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Vinyl-Boom: Die Welt ist eine schwarze Scheibe

Vinyl
Vinyl(c) Bloomberg (Yana Paskova)
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Der Aufschwung der Schallplatte hält an. Er ist auch als Gegentrend zur Digitalisierung zu verstehen: In Zeiten der musikalischen Berieselung durch Streamingdienste wollen immer mehr Menschen ein Album als Ganzes zelebrieren.

Von einem Comeback zu sprechen, wäre falsch. Ganz weg war sie ja nie, die Schallplatte: nicht, als die CD sie Ende der Achtziger bei den Verkaufszahlen einholte, nicht, als sie in den Neunzigern für praktisch tot erklärt wurde, auch nicht, als digitale Musikformate in den Nullerjahren den Markt umkrempelten. Seit wenigen Jahren erlebt sie nun schon einen ungebrochenen Aufschwung – und dreht sich nicht nur auf den Plattentellern von Nostalgikern und Musik-Connaisseurs, sondern auch in den Jugendzimmern einer Generation, die mit Festplatten voller MP3s aufgewachsen ist.

2014 wurden in Österreich vier Millionen Euro mit Schallplatten umgesetzt, das war ein Plus von 60 Prozent gegenüber 2013. „Der positive Trend hält auch 2015 an“, sagt Thomas Böhm vom Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI), der Umsatz dürfte um weitere 25 bis 30 Prozent steigen. „Wir rechnen damit, dass 2015 an die 250.000 Schallplatten verkauft werden.“

Auch international ist Vinyl weiter auf dem Vormarsch. In Großbritannien wurden zuletzt so viele Platten verkauft wie seit 20 Jahren nicht mehr, in Deutschland werden seit heuer wieder Vinyl-Charts erhoben – was in Österreich vorerst nicht geplant ist. Nicht nur Fachläden, auch Großhändler profitieren von dem Boom. Der Onlineriese Amazon etwa gab stolz bekannt, dass Schallplatten zu den Verkaufsschlagern im heurigen Weihnachtsgeschäft zählen (am beliebtesten ist das aktuelle Album von Adele, auch Neupressungen von Rock-Klassikern sind gefragt).

Eine Nische, aber eine breite

Der Wiener Musikverleger und Autor (u. a. bei der „Presse am Sonntag“) Walter Gröbchen relativiert den Boom: „Im Moment ist Vinyl noch eine Nische, aber sie wird breiter. Der Marktanteil liegt in Österreich, je nach Rechnung, zwischen vier und sechs Prozent.“ Erst ab zehn Prozent könne man von einem soliden Vinyl-Markt sprechen.

Doch Gröbchen ist optimistisch – und eröffnet nun selbst ein Plattengeschäft in Wien. Das Schallter (das gleichnamige österreichische Pop-Label aus den 1980er-Jahren hat Gröbchen kürzlich reaktiviert) wird in der Westbahnstraße 13 ab Jänner Klassiker der Popgeschichte, österreichische Musik, Jazz und Raritäten, „die sonst im Netz herumschwirren“, feilbieten. Unter derselben Adresse verkauft Albert Barbic schon jetzt Vintage-Plattenspieler. Für Gröbchen folgt der 2-in-1-Laden einem logischen Konzept: „Gute Musik braucht gute Abspielgeräte.“

So hoch wie in der Westbahnstraße ist die Dichte an Vinylgeschäften dann nirgends sonst in Wien. Ein paar Schritte die Straße hinauf liegt das Market, spezialisiert auf elektronische Musik, ein Stück stadteinwärts das Substance, das – im Gegensatz zum Schallter – vor allem Neuerscheinungen in verschiedenen Genres anbietet.

