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Dr. Dre: Kauft Mischpulte statt Maschinengewehre!

(c) REUTERS (MARIO ANZUONI)
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Kurz vor der Premiere des Biopic „Straight Outta Compton“ veröffentlicht Dr. Dre sein drittes Album, mit dem er sich wieder an die Dorf- und Ghettojugend wendet. Es ist musikalisch superb. Eine Revolution wird es nicht auslösen.

Das Genre ist (zu Recht) derzeit ziemlich übel beleumundet. War Hip-Hop früher eine Kraft der sozialen Veränderung, so ist er längst nur noch Gelderzeugungsmaschine. Als Ende Juli die überraschende Nachricht kam, dass Dr. Dre ein neues Werk veröffentlicht, dachten viele: Wozu ein weiteres Statement eines Hip-Hop-Millionärs? Das war aus zwei Gründen falsch. Erstens ist Dr. Dre durch den Verkauf seiner mit der Firma Monster Cable entwickelten, hübsch basslastigen Beats-Kopfhörer an Apple-Music bereits Milliardär. Zweitens hat dieser an Funk und Fusion geschulte Trackbastler neben seiner historischen Bedeutung für Ghettomusik immer noch scharfe, musikalische Ideen.

„Compton – A Soundtrack by Dr. Dre“ heißt nun sein erst drittes Album unter eigenem Namen. Es entstand nach einer mehr als zwölf Jahre dauernden, kreativen Krise. Nach seinem Geniestreich „The Chronic“ (1992) und dem soliden „2001“ (1999) wartete die Fangemeinde vergeblich auf das ewig angekündigte, dritte Opus „Detox“. Während er jüngeren Kollegen von 50 Cent über Eminem bis Kendrick Lamar locker hilfreich zur Seite stehen konnte, versagte er beim eigenen Material. „Ich hatte zwar zwischen zwanzig und vierzig Tracks fertig, aber ich spürte sie nicht. Normalerweise höre ich die Reihenfolge der Stücke ganz automatisch. Das passierte da nicht. Ich dachte, ich wäre als Künstler am Ende.“

CNN des schwarzen Amerika

Als klar wurde, dass der seit 2009 mit Ice Cube angedachte Film über ihre gemeinsame Vergangenheit in der epochalen Hip-Hop-Formation N.W.A. tatsächlich umgesetzt werden würde, ging ein Ruck durch den von Versagensängsten geplagten Dr. Dre. Es stand viel am Spiel, schließlich haben N.W.A. im August 1988 mit „Straight Outta Compton“ nicht nur einem heruntergekommenen Teil von Los Angeles ein krass klingendes Denkmal gesetzt. Sie haben mit ihrem „Reality Rap“ auch ein Kommunikationskonzept entwickelt, das bis heute nachwirkt. Im von Drogenkonsum und Bandenkriegen verheerten Compton ließen sich damit Nachrichten über Demarkationslinien der verfeindeten Gangs vermitteln. Während die Ostküstenrapper Public Enemy das Genre zu einer Art „CNN des schwarzen Amerika“ machten, ästhetisierten Dr. Dre, Ice Cube, Eazy-E und Co das Leben in Ghettos mit Stücken wie „Gangsta Gangsta“ und „Fuck Tha Police“.

Doch statt Kritik an den Verhältnissen zu üben, idealisierten N.W.A. bald einen Lifestyle, der durch Drive-By-Shootings, Bitches und Drogenabusus geprägt war. „When I'm called off, I got a sawed off, squeeze the trigger, and bodies are hauled off“, hieß es doppeldeutig im Titelsong „Straight Outta Compton“. War das noch Beschreibung oder schon Überhöhung der Dog-Eat-Dog-Mentalität der Inner Cities? Der damaligen Generation war es egal. Compton wurde zum Symbol für die Verwerfungen, die institutionalisierte Armut auslöst. Ein Jahr nach Veröffentlichung war Compton überall. Die unterprivilegierte Jugend, auch die der weißen Armenviertel, spürte die Macht dieser Musik.

Compton, in den Vierzigerjahren noch ein weißes Aufsteigerviertel, dann in seiner schärfsten Zeit ein zu 95 Prozent von Schwarzen bewohntes Grätzel, hat sich weiter verändert. Die Hälfte der heute dort Lebenden sind Hispanics. Ein Grund mehr, die kulturell bedeutsame Ära nochmals aufleben zu lassen. Die Arbeit des Filmregisseurs F. Gary Gray hat Dr. Dre derart stimuliert, dass er seine „social anxiety“ vergaß, die er sonst so gerne entschuldigend ins Treffen führt, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollen. Das mit jungen und erfahrenen Kollegen gefertigte Album „Compton“ erklärt der Dorf- und Ghettojugend noch einmal, warum es besser ist in Mischpulte als in Maschinengewehre zu investieren. Drei Songs sind gemeinsam mit Kendrick Lamar, dem wohl interessantesten, weil gescheitesten Rapper der Gegenwart, entstanden. Darunter „Genocide“ auf dem neben Lamar auch Dr. Dre selbst rappt. „I'm very aware hiphop needed something to carry it“, heißt es da.

Zeugnis der Postmoderne

Aber was könnte ein Fundament heutigen Hip-Hops sein, wenn nicht eine veränderte Haltung? Die originalen N.W.A., die Niggers With Attitude, waren Mittelklasse-Kids, die Freude daran hatten, das wilde Ghettoleben zu überhöhen. An Geldverdienen dachte niemand, man tat, was Spaß machte. Diese Art von Unschuld ist im heutigen Milliardengeschäft undenkbar. Und so lässt Dr. Dre auf „Compton“ jüngere Kollegen wie Dem Joints und Justus teilhaben am Geist von 1988. Sie dürfen die musikalischen Tracks größtenteils selbst entwerfen, Dre pinselt am Ende ein wenig drüber oder sagt, wie bei „Genocide“, dass da noch ein fiepsiges Sample (vom Song „Born Rubber“) der Gap Band dazu muss. Der alte Kamerad Ice Cube schwärmt auf „Issues“ von seinem Überlebenswillen und auch Snoop Dogg setzt schärfere Statements ab als sonst. Mit „It's All On Me“ und „Animals“ gibt es auch zwei Stücke, die überraschen.

Trotzdem ist „Compton“ ein Zeugnis der Postmoderne, ein Album, das zeigt, dass die Revolution von 1988 letztlich gescheitert ist. Für die einen im Elend, für Dr. Dre und Freunde in unermesslichem Reichtum. „Fuck the money, yo this shit could never change me, man“, rappt Dr. Dre in „Issues“. Eh lieb, aber jeder weiß, dass es anders ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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