Todesfall

Nachruf: David Bowie, Held für immer

(c) Warner Music/Steve Schapiro
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Zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag – und dem Erscheinen seines letzten Meisterwerks „Blackstar“ – ist David Bowie gestorben. Er war die vielseitigste Person des Pop.

Ich kann nicht alles weggeben, „I can't give everything away“: Wir haben frisch den oft wiederholten Satz im Kopf, mit dem David Bowie sein letztes Album „Blackstar“ beendet hat, da erreicht uns die schreckliche Nachricht: Zwei Tage nach Erscheinen dieses Albums ist er gestorben, an einem Krebs, der vor 18 Monaten diagnostiziert wurde. Die Öffentlichkeit hatte nichts davon gewusst: Wie sein ganzes Popstar-Leben lang, hat David Bowie bis zuletzt die Kontrolle über seine öffentliche Person behalten.

Person, das durfte man bei Bowie im Sinn der Wortherkunft als „persona“, als Maske, verstehen. Er war der Erste – vielleicht nach Little Richard –, der konsequent das Ehrlichkeitsgebot des Rock'n'Roll verweigerte, der bewusst Rollen spielte, Masken trug, Images verkörperte. Ein treuherziges Rocker-Ich wollte er der Welt nicht sein, lieber ein Narziss, der sein Gesicht im Wasser vergeblich sucht: „I turned myself to face me“, sang er schon 1971 in „Changes“, „but I've never caught a glimpse of how the others must see the faker, I'm much too fast to take that test.“

Es waren viele Gesichter, die er dem Publikum zeigte, geschminkt und ungeschminkt, und es waren große Posen. In Erinnerung bleibt etwa, wie er bei seinem letzten Wien-Konzert 2003 den Arm und alle Finger ins Auditorium streckte: So stellte man sich das finale Winken des Tadzio in Thomas Manns „Tod in Venedig“ vor. Dazu sein (seltenes) Lächeln, eben das Lächeln des Narziss, der sich über das spiegelnde Wasser neigt. Der dabei unnahbar ist: Bowie war kein „Star zum Angreifen“, kein leutseliger Held der Massen, immer wieder spielte er mit dem Image des Außerirdischen, der nur auf die Erde gefallen ist. Wenn er als Star posierte – und das tat er mit größter Absicht, auf „Ziggy Stardust“ tragen vier Songs das Wort im Namen –, schwang immer die stellare Bedeutung mit; dass sein letztes Album „Blackstar“ heißt, schließt einen Bogen.

1947 in Brixton, London, als David Robert Jones in eine stille, strebsame Familie geboren, hörte er mit neun Jahren Little Richards „Tutti Frutti“: „Ich hatte Gott gehört“, erzählte er später. Seine frühen Versuche, diesem Erweckungserlebnis zu folgen, klingen bis heute bei allem Ungestüm schüchtern, unentschlossen, als ob er nicht recht wüsste, ob er Mod oder Hippie, Folksinger oder Chansonnier sein wollte. Doch schon auf seiner ersten Single „Liza Jane“ spielte er Saxofon, das Instrument, das bis zuletzt sein liebstes instrumentales Ausdrucksmittel bleiben sollte.

Von Major Tom zu Ziggy Stardust

1969, im Jahr des Mondflugs, fand er in „Space Oddity“ sein erstes großes Thema, seine erste große Rolle: den Raumfahrer Major Tom, der den Kontakt zur Erde verliert. Auf dem Höhepunkt des Space Age ein Abgesang auf ebendieses. Es folgte das rätselhafte „The Man Who Sold the World“ und „Hunky Dory“, mit dem zynischen „Life on Mars?“, dem „Song for Bob Dylan“, der als Huldigung getarnten Absage an ein verworfenes Vorbild, und einem Cover, auf dem Bowie erstmals offensiv als androgynes Wesen posierte. Das war damals schockierend, ebenso wie der simple Satz, den er 1972 zum „Melody Maker“ sagte: „I'm gay, and always have been.“ Ob das damals stimmte, ist umstritten, immerhin war er verheiratet und hatte einen Sohn, aber das Outing war ihm programmatisches Bekenntnis: Die Gesten des männlichen heterosexuellen Begehrens – die damals im Rock noch nicht verpönt, sondern gang und gäbe waren! – waren ihm zu normal, zu direkt, zu ungebrochen.

