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John Cale, jetzt ohne Weltschmerz

Sportlich-leger: So lässt sich John Cale anlässlich seines neuen Albums „M:Fans“ fotografieren.
Sportlich-leger: So lässt sich John Cale anlässlich seines neuen Albums „M:Fans“ fotografieren.(c) Domino/David Reich
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Das Album „Music for a New Society“ war 1982 ein Dokument der Hoffnungslosigkeit. Nun hat John Cale dieses Meisterwerk radikal überarbeitet – und ins Positive umgedeutet.

Es ist geradezu schockierend, wie wenig Verständnis der heute 73-jährige John Cale für die Verzweiflung hat, die er mit 40 auf „Music for a New Society“, seinem vielleicht schönsten Album, ausgebreitet hat. Gewiss, die Zeit lässt so manchen Kummer erodieren. Aber warum deshalb eigene Kunst abfackeln? „M:Fans“, die eben erschienene elektronische Überarbeitung des alten Meisterwerks, mutet wie ein Akt des Herostrat an. Cale gelingt es darauf zwar nicht, jede Spur seiner einstigen Zerknirschung zu tilgen, aber er hat umgedeutet, was möglich war.

Ein Anlass dafür, die alten Aufnahmen wieder zu sichten, war der Tod von Lou Reed im Oktober 2013. Sein langjähriger Lieblingsfeind, mit dem er in der gemeinsamen Band The Velvet Underground viele Sträuße gefochten hat, inspiriert ihn offensichtlich über den Tod hinaus. Cale wühlte in den alten Tonaufzeichnungen, ordnete sie neu und exorzierte ihren defätistischen Geist: „What was once sorrow, is now a form of rage.“

Am Anfang: Die Stimme der Mutter

An den Beginn stellte er ein knisterndes, von Störgeräuschen durchzogenes Präludium, das einen verlorenen Schatz wiederbringt: die Stimme seiner Mutter. Sie hätte eigentlich schon auf „Music for a New Society“ erklingen sollen. „Mama's Song“ stand schon auf dem Cover, aber Cale entschloss sich in letzter Sekunde, das – bei einem Überseetelefonat mitgeschnittene – walisische Volkslied „Ar Lan y Mor“ wegzulassen, das sie da ganz spontan trällerte. Jetzt, 34 Jahre später, kommt es doch auf „M:Fans“ noch zu Gehör. Es steht für die innige Beziehung, die Cale zu seiner Mutter hatte: Mit ihr sprach er in warmem Ton Walisisch, das der Vater nicht verstand. Es war sozusagen ihre Geheimsprache. So entpuppt sich also auch der oft so wilde Cale als Muttersöhnchen. Schön.

Es folgt das durch seltsame Geräusche verrätselte „If You Were Still Around“, eine Hommage an Lou Reed, in der es so schön heißt: „You could write like a panther, whatever got into your veins.“ Reed war erst 25, als er das erste, 1967 erschienene Velvet-Underground-Album fast allein komponierte. Cale glückte sein erstes Meisterstück, das gerne mit Schuberts Liedzyklen verglichene „Paris 1919“, erst 1973, mit 31. Und so gut spätere Alben wie „Fear“ und „Sabotage“ waren, ein Welthit wie Reeds „Walk on the Wild Side“ glückte John Cale nie. Dafür irrlichterte er umso wilder zwischen Avantgarde und Ballade, Brutalo-Rock und Elektronik. Diese stilistische Offenheit hört man natürlich auch auf „M:Fans“. Aus dem ursprünglich still klagenden „Santies“ wurde „Sanctus“, ein von Technobeats gepeitschtes Gruselstück. Die Ballade „Chinese Envoy“ unterlegte Cale mit einem humpelnden Beat, der all die Wehmut wegbläst. Und „Close Watch“, seine schöne Cowboy-Ballade, für die er Johnny Cashs Zeilen „I keep a close watch on this heart of mine“ stibitzte, klingt fast so, als hätte sie Kanye West gekapert.

Am Ende: „Back to the End“

Wer „Music for a New Society“ schätzt, muss sich nicht nur erst an diese Klangbilder gewöhnen, sondern sich auch von der wohligen Weltenmüdigkeit des Originals verabschieden. Cale hat es mit Leichtigkeit getan. Wohl auch, weil nach der Veröffentlichung im August 1982 nur die Kritiker jubelten. Das Gros der Fans verweigerte dieses Monument des Jammers, mit dem sich Cale à la Münchhausen aus dem Sumpf von Drogenabusus und Depressionen herausziehen wollte.

Den nach Fitness süchtigen John Cale von 1989, der mit Popperfrisur in jeder freien Minute Squash spielte, konnte damals niemand vorausahnen. Auch nicht den Selbstironiker, der er heute offenbar ist: Im neuen Video zu „Close Watch“ sieht man ihn wackelnden Schritts eine Gasse entlanggehen. Junge Damen überholen ihn trotz der Bürde hoher Absätze. Sie blicken ihn an wie ein Relikt der Vergangenheit.

Alter kann auch für alte Rocker hübsch brutal sein. In Cales Kopf mag die Jugendlichkeit überlebt haben, in Blut und Gliedern sicher nicht. Und doch hat er jetzt viel eher die Aura eines glücklichen Mannes als 1982, als er in „Back to the End“ beklagte, wie die Zeit verfließt. Dieses Kleinod hat er ganz am Ende von „M:Fans“ unbearbeitet angefügt. Das mag all jene trösten, die seine einstige Trostlosigkeit lieben . . .

Zur Person

John Cale, geb. 1942 in Wales, studierte Musik in London und spielte u. a. in New York mit John Cage und La Monte Young, bevor er mit Lou Reed 1965 The Velvet Underground gründete: Auf deren ersten zwei Alben hört man seine sinistre Bratsche. 1968 verließ er die Band, nahm fortan unter eigenem Namen auf. Als Produzent prägte er essenzielle Alben, z. B. von The Stooges und Patti Smith.
„M:Fans“ ist im Doppelpack mit dem Original von „Music for a New Society“ erschienen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2016)

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