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Jazzfest Wien: Die Oper als Großraumdisco

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Roger Cicero interpretierte zur Eröffnung des Jazzfests Wien Folk- und Popsongs.

Es gibt schönere Stimmen im Jazz. Viele, sogar. Aber Roger Cicero, Liebling des Frühstücksfernsehens, führt sein eher unscheinbares, aber flexibles Organ gern in schroffe Landschaften. Bei so einer prestigeträchtigen Gelegenheit wie der Eröffnung des Jazzfests Wien lässt er seine vor allem die Damenwelt charmierenden Pop-Liedchen in der Schublade und wagt sich an großes Liedgut. Nur Englisch wolle er heute singen, verkündete ein Ansager. Davon war zunächst nicht viel zu merken. Cicero scattete die Tonleiter rauf und runter. Dann der erste Test: James Taylors „Shower the People“, ein Lied, brav wie eine Semmel. Die Eröffnungszeile „You can play the game and you can act out the part even though you know it wasn't written for you“ nahm er in der Folge als Anleitung zur Selbstermächtigung. Die Band, allen voran Pianist Maik Schott, spielte da schon mit mehr Delikatesse und Hintersinn. Es war am Sänger, ihnen zu folgen. James Moodys „Moody's Mood for Love“ klang so, dass auch der anwesende Bundespräsident stumm über die Balustrade gebeugt mitlitt. Empathie und so.

Gefühlvoller Beatles-Klassiker

Auch Paul Simons „50 Ways to Leave Your Lover“ war kein Schenkelklopfer: In diesem subtilen Drama will sich eine Dame von ihrem Freund trennen, wird aber aber von ihrem stets neu aufbrandenden Begehren korrumpiert. Cicero manövrierte sich behutsam durch den Plot. Seine gefühlvolle Lesart des Beatles-Klassikers „The Long and Winding Road“ war auch ein Highlight. Amos Lees „Keep It Loose, Keep It Tight“ chauffierte uns ins Paradies des Fatalismus. Dann folgte „From the Morning“, ein Lied des sakrosankten britischen Folksängers Nick Drake. Da läuteten alle Alarmglocken: Hybris! Und dann folgte die Überraschung. Cicero schwang sich am schwerelosen Spiel von Bassist Hervé Jeanne in echte Höhen empor. Donnernder Applaus war der Lohn. Dieses Level war leider nicht zu halten. Für seine abgehetzte Lesart von Van Morrisons „Moondance“ hätte ihn mancher am liebsten mit dem nassen Fetzen davongejagt. Doch Cicero kam zurück und verwandelte mit Stevie Wonders „Boogie on Reggae Woman“ die Oper in eine Großraumdisco. Ist noch einmal gut gegangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2015)

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