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Michael Jackson: Der selbstzerstörerische Perfektionist

(c) AP (Christophe Ena)
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„This is It“ wurde bei den Proben zur geplanten Konzertserie in London gedreht. Posthum wurde es ein rasant geschnittener, erstaunlich spannender Konzertfilm.

"Life is hard, right?", murmelt einer der jungen Tänzer in die Kamera. Tränen spritzen. So nah war er seinem Traum, gemeinsam mit Michael Jackson aufzutreten, seinem Idol dabei zu helfen, sich ein letztes Mal auf den Thron zu hieven, und dann wurde es doch nichts.

An anderer Stelle fasst sich Michael Jackson bei „Beat It“ müde in den Schritt. Schnitt in den Orchestergraben. Dort greifen sich die übermotivierten Tänzer in ihrem Bemühen, ihre juvenile Kraft auf ihr Idol zu übertragen, derart hart ans Brautwerkzeug, als gäbe es kein Morgen. Doch für M.J. (viele Mitwirkende trauten sich ihn nur bei den Initialen zu nennen) gab es kein Rückfahrticket aus dem Alptraum, zu dem ihm Leben und Karriere geworden waren. In fast jeder Einstellung sieht man, wie sehr Zeit und Hausapotheke diesen spindeldürren Leib heimgesucht haben. Die jungen, akrobatischen Tänzer sollten von Jacksons mangelnder Spannkraft ablenken. Regisseur und Choreograf Kenny Ortega schrie ihnen sein Mantra in die Ohren: „You are the extension of Michael!“

Prothesen aus Licht, Luft, Ton

„This is It“ zeigt, wie präzise auch all die anderen Prothesen aus Licht, Luft und Ton an Jacksons Hinfälligkeit angepasst wurden. Treibende Kraft dabei war der Patient selbst. Er legte den Finger in die Wunden, gab sich perfektionistisch wie zu seiner besten Zeit. Hier passte ein Akkord nicht, dort ließ der Einsatz des Klaviers knapp aus. Jackson wusste in jeder Sekunde, was er wollte. Da sein Leib den rasanten Ideen nicht ganz folgen konnte, half man sich mit Effekten, setzte vor allem auf die Kraft des Lichts, gebrochen, absorbiert, reflektiert. Die entkräftete Ikone hätte einmal mehr zum glamourösen Lichtereignis werden sollen.

Ortega, der schon die „Dangerous“- und „HIStory“-Tournee choreografisch betreute, hätte einmal mehr auf Jacksons Qualitäten als Projektionsfläche gesetzt. Auf seiner zur grausamen Wahrheit verstümmelten Physis hätte sich einmal noch buntes Licht zerstreut und gesammelt. Ortegas monumentale Starinszenierung tändelte mit dem Ewigkeitswert der Kunstfigur, an dem M.J. letztlich zerbrochen ist. Und das keineswegs passiv. Mit selbstzerstörerischem Arbeitsethos trieb er das Team, noch den verstiegensten Ideen bedingungslos zu folgen. Die beinah aggressiv gesunden Leiber der Mitwirkenden bogen sich willig unter den Launen dieses alten narzisstischen Kinds. Die Verheißung junger Leiber wurde als Tableau um den ausgemergelten Superstar inszeniert, der mittels Blicken und Gesten über alles regierte. Jacksons pseudoekstatische Kiekser trieben den Körperkult ins Monströse. Zum Trost gab es am Ende jedes Probetags ritualisierte Menschlichkeitsgesten.

Jackson gebot bei den Showvorbereitungen nicht nur über den Raum. Er wollte auch die Zeit außer Kraft setzen. Fürs Begleitvideo zu „Smooth Criminal“, ließ er sich in elegantem Schwarz-Weiß von Humphrey Bogart und Edward G. Robinson jagen. Entschieden martialischer ging es bei der neuen Visualisierung von „They Don't Care about Us“ zu: Aus elf Tänzern werden durch digitale Zauberei 1100 Soldaten, die geschmeidig gegen soziale Missstände antanzen.

Natürlich durfte auch die Agenda des kranken Planeten nicht fehlen. „I love the planet“ beteuert Jackson, dann schwenkt die Kamera auf eine idyllische Waldlichtung. Ein Mädchen bettet seinen Kopf auf blumenbesticktes Moos, der böse Bagger rollt heran, und Jackson gibt im „Earth Song“ den Reparateur einer erkrankten Welt. Für „Thriller“ wurden zusätzliche Sequenzen auf dem Friedhof gedreht. Bei der Betrachtung auf dem Computer zeigte sich Jackson über die wackelnden Leichen begeistert. Ausufernder Spieltrieb oder unbewusste Identifikation mit den Untoten?

Am Ende versöhnte der King of Pop seine Musiker, machte ihnen jenen Mut, von dem er bei den 50 London-Konzerten zehren wollte: „Have no fear! It's an adventure! It's just a wonderful experience of escapism!“ Die Gefahr, dass gerade er den Notausgang vorher nehmen könnte, war ihm offensichtlich bis zuletzt nicht bewusst.

ZUM FILM

„This is It“ besteht aus Probenaufnahmen zwischen April und Juni 2009. Regie, Choreografie: Kenny Ortega. Voraussichtliche Laufzeit: nur zwei Wochen.

Der Soundtrack "This is It" (Epic/Sony) enthält zusätzliche Demo-Versionen und das Gedicht "Planet Earth". Die DVD wird im ersten Quartal 2010 erscheinen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2009)

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