Pop

Miley Cyrus: Sie ist ein Hippie, bleibt ein Kind

Singer Miley Cyrus arrives on the red carpet for the 32nd annual MTV Video Music Awards at Microsoft
Singer Miley Cyrus arrives on the red carpet for the 32nd annual MTV Video Music Awards at Microsoft(c) imago/UPI Photo (imago stock&people)
  • Drucken

Ex-Teenie-Star Miley Cyrus hat überraschend ein psychedelisches Album ins Netz gestellt, das ihrem verstorbenen Hund gewidmet ist: kindlich, wunderlich, in sich stimmig.

Nein, der „Floyd Song“ von Miley Cyrus ist nicht der lebenden Hälfte von Pink Floyd gewidmet, sondern dem vor eineinhalb Jahren verstorbenen Hund der Sängerin: Der Sonnenaufgang fordere Fröhlichkeit, singt sie zu morgendlichen Gitarren, doch wie könne sie fröhlich sein, wo ihre Blume tot ist? Dann bricht der Song kurz, die Gitarre beginnt zu zittern, der Bass zu wabern, während die Orgel einfriert: Wir befinden uns in einer seltsamen Welt, und sie hört sich ganz ähnlich an wie vor fast 50 Jahren die seltsame Welt der frühen Pink Floyd, wie ein kindliches Paradies, von dessen Verlust man jäh bedroht ist. Milch und Honig, mit Spuren von Strychnin versetzt.

Ein Kugelfisch namens Pablo

„Miley Cyrus & Her Dead Petz“ – benannt offenbar nach mehreren verstorbenen Haustieren, ein anderer Song gedenkt eines Kugelfischs namens Pablo – ist in diesem Sinn ein psychedelisches Album, ganz ohne Anführungszeichen. Seit Miley Cyrus, die Tochter eines Countrysängers aus Tennessee, 2010 ihr braves Alter Ego, Hannah Montana (die Hauptrolle in einer immens erfolgreichen TV-Serie), gekündigt hat, versucht sie, als erwachsene Künstlerin ernst genommen zu werden. Das wurde – vor allem, weil sie so zwanghaft auf ihrer Laszivität bestand – oft etwas peinlich, „Das erotisierte Kinderzimmer“ überschrieb „Die Presse“ 2014 eine Konzertkritik. Das passt noch immer. Durch das neue Album, das Miley Cyrus völlig überraschend gratis ins Netz gestellt hat, zieht sich ein Thema: Wir sind Kinder geblieben, gierige Kinder, doch die Welt frustriert uns. In „Milky Milky Milk“ will sie Milch aus den Nippeln ihres Liebhabers (oder ihrer Liebhaberin?) trinken, in „I'm so drunk“ skandiert sie die Titelzeile, mit künstlicher Babystimme, doch es scheint klar: Milch ist es nicht, was sie getrunken hat, aber wer weiß?

Sie liest das „Tibetische Totenbuch“

Zu ihrer Freude am Marihuana bekennt sich Cyrus dagegen ausgesprochen offensiv: „Yeah, I smoke pot, I love peace“, lauten die ersten Zeilen des Albums, „but I don't give a fuck, I ain't no hippie.“ Warum nicht, das sagt sie nicht, immerhin folgt der Satz, der die – notorisch regressiven – ozeanischen Sehnsüchte der Hippie-Generation wie kein anderer fasst: „I feel like I am one with the universe.“ Fliegende Untertassen kommen auch vor, sie fühlt sich wie Butter in der Sonne und macht Yoga, zumindest in ihren Texten. Ihren lyrischen Lover nennt sie „space dude“, zieht ihm einen „space suit“ an. Und in „Milky Milky Milk“ singt sie, dass sie alle Verse des „Tibetischen Totenbuchs“ singe, ihr Hippie-Großvater hätte seine Freude, wenn sie's täte, wenn es ihn denn gäbe . . .

Das mag recht konjunktivisch klingen, verspielt sowieso, doch es ist ein ernstes Spiel. Und bei aller dem Genre inhärenten Verschwommenheit, stringent gestaltet. Produziert hat Miley Cyrus die meisten Songs mit den Flaming Lips, einer langlebigen und gut beleumundeten Psychedelic-Band aus Oklahoma, die einst auf einem Album die ganze „Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd nachgespielt hat. So steckt dieses Album tief in einer großen Tradition.

„Dooo It!“ heißt der erste Song. Auch das mag eine Anspielung sein: auf „Do It“, das in den Siebzigerjahren in allen alternativen Bücherregalen präsente Manifest von Jerry Rubin, dem Begründer der Bewegung der Yippies, die unberechenbarer, anarchischer und revolutionärer als die Hippies sein wollten. Eine für diese Generation typische Saulus-Paulus-Geschichte: Rubin wurde nach Ende des Vietnam-Kriegs vom Yippie zum Yuppie, Unternehmer und Multimillionär. Ob heutige Neohippies sein „Do It“ wieder lesen?

Miley Cyrus vertraut sich – im letzten Song – einem anderen Verwandlungskünstler an: „I had a dream: David Bowie taught us how to skateboard“, singt sie zum Klavier, „but he was shaped like Gumby.“ Wie eine Plastilinfigur. Dieses Kinderzimmer ist unberechenbar, und den Monstern der Kindheit entkommt man nicht. Davon erzählt dieses Album in aller Ausführlichkeit, mit allen Fragezeichen: infantiler Pop im besten Sinn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.