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Michael Kiwanuka: Der alte, neue Innenstadt-Blues

„Love & Hate“: Michael Kiwanuka aus London veröffentlicht sein zweites Album.
„Love & Hate“: Michael Kiwanuka aus London veröffentlicht sein zweites Album.(c) Universal
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„Black Man in a White World“ heißt ein Song von Michael Kiwanukas großem zweiten Album. Doch es wäre falsch, es in die Schublade „Black Music“ zu stecken.

Was für ein Statement schon zu Beginn! „Cold Little Heart“, der mehr als zehnminütige Opener, bei dem Michael Kiwanuka erst nach sechs Minuten zu singen beginnt, erinnert an Zeiten, als man sich fürs Hören von Popalben noch wirklich Zeit nahm. Kiwanukas E-Gitarre klingt hier wohl nicht zufällig nach David Gilmours entschleunigenden Glanztaten bei Pink Floyd.

Es ist unfair: Wenn sich jüngere Menschen an Gepflogenheiten orientieren, die schon lange vor ihrer leiblichen Existenz hip waren, dann werden sie als Jünger des Retro getadelt. Michael Kiwanuka, als Sohn ugandischer Eltern im Londoner Stadtteil Muswell Hill geboren, stand schon 2012 unter diesem Verdacht. Sämtliche seiner Vorbilder, ob Sly Stone oder Led Zeppelin, stammen aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern.

Genieren muss er sich nicht dafür. Schon gar nicht in Zeiten, wo Popmusik oft formelhaft geworden ist. „Heute ist vieles einfach Wegwerfware“, sagte er 2012 zur „Presse“: „Musik wird oft nur mehr als ,Content‘ eines elektronischen Geräts betrachtet. Ich finde das deprimierend.“

Jetzt, vier Jahre später, präsentiert er mit „Love & Hate“ den viel besseren Nachfolger seines so erfolgreichen Debütalbums „Home Again“. Zu seinem Gespür für große Melodien kam jetzt auch eine wohl von Produzent Danger Mouse inspirierte Lust an Verrätselung und zarter Dekonstruktion. Die neue klangliche Vielschichtigkeit entspricht viel besser Kiwanukas komplizierten Gefühlen als die frühere Folk-Soul-Geradlinigkeit à la Bill Withers. „In my heart, in this cold heart, I can live or I can die“, singt er – und entscheidet sich trotz bedrohlichen Selbsthasses für die Vitalität. „I can't stand myself, when you touch me“, klagte einst der große James Brown. Der Afro-Brite Kiwanuka muss wohl ganz ähnliche Ambivalenzen aushalten: „I can't stand myself . . . I've been ashamed all my life“, heißt es bei ihm.

So beginnt auch „Black Man In A White World“ ganz in der Tradition der Sklavensongs mit Händeklatschen und A-cappella-Gesang. Es ist ein moderner „field holler“, ein Aufschrei auf offenem Feld. Doch anders als Marvin Gaye in seinem politischen Manifest „Inner City Blues (Make Me Wanna Holler)“ wagt Kiwanuka keine gesamtgesellschaftliche Analyse. Bei ihm kreist alles um die individuelle Befindlichkeit. Darum, die Würde zu wahren, sei sie noch so ramponiert.

Seit Gayes epochalem politischen Konzeptalbum „What's Going On“ (1970) hat sich einiges verbessert in der Beziehung zwischen den Rassen. Aber Unbeschwertheit ist noch lange nicht angesagt. Wenn Kiwanuka Zeilen wie „I'm in love, but I'm still sad, I've found peace, but I'm not glad“ singt, macht das betroffener, als würde er konkret über tägliche Benachteiligung singen. Die zehn Lieder von „Love & Hate“ spiegeln die komplizierte Konstituierung von Identität zwischen verkrampfter Political Correctness und unverhohlenem Rassismus. Und manchmal wünscht sich Kiwanuka einfach nur, für kurze Zeit davon erlöst zu sein: „Take me out of myself again“, singt er in „Rule the World“, „help me lose control, show me love, show me happiness, I can't do this on my own.“

Verzicht auf altkluge Slogans

In seinem Verzicht auf eine Rhetorik der Weltveränderung ist Kiwanuka sehr heutig. Er verbietet sich die Naivität, mit altklugen Slogans die Geschicke der Menschheit beeinflussen zu wollen. Lieber kartografiert er die eigene Seele, um widerzuspiegeln, was es da an Verheerung gibt, mit der sich womöglich andere solidarisieren können. Seine gereifte, nuanciert intonierende Stimme ist ihm dabei ideales Instrument. Ihre Sensibilität wirkt nie kalkuliert. Die emotionale Erschöpfung im Anti-Lovesong „Falling“ wirkt genauso authentisch wie die vorsichtige Lebenslust in „One More Night“, dessen munterer Groove aus der Werkstätte der Black Keys stammen könnte, notabene: einer weißen Band.

Ja, es wäre ein Fehler, Kiwanukas Musik in die Schublade „Black Music“ zu stecken. „Love & Hate“ ist einfach ein großes Popalbum. Und Kiwanuka weiß, warum er in einer Zeit, in der Sampler und Computer hipper scheinen, zur E-Gitarre greift: Mit ihr kann er irdische Finsternis besser ausleuchten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2016)

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