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John Zorn: Ein Demiurg, das Heilige, die Wollust

SWITZERLAND MUSIC WILLISAU ZORN
SWITZERLAND MUSIC WILLISAU ZORN(c) EPA (SIGI TISCHLER)
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Fordernd und beglückend: John Zorn, der große Ikonoklast, gastierte mit ehrgeizigem Programm.

Teenies waren rar an diesem Abend. Dennoch war die Stimmung aufgekratzt, ja fast hysterisch. Die grauen Panther, die da in den Keller strömten, tauschten bereits im Stiegenhaus mit Kennermiene altbekannte Fakten aus: John Zorn? König der New Yorker Avantgarde, über 200 Alben, einer der letzten Unbestechlichen einer von Kommerz durchseuchten Branche. Christoph Huber, Maître des Porgy & Bess arbeitete über zehn Jahre daran, Zorn im Club vorstellen zu können. Das glückte jetzt. Zorn präsentierte sein aus etwa 300 Kompositionen bestehendes, für unterschiedlichste Instrumentierungen offenes Projekt „Bagatelles“, das er sonst nur auf großen Festivalbühnen in einem fünfstündigen Marathon aufführt. Für Wien machte er eine Ausnahme und teilte das Programm auf zwei Abende auf. Sechs appetitliche Häppchen à 25 Minuten wurden dargereicht.

Den fulminanten Start leistete das klassische John-Zorn-Quartet mit Joey Baron am Schlagzeug, Greg Cohen am Bass und Dave Douglas an der Trompete. Zorn, der mit seinem braven Bürstenhaarschnitt aussah wie der Bankberater ihres Vertrauens, verwandelte sich am Saxofon in einen Berserker. Das rasante Unisono-Spiel zwischen ihm und Douglas hatte die Wucht eines Kinnhakens. Die Rhythmussektion verlustierte sich in komplexem Summen und Brummeln. Zorn, ein Demiurg der alten Schule, will jeden Ton kontrollieren.

Mit ruhiger Hand und komplexem Augenbrauenspiel dirigierte er. Während des Schlagzeugsolos von Baron hielt er gar Händchen mit Trompeter Dave Douglas. Auf Saxofonattacken folgte der richtige Moment für einen nicht minder diffizilen Ausflug in die Elegie. Das Quartett versuchte eine Vermittlung zwischen dem Heiligen und dem Wolllüstigen. Ein Versuch, der vergeblich, aber unverzichtbar war. Die dritte Komposition lockte schließlich auf eine Hochschaubahn einander widerstrebender Gefühle.

Zorn liebt Extreme. Sein aktuelles Opus „49 Acts of Unspeakable Depravity in the Abominable Life and Times of Gilles de Rais“ versucht u. a. mit den Mitteln des Heavy Metal die Empathie mit dem berüchtigten Alchimisten und Massenmörder De Rais. Sein aggressiv-melancholisches Projekt „Masada“ verarbeitete den Massenselbstmord auf der gleichnamigen, jüdischen Bergfestung im Jahr 73 vor Christi.

Errettung des Schönen

Das beinahe romantische Gitarrenduett von Gyan Riley und Julian Lage passte in die manisch-depressive Dramaturgie. Überraschend luzide schwebten die Klänge des Nova Quartets, das als Modern Jazz Quartet on Acid angekündigt war, ans Ohr. Vibraphonist Kenny Wollesen und Pianist John Medeski setzten subtile Akzente. Zorn kontrollierte mit erratischen Bewegungen das Klanggeschehen. Pianistin Sylvie Courvoisier und Geiger Mark Feldman bemühten sich mit Ellenbogenclustern, Klavierdeckelperkussion und süßester Melodie um die Errettung des Schönen. Danach wurde es Zeit für den Punk. Das Trio Trigger lärmte, bis die Gläser klirrten. Zum Schluss spielte Pianist Craig Taborn noch Easy Listening mit Free-Jazz-Attitüde und brachte diese rare Soiree klanglicher Devianz ideal zum Verklingen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2016)

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