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Daniel Merriweather: „Glaube an Selbsterziehung“

(c) Sony BMG
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Nach Amy Winehouse ist Daniel Merriweather der neue Schützling von Erfolgsproduzent Mark Ronson. Ein Gespräch über Gefahren in der Liebe und im Pop.

Die Presse: Ihr Laster Zigarettenrauchen ist im Vergleich zu Ronsons anderer Klientin Amy Winehouse beinah harmlos. Dennoch haben Sie einen Song darüber verfasst. Warum?

Daniel Merriweather: Weil ich es nicht in den Griff bekomme. „Cigarettes“ schrieb ich, nachdem ich acht Monate lang nicht geraucht hatte. Dann ging es leider wieder los. Mein Song ist keine Hommage an den Rauch. Es geht vielmehr um diesen rätselhaften Mechanismus, der einen zur Zigarette treibt. Das Problem ist, dass es mittlerweile viele Frauen gibt, die Rauchen nicht akzeptieren.

Welche Herausforderung war es für Sie als Australier, nach New York auszuwandern?

Merriweather: Was diese Stadt so speziell macht, ist, dass sie ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen ist. Hier wird sehr hart gearbeitet. Die Menschen sind extrem ambitioniert. Niemand geht nach New York, bloß um Urlaub zu machen. Mark lud mich ein, um mein Potenzial zu prüfen. Er hatte ein Demoband von mir gehört und lud mich in sein Studio ein. Ich schlief dann ein halbes Jahr auf einem Futon in Ronsons Waschküche. Heute lebe ich in East Harlem.

Wie haben Sie erkannt, dass aus Ihnen ein Sänger werden könnte?

Merriweather: Mit zehn Jahren kaufte ich mir „Cooleyhighharmony“, ein Album von Boyz II Men. Das war meine einzige CD für ein Jahr. Daran probierte ich meine Stimme. Ich lernte sie in mehreren Stimmlagen singen. Mit vier Jahren lernte ich Violine, mit 14 Gitarre. Beides führte nicht sehr weit. Nur mein Interesse für Gesang überlebte.

Hat Sie also der R&B zur eigenen Kunst angestachelt?

Merriweather: Musik generell. Ich glaube nicht an Kategorien, an Genres. Musik, das ist einfach nur ein Gefühl. Ich höre die Beatles genauso wie Jay-Z. Da sehe ich keinen Unterschied. Meine größten Einflüsse sind Jeff Buckley, Mike Patton, D'Angelo, Thom Yorke, Otis Redding und Stevie Wonder.


Mit der Berühmtheit kommen oft die Probleme. Sind Sie mental so weit gefestigt, dass Sie größeren Erfolg aushalten könnten, ohne Schaden zu nehmen?

Merriweather: Ich bin jetzt 27 Jahre und habe schon genug Partys in den Knochen. In den letzten Jahren war ich auch viel unterwegs mit Mark Ronson. Ich bin gerne in diesem Zirkus, aber mir geht es nicht darum, wahnsinnig berühmt zu werden. Im Zentrum stand bei mir immer die Musik. Es war ein langer Kampf, auf ein gewisses professionelles Level zu kommen. Das werde ich nicht aufs Spiel setzen.

Warum sind in der Popmusik so häufig Schulabbrecher wie Sie derart erfolgreich?

Merriweather: Die Schule erlaubt dir nicht, kreativ zu sein. Da geht es doch meistens darum, Fakten auswendig zu lernen. Darin war ich nie gut. Ich habe immer sehr stark an Selbsterziehung geglaubt. Mit sechzehn hab ich Stephen Hawkings „A Brief History of Time“ gelesen und bin gleichzeitig in Mathematik durchgefallen. Das sagt doch alles. Auch in Musik war ich ständig gefährdet. Das ist aus heutiger Sicht besonders aberwitzig.

Nicht selten sind Schulstreber im Leben nur mäßig erfolgreich. Wie sieht das in der Musik aus?

Merriweather: Im Jazz weißt du schon nach ein paar Noten, wer an einer Akademie war und wer sich aus Liebe zur Musik einen eigenen Pfad durch den Dschungel der Harmonien geschlagen hat. Wenn du Musik studiert hast, alle Stile, alle Schulen, dann musst du, um deine Originalität zu finden, das Gelernte raschest vergessen. Erst dann kannst du beginnen, du selbst zu sein. Oft gelingt das den Studierten dann nicht mehr.

