war. Das von ihm verlangte "Amen" ging den österreichischen Fan aber ohnehin leicht von den Lippen. Gründungsmitglied Josh Homme, meist mit den Queens of the Stone Age unterwegs, fand diesmal Zeit, an den Drums zu sitzen. (c) Presse Digital/Katrin Nussmayr Vor den Headlinern gab es auf beiden Bühnen eine ordentlich Portion Energie: Auf der kleineren Red Stage füllten Rise Against mit melodiösem Hardcore die Ränge. Sänger Tim McIlrath gab sich publikumsnahe und charmant: "I see a lot of beautiful people", sagte er und schwang das Mikofon wie ein Lasso über seinem Kopf. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Auf der anderen Bühne schraubten unterdessen Lamb of God das Energielevel hoch. Die Double-Bass ratterte wie ein Maschingewehr, Sänger Randy Blythe rannte hin und her wie von der Tarantel gestochen. (c) APA/EPA/PETER KLAUNZER (PETER KLAUNZER) Vor der Bühne bildete sich ein Moshpit, ein Kreis, in dem die Zuschauer tanzten und nicht gerade zärtlich auf Tuchfühlung gingen. Sänger Blythe mag grölen, schreien und fluchen - aber er passt auf seine Fans auf. "Keep each other safe", wies er die Leute im Moshpit an. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Das einzige Nass von oben gab es am ersten Festivaltag übrigens durch Bierduschen - bei Lamb of God besonders oft. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Selbstgemacht sind diese T-Shirts. Das ist das Nova Rock für viele: Ein Wochenende wilde Auszeit vom braven Alltag. (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter Für Aufsehen sorgt ein Paar, er im tadellosen Hochzeitsanzug, sie im weißen Brautkleid, dessen Saum sich schön langsam an die farblichen Gegebenheiten des Bodens anpasst. Ein Gag? „Sieht das nach einem Gag aus?“, fragt die strahlende Braut und streckt der blöden Frage ihren silber funkelnden Ring entgegen. Bettina und Andreas Schwendenwein haben sich gerade das Ja-Wort gegeben, lassen die Hochzeitsgesellschaft beim Heurigen alleine feiern und sind selbst in die Nickelsdorfer Staubwüste gefahren. Ums Kleid ist es der Braut nicht schade, das zieht man (im besten Fall) eh nie wieder an. Und weiter ziehen die beiden Richtung Blue Stage, stets flankiert von fragenden Neugierigen: „Seid's ihr echt?“ (c) Presse Digital/Heide Rampetzreiter "We say goodby to you", erklang es dann von der Haupbühne. Mötley Crüe waren zum ersten Mal in Österreich - aber auf Abschiedstournee (ihrer ersten). Das Haupthaar ist grau geworden, die Mitte etwas breiter. Und den Lebemännern von Mötley Crüe war eine gewisse Müdigkeit anzumerken. "Schließt eure Augen, wir haben 1981", rief Frontman Neil. Leider nein. Ihre Show ist aber perfekt einstudiert, samt Tänzerinnen und viel, viel Pyrotechnik. Im Schritt von Sänger Vince Neil glitzerte ein Kruzifix, Bassist Nikki Sixx (mit immer noch vollem Haupthaar) stolzierte hin und her, richtig Spaß schien aber alleine Drummer Tommy Lee zu haben. Gitarrist Mick Mars ging am Ende fast gebückt von der Bühne. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Parallel auf der Red Stage gab es ebenfalls eine perfekte Show, bei den Beatsteaks ging es aber deutlich lebendiger zu. Und das gleich mit doppeltem Schlagzeuger: ein Pantomime trommelte in der Luft und das Publikum schwang im Takt die Hände hin und her. Die sympathische Band um Sänger Arnim Teutoburg-Weiß weiß mitzureißen. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Auf der Red Stage war nach den Beatsteaks Schluss und auf der Blue Stage füllten sich die Ränge deutlich mehr als beim Headliner Mötley Crüe. Schließlich war am Ende Party angesagt: Die deutsche Techno-Trash-Band Scooter gab ein Late-Night-Special mit Kommerzbeats, Explosionen und Tänzerinnen. Frontmann H.P. Baxxter hatte eigentlich nicht viel zu tun außer zwischenzurufen. "Hyper, hyper" schrie er - und die Masse schrie mit. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Die Toten Hosen waren das Highlight des zweiten Tages am Nova Rock Festival. "Lasst uns diesen Abend zelebrieren, als gäbe es kein Morgen", rief Sänger Campino ins Publikum. Dieses folgte der Anweisung willig. