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Anohni: Politik mit dem Tanzbein

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FILES-US-MUSIC-ENTERTAINMENT-JAZZ-ANOHNI(c) APA/AFP/RAFA RIVAS
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Anohnis famoses „Hopelessness“ ist das bislang radikalste politische Popalbum im 21. Jahrhundert. Drohnenkrieg, Ökozid und die moralische Verlotterung sind die Themen.

Das Herzstück dieser Liedersammlung nennt sich „Obama“. Seine Struktur ist von einer entschiedenen Zerfleddertheit, die Drohnensounds erinnern an böseste Kriegselektronik. Erst am Ende stellt sich wie zur Häme ein lieblicher Pianolauf ein. Auf seinen Schwingen resümiert Anohni bitter ihr einstiges Engagement für Obama: „Like children we believed“. Damals hieß sie noch Antony Hegarty, machte überirdisch schöne Kammermusik über Einsamkeit, Gender und Feminismus und glaubte an jene mysteriöse „Hope“, die der spätere 44. Präsident der USA im Wahlkampf virtuos beschwor. Dieser (Leer-)Formel setzt sie das eminent politische Album „Hopelessness“ entgegen. „We thought we had empowered the truth telling envoy, now the news is you are spying, executing without trial, punishing the whistle blowers, those who tell the truth“, heißt es im Song „Obama“. Unmittelbarer Anlass war der NSA-Skandal, insbesondere die Verhaftung von Chelsea Manning. „Sie ist eine politische Gefangene, weil sie dieses Video weitergab, auf dem die Exekution eines Reuters-Journalisten durch Drohnen zu sehen war. Warum zeigt Obama nicht Mut und amnestiert sie, die nur zur Transparenz beigetragen hat, die er in seinen Wahlreden stets beschworen hat?“, ärgert sich Anohni.

Im Minenfeld heutiger Probleme

„Hopelessness“ markiert den emotionalen Wendepunkt ihrer schillernden Karriere. Statt melodiesatt um die eigene Melancholie zu kreisen, weitete sich ihr Blick auf das Minenfeld heutiger Probleme zwischen Ökozid, IS-Terror, US-Drohnenkrieg und politischer Manipulation. Die verstörende, elektronische Musik dazu lieferten unter anderem Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never.

Wenigstens teilweise handelt es sich um den Versuch, Dancefloor und Revolution zusammenzubringen. Dass Anohnis dramatisch flatterndes Falsett auch in den dunklen Höhlen der Tanzkultur Wirkung entfaltet, hat schon das hypnotische „Blind“ (2008) gezeigt. Die ähnlich hämmernde, aktuelle Single „4 Degrees“ verlockt zum Ausagieren von Schuldgefühlen, den eigenen ökologischen Fußabdruck betreffend. Das ist Politik mit dem Tanzbein. „Wir haben ein weiteres Jahrzehnt in einer Frage verloren, für die wir nicht einmal mehr fünf Minuten Zeit haben“, geißelt Anohni die schwache Klimaagenda Obamas.

Ein anderer Schlüsselsong ist „Drone Bomb on Me“, das aus dem Blickwinkel eines afghanischen Mädchens geschrieben ist. „Blow my head off“, fleht es, „blow me from the mountain and into the sea.“ Die Identifizierung mit dem Feind am Himmel gipfelt in einer Selbstbezichtigung der Traumatisierten: „I'm not so innocent, let me be the one that you choose from above, after all I'm partly to blame.“ Anohni will sich mit der Beschreibung solcher Tragödien nicht billig in abstrakte Moral retten. Sie will den eigenen Anteil am Elend wahrnehmen. Vielleicht wächst, wie es Hölderlin in „Patmos“ formuliert hat, mit der Gefahr auch das Rettende. Lösungsansätze sind auf dem Album zwar nicht zu finden, dafür fordert Anohni in Interviews die Abkehr von monotheistischen Religionen, die sie als „männliche Wahnvorstellungen“ denunziert. Noch dringender will sie ein Ende der Unterdrückung des Femininen. Mit „We will never never again give birth violent men“ versucht sie, ein Utopia herbeizusingen, in dem weichere Umgangsformen herrschen.

Aller Voraussicht nach werden diese Lieder nicht die Realität zertrümmern, aber die ekstatischen Energien, die sie freisetzen, sind geeignet, so manches Leben zu verbessern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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