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Jean-Michel Jarre: „Wie spielende Kinder“

(c) AFP (THOMAS SAMSON)
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Elektronikpionier Jean-Michel Jarre veröffentlicht mit „Electronica“ ein neues Album. Was er wurde, verdankt er seiner Mutter, erzählt er – und dem Jazzklub von Madame Ricard.

Führte das Spielen von Synthesizern in den Siebzigern zwangsläufig in die Einsamkeit?

Jean-Michel Jarre: Ein wenig monomanisch waren wir schon. Aber nicht aus freien Stücken. Wir wurden gezwungenermaßen zu Einzelgängern. Während die Kollegen mit den weniger sperrigen Instrumenten längst an der Bar mit den Mädchen schäkerten, mussten wir unsere Maschinen versorgen und sie möglichst sanft aus den jeweiligen Spielräumen wuchten.

Jetzt, auf Ihre alten Tage hin, wurden Sie gesellig. Ihr neues Album, „Electronica“, wartet mit jeder Menge Gäste auf. Nach welchen Kriterien haben Sie die ausgewählt?

Prinzipiell mag ich diese „Feature-Alben“ nicht, weil sie in den allermeisten Fällen von Marketingleuten konzipiert werden. Bei mir war die unschuldige Sehnsucht nach Kontakt mit Musikern, die ich respektiere, weil sie mich inspiriert haben, die Triebfeder. Mein Dogma war, dass ich sie alle treffen und mit ihnen arbeiten wollte. Kein bloßes Austauschen von Files, sondern echte Zusammenarbeit war die Bedingung. Es waren so viele, dass im Frühjahr Teil zwei von „Electronica“ herauskommt.

Das Altersspektrum Ihrer Gäste ist beeindruckend. Gab es generationsspezifische Differenzen in der Zusammenarbeit?

Erstaunlicherweise nicht. Im Studio werden wir alle zu spielenden Kindern. Auch bei den Hervorbringungen der Jüngsten, etwa den „Fuck Buttons“, gab es Aspekte von Zeitlosigkeit. Beim mittlerweile verstorbenen Edgar Froese, diesem deutschen Meister von Tangerine Dream, entwickelten sich Momente von wunderbarer Naivität.

Edgar Froese verbrachte seine letzten Jahre im Burgenland. Wo hat sich Ihre Zusammenarbeit abgespielt?

Genau dort. Ich fuhr mit dem Zug nach Wien, nahm einen Leihwagen und traf Edgar nahe dieses großen Sees. Wie bei allen anderen interessierte mich die Umgebung, in der er arbeitete. Mir ging es um ein spontanes Pingpong der Ideen. Mit ihm war das ein Leichtes, teilten wir als Veteranen der Siebzigerjahre doch viele Werte miteinander. Er wusste nicht, was ich von ihm wollte, und hatte rührenderweise eine Tangerine-Dream-Version von meinem Hit „Oxygene“ vorbereitet. Wir hatten beide das Gefühl, wir wären alte Freunde.

Ihr Vater, Maurice Jarre, war ein berühmter Filmkomponist. Hat er Sie beeinflusst?

Nein. Meine Eltern haben sich getrennt, als ich noch sehr klein war. Was und wie ich bin, verdanke ich meiner Mutter. Die war im Krieg in der Résistance, wurde verhaftet und in ein Konzentrationslager gesteckt. Dort freundete sie sich mit Madame Ricard an, die später den Pariser Jazzklub Le Chat Qui Pêche eröffnete. Dort spielten große Jazzmusiker von John Coltrane über Eric Dolphy bis hin zu Chet Baker. Mutter nahm mich immer sonntags mit.

Haben Sie eine spezielle Erinnerung?

Ja. Zu meinem achten Geburtstag hob mich Chet Baker auf ein Piano und spielte mir ein Geburtstagsständchen. Wenn ich mich daran erinnere, spüre ich heute noch die warme Luft aus seiner Trompete auf meinem Bauch. Manchmal denke ich, dass wir als Musiker eigentlich mit nichts, nämlich mit vibrierender Luft handeln. Und doch kann dieses Nichts so große Gefühle evozieren: Glück und Trauer, Fadesse und sogar sexuelle Spannung.

Als Teenager spielten Sie Gitarre in einer Band. Später arbeiteten Sie für damalige Stars wie Françoise Hardy und Patrick Juvet und kreierten Filmsoundtracks. Brauchte es das alles, um Ihr Genie dann für Ihren Durchbruch mit „Oxygene“ zu bündeln?

Ich denke schon. Niemand kommt fertig auf die Welt. Es braucht schon Erfahrungen, damit man eine eigene Stimme entwickelt. Mir war klar, dass der Synthesizer mein Hauptinstrument werden wird. „Oxygene“ habe ich in meiner Küche aufgenommen. Charlotte Rampling, meine damalige Frau und Mutter meiner Kinder, sagte: „I have never heard anything like this. It's either going to be nothing or everything.“ Wie recht sie hatte. Am Ende hat „Oxygene“ mehr als 15 Millionen Stück verkauft.

Die futuristische Anmutung Ihrer Musik drängte die Idee auf, sie auch im Weltraum zu spielen. Es gab ein tragisches Ende.

Das war sehr, sehr schmerzvoll. Ein Freund hat mir die Rutsche gelegt, ein Konzert zum 25-Jahr-Jubiläum des Nasa Space Centre zu spielen. Geplant war, dass Ronald McNair, einer der Astronauten der Challenger, bei einer Komposition, deren Rhythmus auf seinem Herzschlag basierte, Saxofon aus dem Orbit dazu spielt. Dann explodierte die Challenger 73 Sekunden nach dem Start. Ich war erledigt, wollte das Konzert absagen. Die Nasa hat mich gebeten, es als Gedenkkonzert doch zu geben. Was ich auch tat. Nie hatte eines meiner Konzerte mehr Zuschauer: 1,3 Millionen Menschen.

Steckbrief

1948
wurde Jean-Michel Jarre in Lyon geboren. Nach Anfängen in Beat-Bands und in der Musique Concrète schrieb er Ballette, Filmmusik und Alben für Françoise Hardy und Patrick Juvet.

1976
weltweiter Durchbruch mit „Oxygene“.

1978
„Equinox“ erscheint – ein Welterfolg.Jarre spielte Musik für den Weltraum, die Tiefsee, komponierte Alarmtöne für Uhren und WM-Signations.

2015
„Electronica“ erscheint, ein superbes Album, auf dem Jarre mit Tangerine Dream, Moby, Massive Attack, Lang Lang, Laurie Anderson, Gesaffelstein, M83, Pete Townshend und John Carpenter zusammenarbeitet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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