Auch Thomas Gebhart, Ko-Betreiber des Substance, will den Vinyl-Hype nicht überbewerten: „Wir haben schon alles erlebt.“ Er freut sich über das steigende Interesse, lässt aber nicht unerwähnt, dass die Schallplatte zu einem Lifestyle-Objekt geworden ist, hochgeworben von gewinnorientierten Großkonzernen. „Denen ist egal, ob es um eine Platte geht oder um ein Küchenregal.“

Das Publikum im Substance sei gemischt, es kämen Junge und Alte, „Bauarbeiter, Doktor, alle.“ Sie schätzen an der Platte genau jene Eigenschaften, die die digitale Musiksammlung nicht bieten kann: Die Haptik, das großflächige Cover-Design, den warmen Klang. Gerade das würde auch junge Musikfans anziehen, meint Gröbchen: „Die finden es auch nicht schlimm, wenn eine Schallplatte knistert oder eine alte Platte, die eine Geschichte erzählt, zerkratzt ist. Ein File erzählt nämlich keine Geschichte.“ Insofern verwundert es nicht, dass die Schallplatte genau zu der Zeit wieder beliebter wurde, als digitale Formate begannen, die CD abzulösen.

Zudem sei das Musikalbum als künstlerisches Format stark mit der Langspielplatte verbunden, sagt Gröbchen. „Beim Download holt man sich nur die Kirschen aus dem Kuchen. Aber Alben leben davon, dass sie dich überraschen. Der Reiz der Platte liegt darin, dass man die Musik zelebriert.“ Sich gemütlich hinzusetzen und ein Album bewusst als Ganzes zu hören, ist in Zeiten der musikalischen Berieselung durch Streaming-Dienste keine Selbstverständlichkeit mehr. Gebhart glaubt, dass im Bereich des Mainstream-Pop in der Zukunft gar keine Alben mehr erscheinen werden. „Musiker wie Justin Bieber werden einzelne Singles raushauen und nach ein bis zwei Jahren vielleicht eine Zusammenfassung der Singles. Bei den meisten Pop-Künstlern ist die Hälfte des Albums ja nicht so toll.“

Im Rock-Bereich, im Jazz und in der elektronischen Musik sei das Album als Format weiterhin wichtig – genau diese Genres verkaufen sich auch im „Substance“ am besten. Beliebt seien zudem Neupressungen in Vergessenheit geratener Perlen aus Soul und Country. „Was im Moment auch gut geht, sind alte italienische Soundtracks von Ennio Morricone oder Bruno Nicolai. Das wird jetzt überall neu gepresst“, sagt Gebhart.

Wird die CD überleben?

Einige Straßen weiter, in der Hofmühlgasse, befindet sich das Rave up. Betreiber Werner Schartmüller trotzt hier seit mittlerweile 28 Jahren den Trends der Musikindustrie. „Wir verkaufen viel mehr Platten als CDs“, sagt er. „Bei LPs sind jetzt ja oft CDs dabei, die geben die Leute den Kindern.“

Dabei kaufen die „Kinder“ hier eh schon selbst ein. Ein junger Mann mit Haube und Kopfhörern um den Hals sammelt seit rund einem Jahr Platten, kauft mindestens drei pro Woche. „Der Preis ist mir egal, weil der Wert ja steigt“, sagt er. Digital hat er noch nie Musik gekauft. Ein anderer junger Kunde, er kauft zwei Alben der Arctic Monkeys, nutzt digitale Formate nur noch unterwegs. Zuhause hört er Platten: „Du hörst den Unterschied einfach. Und du setzt dich dafür hin und hörst das ganze Album durch.“

Der CD haben beide abgeschworen. Noch ist sie das meistgekaufte Musikprodukt in Österreich, doch die Umsatzzahlen sinken. Wird sie als nächstes für tot erklärt? Gebhart glaubt, dass auch sie überleben wird. Aus einem praktischen Grund: „Im Avantgarde- oder Jazzbereich dauert eine Nummer manchmal 60 Minuten. Die bekommst du auf eine Seite einer Platte nicht drauf.“

DAS GESCHÄFT MIT DEN PLATTEN

Musikmarkt. 2014 wurden in Österreich 145,5 Millionen Euro mit Musik umgesetzt, davon vier Millionen mit Schallplatten. 2015 dürfte die Zahl weiter wachsen – man rechnet, dass heuer etwa 250.000 Platten über die Ladentische gingen.Weltweit wurden im Vorjahr 346,8 Millionen Dollar mit Vinyl umgesetzt. Der Wert hat sich seit 2006 fast verzehnfacht. Dennoch bleiben Platten ein Nischenprodukt: Global gesehen machen sie nur rund zwei Prozent des Musikumsatzes aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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