Pop

John Lennon & Yoko Ono: Schnürsenkel für Schubert

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Es war eine denkwürdige Begegnung: John Lennon und Yoko Ono zu Besuch in Wien. Schade, dass der ORF das Band dazu verlor.

"Made a lightenin' trip to Vienna, eating choc'late cake in a bag."
The ballad of John & Yoko (Lennon/McCartney).

Hand in Hand, beide in weißes Leinen gekleidet, kamen sie über die Gangway der KLM-Maschine auf die Journalisten zu und sangen den Donauwalzer. Es war der 31.März 1969, und sie galten als das berühmteste frisch getraute Ehepaar der Welt. Noch am Vortag waren die Bilder ihrer Bed-In genannten Happening-Pressekonferenz aus der Schlafstatt im Amsterdamer Hilton Hotel von TV-Stationen auf allen Kontinenten verbreitet worden. Dann entschieden sie, Wien zu besuchen, um bei der Premiere des Films „Rape“ anwesend zu sein, den die beiden auf Einladung des ORF erdacht und inszeniert hatten. (Eine cineastische Erzählung, in der sie ihr eigenes Pausenlos-von-den-Medien-Gejagtwerden auf eine willkürlich ausgesuchte junge Frau übertrugen, die sie so lange von Kameras verfolgen ließen, bis das Opfer tatsächlich einen massiven Nervenzusammenbruch erlitt.) Im Hotel Sacher bezogen sie die Suite mit der Nummer 101 und kündigten für Punkt 17 Uhr eine Pressekonferenz im roten Salon des ehrwürdigen Hauses an. Die Defregger-Gemälde des Raumes wurden sicherheitshalber demontiert und üppig durch Kartontafeln mit handgeschriebenen Worten wie „bagism“, „peace now!“ oder „grow your hair!“ ersetzt. Internationale Fernsehteams, Fotografen und Radioabgesandte drängten sich in Vorfreude auf irgendetwas, zumindest in Wien nie Dagewesenes, hoffentlich Skandalöses. Ich war, wie schon auf dem Schwechater Flughafen, als Reporter der Ö3-Musicbox vor Ort.


Jetzt huschte ein waberndes Gespenst durch die wartende Meute. Ein ständig die Form wechselndes, stoffumhülltes Gebilde, das sich vor den Kameras und Mikrofonen, kichernde Laute von sich gebend, niederließ. Das Rätsel entschlüsselte sich nach etwa einer Minute, durch die Verlautbarung: „Ladies and Gentlemen, Mr. and Mrs. Lennon naked in a bag“, aber „the bag“ war gar kein Sack, sondern ein profanes Sacher-Leintuch, durch das hindurch die beiden Herrschaften, da ich glücklicherweise direkt neben ihren verdeckten Köpfen postiert war, vor allem meine Fragen beantworteten. Die turbulente und bizarre Szene kann man sich übrigens in der Dokumentation „Imagine“, die nach Johns Ermordung in die Kinos kam, ausführlich zu Gemüte führen. Über Ruhm, Liebe, Geld sprachen wir, und zum Thema Queen fiel eine Bemerkung, die in den nächsten Tagen vor allem in Großbritannien und dem Commonwealth für Schlagzeilen sorgte: „Wir denken fast nie an Elizabeth mit ihrer Krone. Wir haben bereits jetzt mehr Positives für den Frieden getan, als sie jemals zu tun im Stande sein wird.“

