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The Frightnrs: Verglüht auf höchster Stufe

Daniel Klein (ganz rechts) erfuhr ein Jahr vor den Studioaufnahmen von der Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose.
Daniel Klein (ganz rechts) erfuhr ein Jahr vor den Studioaufnahmen von der Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose.(c) Mackenzie Greer
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Die Frightnrs zelebrieren den Rocksteady. Ihr berückendes Debütalbum ist zugleich das Testament des charismatischen Sängers, der während der Aufnahmen mit 33 Jahren starb.

Das Level ihrer Verschlissenheit begeistert schon länger. The Frightnrs pflegen, ganz im Einklang zu ihrem abgeschabten Äußeren, ein fast vergessenes Genre der Sechzigerjahre, den jamaikanischen Rocksteady. Sein Blütezeit hatte dieser aus dem Ska entstandene Stil mit Interpreten wie Ken Boothe und Alton Ellis. Knackige Riffs, weich schaukelnde Rhythmen und emotionaler Gesang sind seine Kennzeichen.

An Soul haben die Frightnrs keinen Mangel. „All my tears, all my tears won't do nothing at all“ wehklagt Sänger Daniel Klein schon im ersten Lied ihres Albumdebüts „Nothing More to Say“. Bald steigert sich sein drängendes Organ auf höchste Pathosbrennstufe. „I know it don't make no difference, a lifetime of loneliness is my life sentence.“ Was beim ersten Hören wie ein simples Liebeslied klingt, hat – wie man erst im Nachhinein richtig ermessen kann – eine tiefere existenzielle Ebene. Klein verlor mehr und mehr Kraft und Stimme während der Aufnahmen im letzten Sommer. Ein Jahr zuvor hatte er die Diagnose Amyotrophe Lateralsklerose erhalten. Bei dieser tückischen Krankheit friert die Kommunikation zwischen Muskeln und Gehirn ein. Da er ständig hinfiel, musste Klein seinen Tagesjob in einer Bäckerei aufgeben. Im September 2015 ging er bereits am Stock, ein paar Monate später war Fortbewegung nur mehr mittels Rollstuhls möglich.

Die Zeit drängte. Wenige Wochen vor dem fatalen Arztbesuch hatte die Band als erster Nicht-Soul-Act beim Label Daptone unterschrieben. „Sie passen gut zu uns,“ sagte Gabriel Roth, einer der Begründer des Labels, damals. „Schlicht, weil sie nicht nachäffen, sondern eine ganz eigene Form von rohem Rocksteady schaffen. Ihre Musik hat sehr viel Seele.“ Das in Brooklyn residierende Label ist seit 2001 eine Art Arche Noah für patinierte Soulvokalisten von Sharon Jones bis Charles Bradley. Sogar Amy Winehouse hat einige Songs ihres Millionensellers „Back to Black“ im unscheinbaren, einstöckigen Ziegelbau in der Troutman Street Nummer 115 aufgenommen.

Neun Lieder aus eigener Feder

Im gleichen Raum haben die Frightnrs ihre Form von Magie entwickelt. „Von Anbeginn war uns klar, dass wir uns keinesfalls Dreadlocks wachsen lassen. Allein schon aus Selbstrespekt. Wir wussten, dass wir nie wie unsere jamaikanischen Vorbilder klingen werden, aber uns auf der Suche nach diesem Traum selbst finden werden.“ Mit drei feinen EPs u. a. mit Coverversionen wie „Sharon“ und „I'd Rather Go Blind“ haben sie sich vor ihren Aufnahmen für Daptone bereits hohe Reputation erarbeitet. Sogar der britische Star-DJ Diplo lobte sie. „Ich liebe Dans Falsett und die Imaginationskraft seiner Texte. Ich kann kaum glauben, dass eine moderne Band so authentisch nach Sechzigerjahre-Jamaika klingen kann.“

Das gilt umso mehr für das Debütalbum „Nothing More to Say“, auf dem neun der elf Lieder aus eigener Feder stammen. Es ist bitter, dass dieses hinreißende Debüt durch Kleins Tod zum Testament geworden ist. So gern hätte er sie live gesungen. Doch noch während der Aufnahmen verfiel Klein rasant. Meist musste er ein Atemgerät tragen. Am Ende reichte es nicht ganz, und der Produzent musste für manchen Song eine ältere Probeaufnahmen heranziehen.

Mit dem Mut der Verzweiflung setzte Klein auch in dieser Phase Gesten des Widerstands. Er ließ sich massiv tätowieren. Seine ganze Lebensgeschichte wollte er sich in die Haut ritzen lassen. Es waren jene Stunden, in denen er noch einmal das Gefühl hatte, Kontrolle über den eigenen Körper zu haben. In berückenden Liedern wie „Till Then“ konfrontiert er seine Hörer aber mit der inneren Wahrheit. „Every day I wake it's getting harder to take. Pretending that I'm fine, I'm only lying all the time.“ Einen letzten schönen Moment trotzte er dem Schicksal dennoch ab. An einem sonnigen Nachmittag im Juni ließ er sich in den Prospect Park rollen, wo die mittlerweile ebenfalls verstorbene Soulsängerin Sharon Jones konzertierte. Die Kraft ihres Gesangs und die anmutige Bläsersektion begeisterten ihn besonders. „Nicely done!“ hatte Klein getextet, ehe er im Schlaf verstarb. Seine Kollegen hatte er ermahnt, The Frightnrs mit einem neuen Sänger weiterzuführen. Er wird es punkto Intensität sehr, sehr schwer haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2017)

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