Pop

Frequency: Rituale, Rock und die Lässigkeit des Südens

Massive Attack
Massive AttackAPA (HERBERT P. OCZERET)
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Massive Attack pflegten das Geheimnis, The Kills die Laszivität; Bloc Party predigten die Schwermut, Manu Chao die Lebenslust: Das Frequency-Festival bot auch am letzten Tag ein stilistisches Durcheinander.

Fritzi Massary. Dieser Name leuchtete beim Konzert von Massive Attack auf der LED-Wand auf – neben vielen anderen Zeichen, darunter dem FPÖ-Logo, worüber sich manche ziemlich aufregten. Das seit Ende der Achtzigerjahre aktive britische Trip-Hop-Kollektiv Massive Attack ist ja bekannt für seinen alerten, manchmal rätselhaften Umgang mit Symbolen und Schriften. Bei seinem letzten Auftritt im Wiener Gasometer überraschte es etwa mit dem Spruch „EU-Brief an falsche Adresse geschickt“ der damaligen Innenministerin Mikl-Leitner.

Diesmal also Fritzi Massary (1882–1969), die nicht nur von Michael Heltau verehrte Wiener Schauspielerin, die Leichtes aus Lustspiel und Operette unergründlich wirken lassen konnte. Dass just sie kurz dem Vergessen entrissen wurde, war ein magischer Moment dieser Performance, die leider nicht an Massive Attacks heuriges Wien-Konzert herankam. Der Roots-Reggae-Heilige Horace Andy, auch schon 65 Jahre alt, veredelte diesmal nur zwei Songs mit seinem Meckergesang: das lavalampenartig wabernde „Girl I Love You“, das ätherische „Angel“. Das Gros des Auftritts dominierten die exzentrischen Raps des afroschottischen Trios Young Fathers, das auch feine eigene Songs wie „Shame“ sang.

Massive Attack: Voodoo im Blut

Von atmosphärischer Dichte war die neue Single „Ritual Spirit“. In der bedächtigen Entwicklung ihrer musikalischen Motive waren Massive Attack hier Pink Floyd näher, als ihnen wahrscheinlich lieb ist. Von lebendigerer Anmutung waren das düstere „Voodoo in My Blood“ und die auf einem Sample von Billy Cobham tanzende Schlussnummer „Safe from Harm“. Deborah Miller sang sie ähnlich expressiv wie einst Shara Nelson.

Mit radikal weniger stimmlichen Mitteln entwickelte Alison Mosshart, Sängerin der britisch-amerikanischen Indie-Rockband The Kills, ihren Zauber. Das auf ein Quartett aufgestockte Duo eröffnete mit „No Wow“, der amourös motivierten Einzäunung eines Geliebten: „You're gonna have to step over my dead body, before you walk out that door.“ Sich insektenhaft bewegend, steckte Mosshart ihre erotischen Claims ab. Mit hohem Ernst und charmant unrunden Tanzbewegungen kurvte sie durch Geschichten von Verlust und Trotz. Auch ihr wesentlich älterer Gitarrist Jamie Hince sieht rattenscharf aus. Muss er, schließlich hat ihn seine Gattin Kate Moss 2015 nach acht gemeinsamen Jahren ausgelagert. Dabei ist dieser Mann intelligent! Mit seinen ausgesucht räudigen Riffs und kantigen Bewegungen entsprach er den Klischees des Genres, ironisierte diese aber gleichzeitig. „U.R.A. Fever“ war ein frühes Highlight dieses hitzigen Auftritts. „Doing It to Death“ und „Whirling Eye“ vom aktuellen Album „Ash & Ice“ entzückten mit idealem Mix aus fiepsiger Elektronik und archaischem Rockgebrüll.

Subtiler ging es Kele Okereke an. Der Sänger von Bloc Party, einer der beständigsten Festivalbands der letzten zehn Jahre, dockt an den kunstvoll gequälten Gesangsduktus des Cure-Sängers Robert Smith an. Dass die Bloc-Party-Songs dennoch nicht abgelebt klingen, liegt an den abenteuerlichen Wendungen, die sie oft nehmen. Wobei es den Musikern manchmal schwerfällt, die Überfülle zu bändigen, die aus den Instrumenten dringt. Sei's drum. Bewährte düstere Heuler wie „Banquet“ und „One More Chance“ sorgten bereits in der Mitte des Sets für den größten Jubel.

Vom Rockgelände in die Stranddisco

Dann ein radikaler Stimmungswechsel: Bei Manu Chao hatten Apokalypse und Schwermut Pause. Abgelöst wurden sie durch die verlässliche Lässigkeit des Südens. Mit Akustikklampfe, zwei Trompeten und noch ein wenig Umtata verwandelte Manu Chao das Rockgelände in wenigen Sekunden in eine Stranddisco. Sein letztes Studioalbum „La Radiolina“ ist zwar schon neun Jahre alt – im Pop eine halbe Ewigkeit! –, doch die groovende Verquickung von Gesellschaftskritik und Lebenslust kam beim Frequency-Publikum ausgezeichnet an. Trotz der Konkurrenz der spektakulären südafrikanischen Rap-Band Die Antwoord, die parallel auf der Green Stage spielte, war das Gros der Festivalbesucher bei Manu Chao. Und auch wer zu dieser Zeit schon etwas erschlafft war, erhob sich für dieses Konzert – bei dem die Grenzen zwischen den Songs verschwanden, einfach weil alle so ähnlich klingen – aus dem Staub.

Resümee: Das Programm war heuer deutlich fantasievoller als im Vorjahr, die stilistische Vielfalt könnte ein wenig zeitliche Ordnung vertragen, vielleicht nach dem Motto: Kraut nach Kraut, Rüben nach Rüben. Trotz der heurigen Flut an neuen Festivals hat sich das Frequency jedenfalls gut gehalten. Seinem Impresario wurde am Ende noch für sein zuletzt bei der „Nacht gegen die Armut“ gezeigtes karitatives Engagement ein Preis der Volkshilfe verliehen. Stilecht nahm er ihn im Bob-Marley-T-Shirt entgegen. Ein Soul Rebel, dieser Ewald Tatar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

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