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Für ausgelassene Stimmung sorgte am Nachmittag schon die deutsche Rockband Kraftklub, die zum ersten Mal auf den Pannonia Fields auftrat. "Ganz schön staubig hier", äußerte sich Sänger Felix Brummer - und brachte das Publikum gleich dazu, den Staub gehörig aufzuwirbeln. T-Shirts wurden über den Köpfen geschwungen wie Ventilatoren. Den Höhepunkt der Show absolvierte die Band von einem fahrbaren Podest mitten im Publikum aus, den Weg zurück zur Bühne bestritten die vier uniformierten Burschen (der Schlagzeuger musste auf der Bühne warten) mittels "Crowdsurfing-Wettrennen". (c) Presse Digital/Katrin Nussmayr Auf der Red Stage lieferten indessen die kalifornischen Rocker von Papa Roach eine energetische Show ab. Die Band übte sich im kollektiven (choreografierten?) Rumgehüpfe, Sänger Jacoby Shaddix ging gleich mal auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Dieses hat beim Warten auf die Band übrigens eine interessante Pausenbeschäftigung gefunden: Gut 20 Frauen entblößten, auf den Schultern ihrer Freunde sitzend und dank Videowall für alle sichtbar, der Reihe nach ihre Brüste. Allgemeine Heiterkeit. (c) Presse Digital/Katrin Nussmayr Während sich auf dem Himmel schon dunkle Wolken zusammenbrauten, spielten die Fantastischen Vier munter ihre Hits. Wie die Pfitschipfeile liefen Smudo, Michi Beck und Thomas D. rappend die Bühne auf und ab, And.Ypsilon sorgte für die Beats, eine Begleitband für den Sound. (c) Presse Digital/Katrin Nussmayr Untermalt wurde die fröhliche Show vom einsetzenden Regen, der innerhalb von Minuten zum alles durchnässenden Wolkenbruch ausartete. Wer nicht rechtzeitig einen Poncho ergatterte, musste nass zu Hits wie "MfG" und "Troy" tanzen. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Während auf der Red Stage die skandinavischen Bands In Flames und Nightwish eine metallige Alternative boten, beschlossen die Toten Hosen den Deutschlandtag auf der Hauptbühne. Und begeisterten das Festivalpublikum (so manch einer war wohl extra der Hosen wegen angereist) mit einer soliden Punkrockshow. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Die Düsseldorfer lieferten ihre gewohnt mitreißende Mischung aus Bierzelt-Hymnen, Rotzpunk und großem Rock-Kino. Mit dem traurigen "Nur zu Besuch", das Campino einem vor Kurzem verunglückten Freund widmete, sorgte er für echte Rührung im Publikum. Daneben gab es politische Botschaften ("Lasst euch von Strache nicht für dumm verkaufen!"), Gute-Laune-Hits und am Ende ein Konfettifeuerwerk. Tanzen, brüllen und schwelgen, was will ein Festivalvolk mehr? (c) Presse Digital/Katrin Nussmayr "Das ist kein Hardrock, das ist Austropop!", belehrte danach "Latenight-Special" Wolfgang Ambros die aufgeheizten Gemüter in ihren Slipknot- und Motörhead-Leiberln. Der 63-Jährige wurde mit Enthusiasmus empfangen, auf die "Wolferl!"-Rufe reagierte er gelassen: "Danke, i waß wie i haß." Er ließ den zweiten Abend stimmungsvoll ausklingen - mit Perlen von "Schaffnerlos" bis "Es lebe der Zentralfriedhof". (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Am dritten Festivaltag, dem Sonntag, herrschen am Nachmittag noch hochsommerliche Temperaturen. Was Jennifer Weist, Sängerin von Jennifer Rostock, offenbar zu einer lustigen Einlage bewegte. Aber das Wetter hielt nicht. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Eine Unwetterwarnung mit schweren Regenfällen kündigten die Screens an den Bühnen unheilvoll an. Neben der Bühne wurden noch schnell Scheinwerfer verpackt und Leinwände gelockert, damit der Wind die Bühne nicht umreißen kann, da fielen schon die ersten Tropfen. (c) Presse Digital Auf der Red Stage hatten The Gaslight Anthem gerade ihren vierten Song angestimmt, da musste das Konzert schon abgebrochen werden. "I'm sorry, there is a weather coming", sagte Sänger Brian Fallon. "I can't do my job". Seinen Job - auf der Bühne zu stehen - durfte er an diesem Sonntag nicht mehr ausüben. Der Auftritt wurde nicht nachgeholt. (c) Presse Digital Gute zehn Minuten dauerte der Wolkenbruch. Das war lange, und vor allem heftig genug, um alles zu durchnässen, was sich nicht rechtzeitig in ein Zelt retten konnte. Allerdings gab es auch etwas Positives: In der Zwangspause konnte man die zweite Halbzeit des Fußballspieles Österreich gegen Russland verfolgen. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) "Schön, dass ihr den Regen überlebt hat", begrüßte Farin Urlaub mit seinem Racing Team anschließend auf der Red Stage sein Publikum. Der Ärzte-Frontmann war gewohnt charmant, galant und lustig und übte sich sogar im Wienerischen. Das Publikum tanzte in und um Schlammlacken - und malte sich Herzen auf die schlammbespritze Haut. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Vor der Blue Stage versammelte sich unterdessen die Menge für Five Finger Death Punch, die leider Soundprobleme hatten. Die Außenboxen waren heruntergelassen und kurz vor Ende des Konzerts schnellte die Lautstärke aufs Doppelte. Macht nix, das Publikum war "ready to get crazy", wie Sänger Ivan "Ghost" Moody sagte. Mit ihrem speedigen Metal stimmten sie schon auf Motörhead ein, die nach ihnen die Bühne betraten. (c) REUTERS (DARREN STAPLES) Durch den Regen gab es Verspätungen, auch auf der ... (c) Presse Digital ... Red Bull Brandwagen Stage. Dort schlossen Orchid den dreitägigen Konzertreigen. Mit etwas Verspätung, in der man wieder zur Erkenntnis gelang: Soundchecks sind langweilig. "Rock it like it's 1975", dachte man bei sich, als die Band dann begann. Den Einfluss von Black Sabbath kann die kalifornische Doom-Metal-Band nicht abstreiten. Lange blieb ihr nicht Zeit, das Publikum zu fesseln - auf der Hauptbühne begannen Motörhead. Schade, der Aufbau der Songs hatte etws Drängendes und damit Fesselndes. (c) Presse Digital Motörhead also. Hinten kreuzten sich die Laser, vorne jammerte Lemmy Kilmister ins Mikrofon auf der schmucklosen (nur ein Riesenbanner mit dem Schriftzug der Band) Bühne. Der Sänger gilt als unverwüstlich, wirkte aber dennoch gesundheitlich angeschlagen. Das ließ die ohnehin räudigen Väter des Speed Metal noch räudiger wirken. Im Laufe des Konzerts kamen die Briten aber dennoch ordentlich in Fahrt. (c) APA/EPA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Nebenan tastete sich eine Hand durch den weißen, vor die Bühne gespannten Stoff. Der Vorhang fiel und Deichkind startten ihr Anarcho-Hip-Hop-Theater. Mit gigantischen Hirnen reihten sie im klugen "Denken Sie Groß" Platitüden neoliberaler Selbstverwirklichungsratschläge aneinander ("In jedem Mensch steck ein Visionär!"). "Bück dich hoch" geriet samt Kostümwechsel fast kabarettistisch. Die eindrucksvolle, duchchoreografierte, oft in Schwarz-Weiß gehaltene Performance war weniger neongrell als ihre früheren Auftritte - bis zum bunten Schluss, als die Hamburger wieder die Zeit für "Remmidemmi" ausriefen. (c) imago/STAR-MEDIA (imago stock&people) Eine gänzlich andere, aber ebenso perfekte Show lieferten auf der Haupbühne Headliner Slipknot. "With my face against the floor, I can't see who knocked me out of the way", klang es aus den Boxen. Das Publikum konnte schon sehen, wer sie umhaute: Ein Vorhang fiel und eine Soundwelle - schnell, brachial, hart - rollte über Massen. (c) APA/EPA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) In Overalls und Mördermasken, unter Bildern des gekreuzigter Jesus-Figuren und eine Teufelsmaske: Slipknot erinnern rein optisch an einen Perchtenlauf. "Austria, are you ready to see the devil?" fragte Sänger Corey Taylor. Jaaaa! (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Neun Mitglieder zählt die Band aktuell. Links und rechts führen die Percussionisten auf Hebebühnen hoch und nieder. Hinten flammten Feuerfontänen und eine Wand aus Feuer auf. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Taylors Gesang wechselte eindrucksvoll und blitzschnell zwischen Singen, Grölen und Shouten, der Bass ratterte, DJ und Sampler schmierten noch eine Schicht Sound auf die wuchtigen Lieder und die Drums donnerten so eilig wie im Schnellvorlauf - im Vergleich dazu war der Gewittersturm am frühen Abend eine Kinderjause. So hart die Musik, so sanft die Ansagen des Sängers: "Thank you so fucking much. We fucking love you", sagte er. Diese Liebe war nicht einseitig. (c) APA/HERBERT P. OCZERET (HERBERT P. OCZERET) Nova Rock 2015: Mit Slipknot den Teufel sehen Und weil warmes Dosenbier und Chili con Carne von Inzersdorfer zwar Klassiker, für die feinen Gaumen der gereiften Festivalgesellschaft auf Dauer aber doch eine Zumutung sind, gibt es jetzt auch kulinarisch hochwertigere Kost: Auf dem Campingplatz versorgt das Wiener Café das Festivalvolk mit Kaiserschmarrn und Sacherwürsteln, in der Genussarena Burgenland bietet der Winzer des Tages seinen Biowein an, den man dann, gebettet auf hipstermäßigen Palettenmöbeln, zum Steppenrindwürstel oder zum pannonischen Wurstsalat von Puls4-Fernsehkoch Oliver Hoffinger degustiert.
