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Was für ein langer, seltsamer Trip: Ade, Grateful Dead!

A Grateful Dead fan wears a mask in the parking lot before Grateful Dead's 'Fare Thee Well: Celebrating 50 Years of Grateful Dead' farewell tour at Levi's Stadium in Santa Clara
A Grateful Dead fan wears a mask in the parking lot before Grateful Dead's 'Fare Thee Well: Celebrating 50 Years of Grateful Dead' farewell tour at Levi's Stadium in Santa Clara(c) REUTERS
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Die archetypische amerikanische Hippieband verabschiedet sich – 50 Jahre nach ihrer Gründung – einmal noch von ihren Fans, den Deadheads.

War der Regenbogen, der beim Song „Viola Lee Blues“ trotz Sonnenscheins am Horizont erschien, eine echte Naturerscheinung? Oder war er ein Showeffekt – in Anspielung auf das Cover des Albums „Europe '72“, auf dem ein Regenbogen mit zwei Goldtöpfen an den Enden die Erde umschließt? Das Werk eines Technikers also? „Er war von Menschenhand gemacht“, erklärte dazu Peter Shapiro, der Produzent der Tour, „und der Mann, der das machte, war Jerry Garcia“.

Man muss dazu wissen: Jerry Garcia, der Gitarrist von Grateful Dead, von Fans „Captain Trips“ genannt, der Mann, der laut eigenen Worten mit 15 die Erwachsenenwelt verlassen hat, auf Urlaub gegangen und dort geblieben ist, ist am 9.August 1995 nach langen Drogenproblemen an einem Herzinfarkt gestorben...

Solches debattieren die Deadheads, die treuen Fans dieser archetypischen amerikanischen Hippie-Band, im Ernst anlässlich dieser „Fare Thee Well“-Konzertserie. Vor fast 20 Jahren hat sich die Band nach Jerry Garcias Tod verabschiedet. Gut, manche Mitglieder sind seitdem sporadisch als „The Dead“ oder „The Other Ones“ aufgetreten, doch nun haben sie sich – 50 Jahre nach Gründung der Band in San Francisco – einmal noch als Grateful Dead zusammengefunden, für zwei Auftritte in Santa Clara, Kalifornien und drei in Chicago, auf dem Soldier Field, wo Garcia am 9.Juli 1995 zum letzten Mal aufgetreten ist.

„Dark Star“, über 30 Minuten

Die beiden Konzerte in Santa Clara, natürlich mit ganz unterschiedlichen Setlists, haben gezeigt, dass Grateful Dead ihrer Devise treu geblieben sind: Für weniger als drei Stunden zahlt es sich gar nicht aus, die Instrumente zu stimmen. Diese Band nahm sich immer alle Zeit der Welt. Ein Intro konnte bei ihnen so lang dauern wie bei anderen Bands ein ganzer Song, und man konnte nie wissen, wohin die Reise geht. Am besten vielleicht – wie am ersten Abend in Santa Clara – in „Dark Star“, den Song, der in seiner Studioversion (1968) nur zweieinhalb Minuten dauert, live aber eine halbe Stunde und mehr: kollektive Improvisationen über ein bezwingend nach Aufbruch in weite Fernen klingendes Thema, die sich allmählich zu großer Hitze steigern, dann wieder abkühlen, fast schon in reinem Geplänkel zu versiegen scheinen, bis der nächste Aufbruch kommt. Der von einem Gong eingeleitete kryptische Gesangspart ist nur eine Rast auf dieser Erkundungsfahrt.

Deadheads können lang darüber streiten, welche der unzähligen „Dark Star“-Aufnahmen – es gibt so viele, weil diese Band ihren Konzertbesuchern immer erlaubt hat, Mitschnitte anzufertigen – die beste ist; der kanadische Komponist John Oswald hat aus über 100 Aufnahmen eine „ultimative“ Version zusammengeschnitten: ein genial-verrücktes Projekt, das naturgemäß daran gescheitert ist, den Geist dieser Band festzuhalten.

Auch die Version in Santa Clara war gewiss nicht die beste aller Zeiten, immerhin folgten ihr – wie einst bei den auf „Live/Dead“ (1969) veröffentlichten Konzerten – „St.Stephen“, „The Eleven“ und „Turn On Your Love Light“, Letzteres ein Blues von Bobby „Blue“ Bland, denn im Grunde waren Grateful Dead eine Bluesband. Und eine Countryband. Psychedelisch sowieso. Und überhaupt. Wer ihrem Sog je erlegen ist, memoriert in diesen Tagen, auch wenn er nicht bei den letzten Konzerten dabei sein kann, den Refrain ihres Songs „Truckin'“: „What a long strange trip it has been.“

Die letzten Konzerte sind am 3., 4. und 5.Juli in Chicago. Am 6.Juli wird in Cineplexx-Kinos in Wien, Linz, Graz, Innsbruck und Wiener Neustadt das allerletzte Konzert gezeigt. Eintritt: 20 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2015)

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