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Massive Attack: Schwebesound und Agitprop

(c) APA/ANDREAS PESSENLEHNER
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Die britische Band Massive Attack verzauberte im ausverkauften Gasometer mit kühlen Sphärenklängen zwischen Trip-Hop und Soul, nervte aber mit naivem Politisieren.

Robert Del Naja und Grant Marshall alias Daddy G. sind wohl das, was man in der Wiener Vorstadt gern „Waserln“ nennt. Ihr martialischer Bandname Massive Attack dient wohl vor allem einem uralten Manöver: dem Abwehrzauber. Nach Beginn des Zweiten Golfkriegs strichen sie für einige Zeit das „Attack“ aus dem Bandnamen – was wohl ungefähr so wirksam war wie die Traumfänger, die besorgte Eltern über die Betten ihrer Kinder hängen. Immerhin hatte es schicke Symbolkraft.

Seit damals pflegen Massive Attack ihre herzigen, magischen Interventionen gegen die hohe Politik. Die aktuelle Tournee steht ganz besonders im Zeichen des Agitprop. Und so blitzten im hübschen Mix aus Fantasieflaggen für Sekundenbruchteile böse Firmennamen auf. Ein kleiner Hinweis auf die feindliche Übernahme des Patriotismus durch Wirtschaftskonzerne. Der träge Fluss der schönen Musik wurde mit einem ästhetisch anspruchsvollen Mosaik aus Infotainmentschnipseln behübscht.

Hauptthema war die europäische Flüchtlingskrise. In grüner und roter Leuchtschrift flimmerten Slogans, Statistiken und teilweise kuriose Schlagzeilen, die sich auch auf den Spielort Österreich bezogen. Innenministerin Mikl-Leitner, FPÖ-Präsidentschaftskandidat Hofer, Unterrichtsministerin Heinisch-Hosek und sogar Baumeister Lugners „Der Kasperl gewinnt immer“-Sager waren Teil der Visuals.

Die Musik selbst hob mit „United Snakes“ an, einem düsteren Stück, das die Qualitäten der Band unterstrich. Reduzierte, unwiderstehliche Beats, sphärische Sounds und jede Menge mysteriöses Flüstern und Hauchen. Diese Band versteht sich ausgezeichnet auf die klangliche Umsetzung von diffusen Ängsten. „The devil makes us sin, but we like it“, piepste Martina Topley-Bird im schläfrigen „Paradise Circus“, das die Erotik nicht als Refugium, sondern als Schlachtfeld von Gut und Böse zeichnete.

Neue Songs und schlichtes Politisieren

Noch mehr Angstlust schenkte „Angel“, dessen von Reggae-Superstar Horace Andy gesungene Heilsbotschaft von unguten, schleifenden Geräuschen umrahmt war. Zwei Schlagzeuger unterfütterten die aus Computern fließenden elektronischen Klänge. Keyboards, Bass und Gitarre und jede Menge wechselnder Gastsänger sorgten für ein wenig Süße im harschen Klangbild. Jubel brandete auf, als Daddy G. und Robert Del Naja sich die Flüsterraps von „Risingson“ teilten.

Sechs Jahre nach dem vorzüglichen Album „Heligoland“, von dem ein Gutteil der Songs an diesem Abend stammte, präsentierten Massive Attack auch neue Songs. Etwa den sanft pulsierenden Titelsong ihrer Anfang März erscheinenden EP „Ritual Spirit“. Aufregender war da das psychedelisch anmutende „Take It There“, für das sie erstmals seit 1993 wieder Tricky zu einer gemeinsamen Arbeit ins Studio locken konnten. In Wien brummelte Daddy G. diesen unheimlich klingenden Song mit glamouröser Bassstimme. Die Hits „Safe From Harm“ und „Unfinished Sympathy“ vergoldete die opulente Soulstimme von Deborah Miller. Sehr gelungen war auch das von der schottischen Kombo Young Fathers stimmlich betreute „Voodoo in My Blood“.

So faszinierend es war zu hören, dass Massive Attack ihre Musik immer noch wunderbar in Schwebe zwischen purem Sound und Songstruktur halten: Ihr naives Politisieren nervt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2016)

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