Man will Rock, aber bitte nicht ohne Komfort. Nova-Rock-Veranstalter Ewald Tatar reagierte auf die neuen Ansprüche (und wohl auch auf das neue Festival Rock in Vienna, das dem Nova Rock vergangene Woche mit den Vorzügen von Wasserklos und der bequemen U-Bahn-Heimfahrt Konkurrenz machte) mit allerlei Zugeständnissen: Der Weg zwischen den beiden Bühnen wurde massiv verkürzt, das Zelthotel (kein Schleppen, kein Aufbauen) erweitert. Die Wohnwagentickets und Plätze im „Silent & Green“-Camping waren als Erste ausverkauft.
Die regulären Tickets waren es bis zuletzt nicht: 150.000 Besucher in drei Tagen erwartete man sich im Vorfeld, 125.000 werden es wohl werden. Am ersten Festivaltag war selbst vor der Bühne noch so viel Platz, dass man sich die meisten Bands locker am Boden sitzend anschauen konnte.
Etwa die progressive Metal-Band Mastodon: Musikalisch komplex und instrumental virtuos, vermochten deren Songs das von der Hitze sedierte Publikum nicht recht aus der Reserve zu locken. Die Eagles of Death Metal, Nebenprojekt von Queens-of-the-Stone-Age-Sänger Josh Homme, der einen seiner raren Schlagzeugauftritte gab, begeisterte schon mehr: Sänger Jesse Hughes, der Mann mit dem Pornoschnauzer und den übertriebenen Rockerposen, versetzte nicht nur sein eigenes, sondern auch einige Becken im Publikum in Schwingung. Voll wurde es vor der Bühne aber erst bei den amerikanischen Hardcore-Punkern von Rise Against, die geballte Energie ins ergebene Publikum feuerten.
Glatte Show. Die kalifornischen Skandalrocker Mötley Crüe gaben ihr allererstes und wohl letztes Österreich-Konzert im Rahmen ihrer „All bad things must come to an end“-Tour. Ob es wirklich die letzte Tour bleibt, wird sich zeigen, besser wäre es wohl so: Die Glam-Metaller, die in den 1980ern vor allem mit ihrer Musik und in den 1990ern vor allem mit ihren Eskapaden auffielen (Stichwort: das Sexvideo von Schlagzeuger Tommy Lee und seiner damaligen Frau Pamela Anderson), lieferten eine glatte, durchinszenierte Show ab. „If you're ready, say ,fuck you‘!“, rief Frontman Vince Neil ins Mikrofon, seine Hose mit dem phallisch hervorstehenden Goldkreuz als Gürtelschnalle glitzerte dazu.
Aus Metallzacken auf der Bühne schossen wiederholt Flammen empor, zwei Tänzerinnen schwangen ihr in Lack gepacktes Gesäß. Songs wie „Girls, girls, girls“ und „Dr. Feelgood“ sorgten zwar für gute Laune, aber eher aus Nostalgie als durch musikalische Überzeugungskraft. Die Luft ist draußen, da hilft auch kein Feuerwerk. Am Schluss durfte Tommy Lee noch seine Drumsticks ins Publikum kicken – da machten wohl ein paar Zuschauer, die schon am Boden lagen, wieder die Augen auf.
Wiederbeleben konnte die müden Geister nur der Auftritt von „Late Night Special“ Scooter, die mit Kommerzbeats, Gogo-Tänzerinnen und ein bisschen „Hyper, Hyper“ aus der Kehle des Techno-Proleten H.P. Baxxter zum Headliner der Herzen – oder der alkoholgetränkten Lebern – wurden. Was sonst peinlich wäre, wird Kult, wenn der Alkoholpegel stimmt. Ganz erwachsen werden wohl auch die hartgesottensten Festivalbesucher nie.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)
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