Der Spuk fand nach etwa zwanzig Minuten sein Ende, ohne dass irgendjemand die Objekte der Begierde zu Gesicht bekommen hätte, denn sie krabbelten auch nach Abschluss der Audienz im Vollkörperschutz des Leintuchs wieder aus dem Salon, um mit dem Lift auf ihr Stockwerk zu entschweben. Das Ganze war, wie in Österreichs Hauptstadt gesagt wird, eine Mordsdrumpflanzerei und einige von weither angereiste Berichterstatter äußerten schreiend ihren Unmut. Ich stand noch einige Zeit Zigarillo rauchend im Raum, als ein Herr auf mich zukam. Er gab sich als Manager von John Lennon zu erkennen und überraschte mich mit der Mitteilung, dass John und Yoko mich am folgenden Vormittag gerne in ihrer Suite zu einem ausführlichen Gespräch empfangen würden: „You will have breakfast together. They want to have a serious conversation with you. And don't forget to bring your recording equipment.“ „Why me?“, fragte ich. „They liked your questions.“

*****
Das Datum des folgenden Tages war der erste April. Dies machte meine Freunde Alfred Treiber und Richard Goll, die das Recording Equipment handhaben sollten, bezüglich der Seriosität der spektakulären Einladung etwas unsicher. Wie verabredet, klopften wir gegen 9.30 Uhr an die Zimmertür der Suite 101, und als auch nach ins gröbere Pumpern übergegangenem Lärm kein „Herein“ zu hören war, wagten wir es, die Klinke herabzudrücken. Man hatte wundersamerweise nicht abgesperrt. Beim Eintreten riefen wir „Good Morning!“ und „Hello!“, aber nichts und niemand rührte sich. Mittlerweile befanden wir uns im Salon der Suite. Die Tür zum Schlafzimmer stand sperrangelweit offen. Wir traten näher. In einem goldgrünen Rokoko-Bett sahen wir Mr. und Mrs. Lennon in tiefem Schlaf. Das schöne Gesicht von Yoko war von schwarzleuchtenden Haaren umrahmt, und ihre rechte Hand wirkte mit zwei ausgestreckten Fingern, als ob sie gerade im Traum einen Schwur leistete. Er, halb abgedeckt, trug einen blauweißgestreiften Pyjama, wie ein Häftling. Auf dem Nachtkästchen lagen ein Buch des Dichters Allen Ginsberg und darauf die randlose Brille mit den runden Gläsern.

Ich flüsterte zu Alfred Treiber: „Wecken wir sie mit der Bundeshymne.“ Er nickte, und schon intonierten wir „Land der Berge, Land am Strome“. Bei dem Reimwort Dome fuhren die beiden mit Vehemenz in die Höhe. Sie stieß einen schrillen Schrei im japanischen Heimatidiom aus, und er, so banal es uns stets nach unsterblichen Aussprüchen legendärer Figuren Dürstenden heute vielleicht auch anmuten mag, sagte mit belegter Morgenstimme nichts als: „Oh my god!“ Ich erklärte rasch, dass wir die vom Manager zum Frühstück Gebetenen seien. Dann verließen wir, mit einigen Bücklingen, diskret die Schlafzimmertür hinter uns schließend, die Intimsphäre des Paares.


Eine Viertelstunde später brachten zwei Etagenkellner, vorsichtig geschätzt, etwa ein Viertel aller auf der Roomservice-Karte angebotenen Speisen und drapierten diese auf diversen Tischen und Servierwagen. Nach weiteren zehn Minuten erschien das „divine couple“. Nun aßen wir Ham and Eggs, Suppen, Sachertorte, Schnitzel und Porridge, gemischten Aufschnitt, Spaghetti und Obst in anarchischer Reihenfolge. Yoko öffnete bald die Fenster, um den Raum wegen des penetranten Essensgeruchs zu durchlüften. Zunächst ergab sich ein Gespräch über die vom Frühstückstisch aus gut sichtbare Staatsoper und über die Bedeutung der ebenfalls nahen Grafiksammlung Albertina. Yoko wollte daraufhin wissen, wie es um die zeitgenössische Avantgarde der bildenden Kunst in Österreich stehe. John, ob es in Wien eine ähnliche Rotlicht-Meile wie in Hamburg gäbe. Dann baute Richard Goll sein Mikrofon und das Uher-Magnetophon auf und das legendäre, fast eineinhalbstündige Gespräch begann. Legendär ist es für Treiber, Goll und mich deshalb, weil es niemals gesendet wurde, und um die diesbezügliche Schande des ORF ins Chimborazohafte zu steigern, gingen auch im Laufe der Jahre die Tonbänder verloren oder irgendein Nebochant hat sie gelöscht. Aber dies ist eine andere Geschichte.

