Pop

Rappen in der Kultur der Angst

Thievery Corporation in Wien
Thievery Corporation in Wien(c) Samir H. Köck
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Thievery Corporation aus Washington verbinden politische Analyse mit Elektronik und Weltmusik. Damit brachten sie 2200 Besucher im Konzerthaus aus dem Häuschen.

Eigentlich waren es Kruder & Dorfmeister, die diesen flirrenden Downbeat-Sound mit ihrer EP „G-Stoned“ 1993 auf die Landkarte der elektronischen Musik gebracht hatten. Am 15. März bekommen sie das Goldene Verdienstzeichen der Stadt Wien; ihr Debütalbum freilich sind sie uns bis heute schuldig geblieben.

Dafür haben sie die Karriere von Thievery Corporation mächtig angeschoben. Ihr millionenfach verkaufter Mix in der Serie „DJ Kicks“ stellte 1996 auch ein Lied von diesem Duo aus Washington in die Auslage. Im selben Jahr lancierten Eric Hilton und Rob Garza, die beiden Protagonisten dieser diebischen Korporation, ihr erstes Album „Sounds from the Thievery Hi-Fi“, das bis heute von zeitloser Schönheit ist. Ihre stets um Eleganz bemühten Sounds würzten sie mit Aromen der Weltmusik – von Bossa nova bis zu indischem Raga. Auf ihrem neuen, achten Album, „The Temple of I&I“, arbeiten sie mit Dub und Reggae. Dafür begaben sie sich nach Port Antonio in Jamaika. Neben erdigen Rhythmen fanden sie dort auch Sängerin Racquel Jones, die nun ihre Vokalsektion charmant verstärkt.

„Culture of Fear“, schon unter Obama

Die Sitzreihen im Wiener Konzerthaus hatte man vorsorglich entfernt. 2200 Besucher, darunter auch Peter Kruder, brauchten dringend Platz, um mit weichen Bewegungen zu den unwiderstehlichen Grooves zu tanzen. Weniger soft waren die Texte. Thievery Corporation sind in so ziemlich allen Belangen gegenteiliger Ansicht wie US-Präsident Trump. Schon in Obamas Amtszeit freilich empfahl Eric Hilton dem Bostoner Rapper Mr. Lif das Buch „The Culture of Fear“ – Untertitel: „Why Americans Are Afraid of the Wrong Things: Crime, Drugs, Minorities, Teen Moms, Killer Kids, Mutant Microbes, Plane Crashes, Road Rage, & So Much More“. So entstand 2011 das gleichnamige Stück, und auch in Wien rappte Mr. Lif mit sonorer Stimme: „Don't succumb to the culture of fear!“

Wenn der Aufstand verkauft wird

Scharf gegen die Unterhaltungsindustrie ging es in „Weapons of Distraction“, behutsam gesungen von Puma Ptah. Manchmal blieb es bei einer Überschrift, wie beim Opener „Forgotten People“, einem Instrumental. Doch mit bloßen Tiraden geben sich Thievery Corporation nicht zufrieden. Ihr Anspruch ist durchaus von akademischer Statur. „The Ghetto Matrix“ bezieht sich wohl auf Orlando Pattersons soziologische Studie „The Cultural Matrix – Understanding Black Youth“ (2015) über die Diskriminierung afroamerikanischer Jugendlicher. Mit viel Aplomb spuckte Mr. Lif das Unverdauliche heutiger Revolten heraus: „The poverty stricken victims produce the paint for the portrait, so humble, yet the struggle was sold and went corporate.“

Dramaturgisch klug wechselte solche Sozialkritik mit erotischem Eskapismus à la „Until the Morning“, lasziv interpretiert von der Argentinierin Natalie Clavier. Ziemlich erotisch legte auch Lou Lou Ghelichkhani ihre französischsprachigen Songs an. Kriegerisch gab sich dagegen Racquel Jones, etwa in „Letter to the Editor“, bei dem Revolutionsrhetorik und Signale sexueller Seligkeit schroff wechselten. Dazu tigerte der barfüßige Bassist Ashish Vyas, Spitzname Hash, ganz hippiemäßig über die Bretter. Im Finale wurden dann die Evergreens abgefeuert. „Lebanese Blonde“, „The Richest Man in Babylon“, „Unified Tribes“. Ja, Babylon muss fallen, damit endlich die Eintracht kommt . . . So konnte man sich für Augenblicke von der Wirrnis unserer Kultur erlöst fühlen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2017)

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