Im gleichen Jahr schuf Bowie sein erstes großes Alter Ego: das Endzeitidol Ziggy Stardust. Fünf Jahre hat die Erde nur mehr, heißt es im ersten Song, in der darauf ausbrechenden Weltuntergangshysterie macht Ziggy, der natürlich zugleich auch Lady Stardust ist, mit seinen „Spiders of Mars“ Furore, in einem „Moonage Daydream“. Am Ende ist der Hype, der Wahn, vorbei, im letzten Song „Rock'n'Roll Suicide“ irrt Ziggy ausgebrannt und ziellos umher, nur mehr Stimmen in seinem Kopf rufen: „You're wonderful!“

Musikalisch war das hysterischer, zugespitzter, geschärfter, jeder Bequemlichkeit entkleideter Post-Rock'n'Roll. Noch ungemütlicher klang das Nachfolgealbum „Aladdin Sane“, mit atonalem Freejazz-Klavier und „Jean Genie“, einer Huldigung an Jean Genet. Klar, dass Bowie den Ziggy Stardust dann in großer Geste verabschieden musste, für das dystopische „Diamond Dogs“ – mit Beschwörung des Orwell'schen Jahres 1984 – brauchte er ihn nicht mehr.

Vom Thin White Duke zu den „Helden“

Die nächste Wende kam mit einer Übersiedelung nach New York: Auf „Young Americans“ spielte Bowie, ganz ohne Glitter und Glamour, plötzlich Funk und Soul, allerdings kühl, karg, schweißfrei, sozusagen schwarz-weiß. „Fame“, gemeinsam mit John Lennon, wurde sein erster wirklicher Nummer-eins-Hit. Aber weiter, nichts wie weiter in diesen goldenen Jahren: „It's too late to be late again“, sang er, nunmehr als Thin White Duke posierend, auf „Station to Station“: „The European cannon is here.“ – Und Europa, das war ihm damals Westberlin: Fasziniert von der geteilten Stadt, der dortigen elektronischen Musikszene, von der Dekadenz der Zwanzigerjahre, kurze Zeit auch – man muss es sagen – vom Äußeren des Nationalsozialismus (zum Skandal wurde es, als er 1976 mit angedeutetem Hitler-Gruß im offenen Mercedes bei Victoria Station vorfuhr), zog er in die Mauerstadt, wo er, wenn er nicht mit Iggy Pop durch die Nächte raste, mit Brian Eno drei Alben aufnahm, von denen zumindest zwei zu seinen größten zählen: das manisch-depressive „Low“ mit seinen schaurigen Zeichen, und das eisig erstarrte „,Heroes‘“ – der Titel gehört mit Anführungszeichen, so wie der tief berührende Song, in dem sich zwei Liebende an der Mauer küssen, „Helden“ für einen Tag, für immer.

„Low“ und „Heroes“ erschienen beide 1977, in dem Jahr, als der Punk regierte und der New Wave sich formierte: David Bowie war damit – vielleicht neben Iggy Pop – der einzige Star der Sixties-Riege, der von der neuen Generation uneingeschränkt akzeptiert, ja, als Vorbild hochgehalten wurde. „Are you one of the New Wave boys?“, fragte er sich selbst (oder seine damalige Person) in „Teenage Wildlife“, drehte sich um, sang von oben herab über Jugend und Mode – „Boys Keep Swinging“, „Fashion“, „DJ“ – und schickte nebenher in „Ashes to Ashes“ seinen Major Tom in Pension.

Wie überstand dieser konsequente Modernisierer die Achtziger, die schultergepolsterte Ära der dräuenden Postmoderne? Mit ganz guten Haltungsnoten. Songs wie „Modern Love“, „China Girl“ und „Let's Dance“ priesen die Yuppie-Erotik auf stilvolle Weise, daneben genoss Bowie mit frisch polierten Zähnen die Rolle als Elder Statesman of Pop in Duetten mit diversen Kollegen wie Mick Jagger, Queen oder Tina Turner und gründete gar eine hemdsärmelige Rock-Combo namens Tin Machine.

Seine nächsten bemerkenswerten Alben erschienen 1995 mit „Outside“ – mit Anspielungen auf die Wiener Aktionisten – und vor allem 1997 mit „Earthling“: der erste und vielleicht einzige gelungene Versuch, die Rhythmen des Jungle vulgo Drum'n'Bass in Songs zu pressen, ohne ihnen das Überstürzte, die Wildheit zu nehmen. So war er wieder jünger als die Jüngeren – und erschien uns mehr und mehr als Dorian Gray, man fragte sich allmählich, auf welchem Dachboden er sein alterndes Gesicht aufbewahrt.

