Pop

Nerven aus Prinzip

Girl Band pfeifen auf Rock-Konventionen.

Als die irische Formation Girl Band vergangenes Jahr beim Waves-Festival erstmals in Wien auftrat, staunten nicht wenige im Publikum. Die jungen Männer aus Dublin nutzten das klassische Rock-Instrumentarium Gitarre, Bass, Schlagzeug für Lärmausbrüche, die oft mehr mit Techno oder Industrial gemein hatten als mit hundertfach gehörtem Indierock. Und überwältigten mit Musik, die im positiven Sinn und aus Prinzip nervt, die provoziert, die einen in mehrere Richtungen gleichzeitig zerrt. „Holding Hands with Jamie“, das nun erschienene Debütalbum, verstärkt den Eindruck, dass hier jemand aus der Komfortzone ausbrechen will. Wenn Dara Kiely im Eröffnungsstück „Umbongo“ erstmals zu singen beginnt, in einem der wenigen ruhigen Momente des Albums, hat die Band bereits eine knapp zweiminütige Tour de Force sich verdichtender Stakkato-Beats und pfeifender Gitarren hinter sich. Es folgen einige Takte, in denen die Band zu einer Art Fabrikshallen-Dance-Groove findet, bevor der Song in kontrolliertem Chaos endet. Mehr noch als bei ihren frühen Stücken pfeifen Girl Band am ersten Longplayer auf Rock-Konventionen. Die effektbeladenen Gitarren klingen auf „Holding Hands with Jamie“ bisweilen wie Sirenen oder abhebende Flugzeuge, das Schlagzeug wie Maschinengewehrsalven.
Die meisten ihrer bis auf die Knochen reduzierten Songs zeigen Girl Band als Meister von Spannung und Intensität, die sie gern ins Unermessliche steigern, oft ohne Aussicht auf Erlösung. Das macht sie anstrengend und fesselnd zugleich. Und lässt sie im direkten Vergleich mit vielen Zeitgenossen wie von einem anderen Planeten erscheinen. Aus Alt mach Neu.
Aus dem Nichts kommt ihre Musik freilich nicht. In ihr hallen Errungenschaften einiger der wichtigsten Rock-Freigeister nach: der rastlose Puls vonK rautrockpionieren wie Can und Neu!, die Lust an Dissonanz und Lärm von Big Black oder Sonic Youth, Wut und Angespeistheit von The Fall, der Wahnwitz der frühen Alben von Liars etc. Gleichzeitig meint man aus ihren Songs herauszuhören, dass Girl Band ihre Jugend nicht nur in Punkschuppen,sondern auch auf Raves verschwendet haben. In Zeiten, in denen musikalische Revolutionen fern scheinen, tun Girl Band das Pragmatische: Sie kreieren durch Verschieben einiger Parameter und mit ein paar eigenen Akzenten aus Altbewährtem etwas Frisches. Allen voran mit dem siebenminütigen Rasen des zentralen Stücks „Paul“ oder dem aufgekratzten Beinaheamoklauf von „Fucking Butter“. (Rough Trade)

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