Die Welt ist denkbar kompliziert. Kann gute Popmusik über das Gefängnis Subjektivität hinausgelangen?

Merriweather: Auf jeden Fall. Popmusik sollte zum Kern des Lebens vordringen, sich nicht in Simulationen verlieren. Gerade aus dem extrem Subjektiven lässt sich das Allgemeingültige gewinnen.

Wie wichtig ist Ihnen eine optimistische Botschaft?

Merriweather: Es geht nicht so sehr um Optimismus versus Pessimismus. Es geht um Ehrlichkeit. Es gibt schon genug gefakten Optimismus im Pop. Bei Bob Dylan oder Bob Marley würde auch niemand Optimismus einfordern. Bei denen geht es um Realität, natürlich subjektiv gebrochen.


Der große Unterschied zwischen Marley und Dylan ist doch, dass Marley versuchte, die Gesellschaft zu verändern, und Dylan nicht. Zumindest wenn man danach geht, was er nicht müde wird, in Interviews zu behaupten, nämlich dass es ihm immer nur um Poesie ging...

Merriweather: Ach, damit will er doch nur Journalisten necken. Natürlich zielten Dylans Songs in den Sechzigern auf Veränderung der Gesellschaft ab. Man höre sich nur mal wieder „Maggie's Farm“ an.

Wie sieht es bei Ihnen aus? Wollen Sie die Welt verändern?

Merriweather: Keinesfalls direkt. Liebeslieder sagen so viel über die Welt aus, dass ich keine Veranlassung sehe, darüber hinaus Politik machen zu wollen. Im Mikrokosmos der Liebe liegt einfach alles. Da brauch ich dann keine großspurigen politischen Metaphern mehr.

Die schönsten Liebeslieder sind doch jene, die melancholisch von der gescheiterten Liebe berichten. Warum ist das so?

Merriweather: Das liegt an der dialektischen Natur der Liebe. Die Idee der Liebe kann nicht ohne die Vision des Hasses existieren. Ohne diesen negativen Referenzpunkt gäbe es sie gar nicht. Wenn ein Lovesong unehrlich klingt, dann hat sich der Künstler über diesen Punkt hinwegschwindeln wollen. Man nehme nur Stevie Wonders Meisterwerk „You and I“: da singt er diese überirdisch schöne Liebeslyrik und gleichzeitig hörst du eine Melodie, bei der du am liebsten zu weinen beginnen würdest. Der Song verströmt auf schönste Weise die Zerbrechlichkeit alles Irdischen. Der Subtext sagt uns, dass das schönste Glück auf Erden in Nanosekunden zerbrochen sein kann. Wenn die dunkle Seite der Liebe nicht mitschwingt, kann nur Kitsch entstehen.

Kennen Sie Willa Cathers 1926 veröffentlichten Roman „My Mortal Enemy“? Darin beschreibt eine Ehefrau den liebenden Gatten als ihren ärgsten Feind.

Merriweather: Das finde ich sehr interessant. Jedes Konzept von Perfektion hat etwas Zerstörerisches. Das gilt insbesondere für die Idee einer idealen Beziehung zwischen Mann und Frau. Deshalb nenne ich mein Album ja auch „Love & War“. Inspiration war die Lektüre von Jean Baudrillards „The Perfect Crime“. Allein dass wir existieren, beweist, dass jede Perfektion Illusion ist.

DER KÜNSTLER UND SEIN PRODUZENT: AUF EINEN BLICK

Daniel Merriweather (*1982 in Melbourne, Australien). Sein Debütalbum ist eben bei Sony BMG erschienen: „Love & War“.

Mark Ronson (33, links im Bild), Produzent von Amy Winehouse (re.), Robbie Williams, Lily Allen, produzierte auch Merriweathers Album. 2003 debütierte Ronson mit der CD „Here Comes The Fuzz“. Sein Zweitling „Versions“ lieferte mehrere Top-Ten-Hits, auch „Valerie“ mit Winehouse. 2007 produzierte er deren Album „Back To Black“, gewann dafür den Grammy als „Produzent des Jahres“. [Sony BMG]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2009)

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