Miloš Karadaglić: Sanft weint die Gitarre

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Klassikgitarrist Miloš Karadaglić über seine Affinität zu den Beatles, denen er nun eine Hommage widmete.

„Ich sah keine andere Möglichkeit, als es im Abbey Road Studio 2 aufzunehmen. Alles andere hätte keinen Sinn gehabt. Ich verwendete sogar Equipment, Instrumente und Mikrofone von den Beatles. Auf geheimnisvolle Weise sind sie immer noch in diesem Raum präsent.“ Miloš Karadaglić, begnadeter Klassikgitarrist aus Montenegro, suchte für seine Hommage an die größte Popband aller Zeiten exakt jenen Raum auf, in dem die meisten Beatles-Klassiker aufgenommen wurden.

Das 1830 errichtete, einstöckige Haus in der Abbey Road im Londoner Innenstadtvillenviertel St.  Johns Wood sieht von außen eher unspektakulär aus. In seinem Bauch wurlt es allerdings seit der Eröffnung am 12.  November 1931 ganz gehörig. Sir Edward Elgar nahm zur Einweihung seine Hymne „The Land of Hope and Glory“ mit dem London Symphony Orchestra auf, eine mustergültige Aufnahme, die in die Musikgeschichte einging. Sie wird jedes Jahr bei den Proms (steht für Promenade Series) in der Royal Albert Hall zelebriert. Schon in den frühen Fünfzigerjahren machte Beatles-Produzent George Martin hier Aufnahmen mit Humphrey Lytteltons Jazzband, aber auch satirische Aufnahmen mit Peter Ustinov und später mit Peter Sellers und Sophia Loren. Cilla Black nahm hier mit Burt Bacharach auf, Tony
Bennett mit Amy Winehouse. Pink Floyd
spielten ihren Klassiker „Wish You Were Here“ ein, Jazzikonoklast Ornette Coleman sein „Skies of America“.

In diesem Haus ist immer etwas los. Während der innigen Performance von Miloš und einem Bassisten in Studio  2 präsentieren Ennio Morricone und Quentin Tarantino eine Etage darüber in Studio  3 ihren fantastischen Soundtrack zu „The Hateful Eight“. Schon beim Betreten von Studio  2 vermeint man den Genius loci wahrzunehmen, die Musikgeschichte buchstäblich zu riechen. Der Boden, die Uhr, die Verschalung der Heizkörper, die von der Decke herunterhängenden Lappen, die den Schall dämpfen – alles ist original.

Patina des Vintage-Sounds. „Was das Album anlangt, strebte ich einen intimen, verführerischen Klang an. Wir kombinierten alte und neue Technologien. Die Patina des Vintage-Sounds war mir enorm wichtig“, sagt Miloš erleichtert. Kein Wunder, sein Album ist ein wirkliches Juwel geworden. Mit Gregory Porter, Tori Amos und Anoushka Shankar hat er sich Stargäste aus Jazz, Pop und Weltmusik geholt. Die sanften Klänge seiner Gitarre verstärkte Miloš mit einem Röhrenkondensatormikrofon, mit dem auch die Beatles arbeiteten. Unter der Typenbezeichnung C12 schimmert der Schriftzug „Made in Austria“. Eine Erinnerung daran, dass AKG Acoustics eine echte Weltfirma war, bevor die Produktion nach China verlegt wurde. Miloš schwört auf die Qualitäten des C12, die auch in „Yesterday“ deutlich zu vernehmen sind.

Bei diesem Song – sein Album ist sonst von der brasilianischen Klassikgitarrenkoryphäe Sérgio Assad arrangiert – hat Miloš auf eine Lesart des japanischen Komponisten Toru Takemitsu zurückgegriffen. Sie wurde ihm, der mit 16  Jahren allein nach London ging, um dort an der Royal School of Music zu studieren, von einem seiner Lehrer nahegebracht. „Ohne dieses Arrangement hätte ich das Album wohl nie in Angriff genommen. Ich bin ja nicht mit der Musik der Beatles aufgewachsen. Auf Anraten eines Professors lernte ich das Arrangement, obwohl ich zunächst nicht davon überzeugt war. Erst als ich merkte, wie sehr es
die Leute in den Konzerten berührt, erkannte ich seine Dimension. Mit ,Yesterday‘ begann meine Liebesaffäre mit den Beatles. Ich musste es auf dem Album in Takemitsus Arrangement haben, einfach um Danke zu sagen.“

Kein Lied wie das andere. Wie ging es ihm als avanciertem Klassikgitarristen mit Songs, die von Autodidakten komponiert wurden? „Natürlich ist manches naiv. Aber das ist doch auch schön. Was ich so faszinierend an ihren Liedern finde, ist, dass keines wie das andere klingt. Die Beatles waren nicht nur wahnsinnig talentiert, sondern sehr, sehr leidenschaftlich, was ihre Kompositionen anlangte. Weil sie eben keine formale Ausbildung hatten, standen sie den Menschen immer nahe. Jede ihrer Melodien eroberte die Herzen der ganz normalen Menschen. Das gelang ihnen auch mit ihren späteren, viel komplexeren Werken, was noch erstaunlicher war.“ Miloš’ Auswahl auf „Blackbird  – The Beatles Album“ ist bewusst heterogen. Frühe Juwelen wie „All My Loving“ und „And I Love Her“, das jüngst auch Jazzpianist Brad Mehldau geadelt hat, stehen neben Delikatessen aus der Spätphase der Beatles. Etwa „Let It Be“, das vom großen Gregory Porter gesungen wird. Es war die einzige Nummer, bei der Miloš die Führung abgegeben hat. „Ich bin einfach neben Gregory gestanden und habe gestaunt, wie viele Harmonien er mit der Stimme zaubern kann. Er war genau richtig für diese Ikone von Song.“

Auch mit Popsängerin Tori Amos verliefen die Aufnahmen emotional. „Sie ist eine der ent-
zückendsten, warmherzigsten Personen, die ich kenne. Sie war die Erste, die mir einfiel, als
es darum ging, Gäste auszuwählen. Die Auf-
nahmen zu ,She’s Leaving Home‘ waren sehr speziell. Es war der Tag, an dem ihre Tochter ins Internat eintrat. Tori war deshalb noch emotionaler als sonst.“ Und was macht die Lieder der Beatles so zeitlos? „Wenn man ,Yesterday‘ genau betrachtet, dann sieht man, dass es Merkmale hat, die auch Schubert-Lieder aufweisen. Die Songs der Beatles sind praktisch moderne Klassik. 99  Prozent der heutigen Popmusik werden niemals diesen Status haben. Sie werden vergessen werden.“

Als ganz junger Mann hat er einmal bei Paul McCartney angeläutet und ihm verschämt eine Aufnahme von ihm hinterlegt. Es gab nie eine Reaktion. Auf sie hofft er jetzt. Seine Firma hat McCartney ein Album gesendet. „Ich hoffe, er mag es.“ Einen Konzerttermin in Wien gibt es leider immer noch nicht. „Ich habe praktisch in allen wichtigen Konzerthallen von der Carnegie Hall bis zum Théâtre
des Champs-Élysées gespielt. Wien, ein Epizentrum der klassischen Gitarrenmusik, fehlt da noch.“

Tipp

„Blackbird – The Beatles Album“. Der montenegrinische Virtuose der klassischen Gitarre Miloš nahm mit Gästen wie Gregory Porter und Tori Amos eine Hommage auf die Beatles auf (Mercury Classics/Universal). www.miloskaradaglic.com

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