Just als seine Blicke ins Spiegelkabinett seiner Vergangenheit fad zu werden begannen, zog er die Konsequenz – und sich zurück. Zehn Jahre lang. Man wusste gerade, dass er glücklich mit dem Model Iman Abdulmajid verheiratet war und in New York lebte, selten adelte er junge Kollegen durch Gastauftritte. Völlig überraschend kam er am 8. Jänner 2013 wieder, mit einem weiteren Rückblick, allerdings mit einem tief bewegenden: In „Where Are We Now“ streifte er noch einmal melancholisch durch die Straßen des alten Westberlin, ein staubiger Wiedergänger, „just walking the dead“. Das Cover des zugehörigen Albums „The Next Day“ zeigte das „,Heroes‘“-Cover, verdeckt von einem weißen Quadrat. Doch in den Songs fand sich – für Bowies Maßstäbe! – zu viel Banales: „I'd rather be flying“, sang er da etwa, „I'd rather be dead or out of my head.“ Man dachte sich schon: Große Alben hat dieser Mann genug gemacht, jetzt soll er einfach leben.

Und dann das: der völlig unerwartete Tod, davor noch ein harsches, bitteres Album, das in die Reihe seiner größten gehört. Für das er noch eine seiner Personen – den Alien Thomas Jerome Newton aus dem Film „The Man Who Fell to Earth“ – zurückholte, in einem Song namens „Lazarus“, in dem er singt: „Look up, here, I'm in heaven, I've got scars that can't be seen.“ Am Ende platzierte er, im eingangs genannten „I Can't Give Everything Away“, ein kryptisches Epitaph auf sich selbst: „Seeing more and feeling less, saying no but meaning less, this is all I ever meant, that's the message that I sent.“ Was für ein Abschied. Was für ein Künstler. Wir werden lang brauchen, uns daran zu gewöhnen, dass er nicht zurückkehren wird.

DIE STUDIOALBEN DAVID BOWIES

The World of David Bowie (1967)

Space Oddity (1969)
The Man Who Sold the World (1971)
Hunky Dory (1971), inkl. „Changes“, „Life on Mars?“ „Andy Warhol“, „Song for Bob Dylan“
The Rise And the Fall of Ziggy Stardust (1972), inkl. „Five Years“, „Starman“, „Rock'n'Roll Suicide“
Aladdin Sane (1973), inkl. „The Jean Genie“, „Drive-In Saturday“, „Time“
Pin Ups
(1973), inkl. „Sorrow“
Diamond Dogs (1974), inkl. „Rebel Rebel“, „1984“
Young Americans (1975), inkl. „Fame“, „Across the Universe“, „Fascination“
Station to Station (1976), inkl. „Stay“, „Golden Years“, „TVC15“, „Wild Is the Wind“
Low
(1977), inkl. „Breaking Glass“, „Speed of Life“, „Sound And Vision“, „Be My Wife“
„Heroes“ (1977), inkl. „Beauty And the Beast“, „Sons of the Silent Age“, „Neukölln“
Lodger
(1979), inkl. „Boys Keep Swinging“
Scary Monsters (1980), inkl. „Ashes to Ashes“, „Teenage Wildlife“, „Fashion“
Let's Dance (1982), inkl. „Modern Love“, „China Girl“, „Cat People“
Tonight (1984), inkl. „Blue Jean“

Never Let Me Down (1987), inkl. „Day-In Day-Out“, „Time Will Crawl“
Black Tie White Noise (1993), inkl. „Jump the Say“
Outside (1995), inkl. „Hello Spaceboy“, „The Hearts Filthy Lesson“, „Strangers When We Meet“
Earthling (1997), inkl. „I'm Afraid of Americans“, „Telling Lies“, „Little Wonder“, „Dead Man Walking“

Hours . . . (1999), inkl. „Survive“, „Seven“
Heathen (2002), inkl. „Everyone Says ,Hi‘“
Reality (2003), inkl. „New Killer Star“
The Next Day (2013), inkl. „Where Are We Now“, The Stars (Are Out Tonight)“, „Valentine's Day“
Blackstar (2016), inkl. „Lazarus“, „Sue (Or in a Season of Crime)“

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