Soweit ich mich an Details erinnere, ereiferte John sich über Rüstungswahn, den Vietnamkrieg, Gier und die Ausbeutung der Dritten Welt. Er forderte auch mehr Rechte für die Frauen, und ohne Vorwarnung schrie Yoko zwischendurch immer und immer wieder, solange ihr trainierter Atem reichte: „Peeeeaaaaace!“ Ich empfand das Geschehen weitaus weniger ungewöhnlich als etwa die Materialaktionen, die Otto Muehl und Günter Brus, einmal sogar im Keller meines Hietzinger Elternhauses schon Jahre zuvor durchgeführt hatten, aber als John mir eine Fotografie seines Wohnzimmers zeigte, in dem es vom Stuhl bis zur Uhr und vom Klavier bis zum Wandbild ausschließlich sorgfältig halbierte Gegenstände gab, war ich doch beeindruckt. Anschließend halfen Alfred Treiber und ich dem Paar noch beim Kofferpacken, denn für den Nachmittag war ihr Abflug nach London gebucht.

Ich weiß nicht mehr, wie es kam, dass die beiden Liebenden getrennte Limousinen benutzten und John mich einlud, bei ihm einzusteigen, während sein Manager schützend Yoko begleitete. Nun geschah das für mich Unvergessliche: wir fuhren über die Simmeringer Hauptstraße in Richtung Flughafen. Als wir uns dem Zentralfriedhof näherten, erklärte ich, dass hier Franz Schubert, der wohl bedeutendste Liederkomponist vor Lennon/McCartney, liegen würde. „Ich will ihn besuchen“, sagte John. Wir hielten am Tor 2 und liefen, weil die Zeit drängte, durch die Hauptallee bis zu jener Stelle auf der linken Seite, die den Blick auf ein Rondeau mit Ehrengräbern freigibt. Ich deutete auf Schuberts letzte Adresse. John bewegte stumm die Lippen, als würde er zu sich selbst sprechen oder beten. Dann tänzelte er beinahe verlegen über den Kies und suchte mit den Augen die Umgebung ab. Plötzlich gab er mir einen sanften Boxhieb auf die Brust und wiederholte ungläubig die Namen, die im Umkreis von etwa zwanzig Metern an unterschiedlichen Grüften in Marmor gemeißelt waren: „Mozart, Beethoven, Hugo Wolf, Johann Strauß Sohn und Vater, Johannes Brahms, Christoph Willibald Gluck.“ Ich ergänzte: „Ein Stück weiter ist noch die Ruhestätte von Arnold Schönberg.“ „Was für eine aberwitzige Versammlung“, sagte er. „Ja“, antwortete ich, „in musikalischer Hinsicht ist hier am Tag der Auferstehung der Nabel der Welt.“ Dann bückte John sich, zog den Schnürsenkel aus seinem rechten Schuh und legte ihn mit der Bemerkung „statt Blumen“ auf Schuberts Grab. Eine dreiviertel Stunde später enteilte die Maschine mit der Fluxuskünstlerin und dem Beatle über das Rollfeld in den eisgrauen Himmel. Es war John Lennons erster und letzter Besuch in Wien.

Als John Lennon
nach seinem Wien-Besuch Fotografien seiner Sacher-Pressekonferenz erhielt, zeichnete er einige darauf festgehaltene Szenen in ein Skizzenheft. Eine davon, nämlich genau jene von unserem Aufmacherfoto, ist in der linken Spalte in Lennons Version zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.03.2010)

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