Jazzfest Wien

McLorin Salvant: „Dieser Song ist so rassistisch!“

Die Manierismen der üblichen Jazzdiven gehen Cécile McLorin Salvant gänzlich ab. Weder flirtet sie mit ihren Hörern, noch gibt sie sich geheimnisvoll. Bei Konzerten trägt sie eine dickrandige Brille, die ein wenig aussieht, als wäre sie aus einem Kaugummiautomaten gezogen worden.
Die Manierismen der üblichen Jazzdiven gehen Cécile McLorin Salvant gänzlich ab. Weder flirtet sie mit ihren Hörern, noch gibt sie sich geheimnisvoll. Bei Konzerten trägt sie eine dickrandige Brille, die ein wenig aussieht, als wäre sie aus einem Kaugummiautomaten gezogen worden.(c) Mark Fitton
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Die 27 Jahre alte Jazzsängerin Cécile McLorin Salvant hat eine Vorliebe für Nostalgisches und für steinaltes Liedgut. Der „Presse“ erklärt sie, warum sie auch ziemlich anstößige und sexistische Texte bringt.

„Oh my lover for the first time in life, my eyes can see“ – so überzeugend, so beseelt wie Cécile McLorin Salvant, US-Jazzsängerin mit haitianischen Wurzeln, hat noch niemand die schönen Zeilen aus John Lennons „Oh My Love“ gesungen: Ihre Interpretation, erschienen 2012 auf „Gouache“, einem Album des franko-kanadischen Pianisten Jacky Terrasson, machte die Jazzwelt auf sie aufmerksam.

„Zuerst wollte Jacky nur, dass ich das Erik-Satie-Stück ,Je te veux‘ singe“, erzählt McLorin Salvant im Gespräch mit der „Presse“: „Dann waren wir aber in diesem wunderbaren Studio in der Nähe von Montpellier, wo die Musiker gleich übernachten konnten. Wir aßen üppig, tranken Wein, und als ich gegen zwei Uhr morgens so richtig bettschwer war, schlug Jacky vor, dieses ,Oh My Love‘ einzuspielen. Ich höre meiner Stimme die Verschlafenheit an, aber vielleicht macht das gerade die spezielle Magie aus . . .“

Die Manierismen der üblichen Jazzdiven gehen McLorin Salvant gänzlich ab. Weder flirtet sie mit ihren Hörern, noch gibt sie sich geheimnisvoll. Bei Konzerten trägt sie eine dickrandige Brille, die ein wenig aussieht, als wäre sie aus einem Kaugummiautomaten gezogen worden. Und sie erklärt den Hintergrund des jeweils anstehenden Songs mit viel Liebe zum Detail. Fast wirkt sie wie eine auskunftsfreudige Bibliothekarin mit all den historischen Ausführungen zu den vielen Vorkriegssongs, die sie im Repertoire hat – und die sich auch auf ihren beiden formidablen Alben „Woman Child“ (2013) und „For One to Love“ (2015) finden.

Melancholisch und aufgekratzt

Ja, sie habe einen „soft spot“ für Nostalgisches, sagt sie: „Wichtig sind mir die Gefühlskonflikte in den Songs. Und ich erforsche gern die sozialen Umstände, unter denen ein Lied entstanden ist. Natürlich bleiben mir aktuelle Strömungen wie Elektronik und Rap nicht verborgen. Aber sie berühren mich halt nicht so tief wie diese alten Lieder.“

Auf „Woman Child“ interpretierte sie höchst subtil alte Worksongs wie jenen über den afroamerikanischen Volkshelden John Henry, der noch aus dem 19. Jahrhundert stammt und von Bluessänger Big Bill Bronzy berühmt gemacht wurde. Ein anderes von ihr geborgenes Juwel ist „Nobody“ aus dem Repertoire des Vaudeville-Entertainers Bert Williams. Sie interpretiert es zunächst verträumt, steigert sich dann, hin- und hergerissen zwischen Melancholie und Aufgekratztheit, in einen fröhlichen Charleston. Wundersam, wie gut ihre Stimme in diesen Kontext passt! Fast, als sänge eine ruhelose alte Seele, die in der erst 27-Jährigen ein passendes Gefäß gefunden hat.

Zur Rückschau auf das Archaische kommt McLorin Salvants seltsame Liebe zu politisch höchst unkorrekten Liedern. Etwa „You Bring out the Savage in Me“, das einst von Valaida Snow (1904–1956) berühmt gemacht wurde. Snow, eine in Dänemark lebende Afroamerikanerin, die ausgezeichnet Trompete spielte und sang, wurde 1941 von den Nazis inhaftiert, von dieser Erfahrung sollte sie sich nicht mehr erholen. „Ich habe mir alles angehört, was sie aufgenommen hat“, sagt McLorin Salvant: „Es waren nur etwa 50 Aufnahmen. ,You Bring out the Savage in Me‘ ist so rassistisch! Es ist geradezu absurd, dass eine schwarze Frau singt, dass ihr Geliebter das Primitive aus hunderttausend Jahren aus ihr herauslockt.“ Gerade deshalb singt es McLorin Salvant praktisch bei jedem ihrer Konzerte: „Ein rassistisches Stereotyp macht man am besten unschädlich, indem man zeigt, wie absurd es ist.“

Auf ihrem dritten Album „For One to Love“ singt sie mit maliziöser Naivität „Wives and Lovers“. Die elegante Melodie ist von Burt Bacharach, der neben McCartney/Lennon beste Popschreiber des 20. Jahrhunderts; den Macho-Text schrieb Hal David: eine Warnung an Ehefrauen davor, ihr Aussehen zu vernachlässigen. Schon die ersten Zeilen müssten jede emanzipierte Frau in Wallung bringen: „Hey, little girl, comb your hair, fix your make-up, soon he will open the door. Don't think because there's a ring on your finger, you needn't try any more.“ McLorin Salvant singt es aus Lust an der Provokation. Sie will auch punkto Sexismus das Bewusstsein schärfen. Als Gegengewicht bringt sie aber auch Texte, die sofort als emanzipatorisch zu erkennen sind. So hat sie etwa „Le front caché sur tes genoux“, ein Gedicht der haitianischen Feministin Ida Faubert (1882–1969), genial vertont.

Mittlerweile komponiert sie die Hälfte ihrer Lieder selbst. Einen Grammy in der Disziplin Jazzgesang hat sie auch schon gewonnen. Zu Kopf gestiegen ist ihr der Preis nicht. „Erfolg ist nichts, worüber ich nachdenke.“

Höhepunkte beim Jazzfest

Cécile McLorin Salvant tritt am 9. Juli gemeinsam mit der All-Star-Frauenjazzband The Leading Ladies (u. a. Renee Rosnes, Ingrid Jensen, Anat Cohen) im Arkadenhof des Wiener Rathauses auf (20.30 Uhr). Weitere Höhepunkte beim Jazzfest Wien: Herbie Hancock, Staatsoper (4. Juli), Madeleine Peyroux und Dee Dee Bridgewater, Staatsoper (5. Juli), George Benson, Staatsoper (6. Juli) und Jan Garbarek, Arkadenhof des Wiener Rathauses (8. Juli).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2017)

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