James Blake: Mantra mit Humor

Ein 23-jähriger Engländer als Entdeckung des noch jungen Jahres: James Blake macht atemberaubend kühne Musik. Und hat auch schon Feinde in der Branche.

In einer Ära, in der Orakeln zum Handwerk von Journalisten gehört, ist die jährlich im Januar veröffentlichte BBC-Sound-List die Glaskugel, in die die meisten lokalen Trendsetter stieren. Zum Sound von 2011 wurde das konventionell-kitschige Teeniegebrabbel von Jessie J auserkoren, das so gar nicht nach Zukunft klingt. Diese Wahl ist nur deshalb verständlich, weil es in der BBC-List für gewöhnlich nicht um ästhetische Meilensteine geht, sondern darum, Verkaufsaussichten einzuschätzen. Das klappte in den vergangenen Jahren mit Acts von Mika bis Adele mit einiger Treffsicherkeit. So weit, so erwartbar. Doch heuer gab es eine Überraschung. Schon auf Platz zwei des aktuellen Rankings taucht ein Name auf, der zunächst ausschließlich in avantgardistisch ausgerichteten Musikmagazinen wie Wire diskutiert wurde: James Blake.

Der 23-jährige Musiker aus Enfield, Nordlondon, hat auf seinen bislang edierten EPs „Bells Sketch“, „CMYK“ und „Klavierwerke“ eine Fusion von beseelter Melodik und harschen elektronischen Elementen entworfen, die von atemberaubender Kühnheit ist. Nun hat er sein erstes Album fertig. Gerade einmal 38 Minuten dauert es. Angesichts seiner Intensität muss man fast froh sein, dass es nicht länger währt.

Rätselhafter Schmerz. Das schlicht „James Blake“ betitelte Majorlabel-Debüt hebt mit dem unfassbar traurigen „Unluck“ an. Der Gesang, fast von derselben engelsgleichen Majestät wie jener von Antony Hegarty, irrlichtert einsam inmitten von verstörenden elektronischen Geräuschen. Das menschlich Konkrete, seltsam verloren in anorganischen Sounds zwischen rätselhaftem Echo, bedrohlichen Bassfiguren und Vocoder-Schleifgeräuschen. Selten war die Verlorenheit des Individuums in einer technisch stark entwickelten Welt so trefflich in den Rang der Musik erhoben wie hier.
Blake besteht darauf, dass einige seiner düsteren Mantras von Humor gestreift sind. Etwa wenn er als Einzelkind im berührenden „I Never Learnt To Share“ von Geschwistern fantasiert, die er durch seine störrische Art verletzt. Blake versteht es, seine Fiktionen mit echtem inneren Schmerz aufzuladen. Woher der rührt, ist rätselhaft. Aufgewachsen in soliden Verhältnissen (Mutter in der Werbung, Vater Musiker, der mit Leo Sayer und Long John Baldry spielte), begann Blake mit sechs Jahren Klavier zu spielen. In der von ihm besuchten Latymer School wird er umsichtig gefördert.

Klarerweise kam ihm die musikalische Erleuchtung ganz woanders. Zum Ort seiner persönlichen musikalischen Epiphanie wurde das FWD, ein karg eingerichtetes Loch von einem Club, der sich dem wüst tönenden Genre Dubstep verschrieben hat. Zu seinen neuen Idolen erkor sich der damalige Schüler Dub­stepper wie Coki und Mala, deren Sounds gewaltig in die Eingeweide fahren. Blake begann als Dubstep-DJ die britische Insel zu bereisen. In der Einsamkeit langer Bahnfahrten machte er sich Gedanken, die er in seinen Songlyrics umsetzt. Seine erstaunliche Musik kreierte er nicht selten frühmorgens nach DJ-Gigs. Sie reflektiert ein starkes Bedürfnis nach Stille.

Selbstbefriedigung. Blake offeriert anders als seine Dubstep-Idole äußerst zarte Texturen, die von langen Jahren des Hörens von Soul und anspruchsvollem Singer-Songwritertum zeugen. Aus der elektronischen Sphäre borgt er sich einige Techniken, aber nicht die flächendeckende Kühle. Kontrapunktisch zu all den dramaturgisch interessanten Störgeräuschen lässt Blake voller Herzenswärme gesungene Melodien schweben. Blake zelebriert unerschrocken unversöhnliche Gegensätze. Resultat ist eine bipolare Ästhetik, die den ersten Talentescouts von Majorlabels ins Ohr sprang. Sie wollten sie „bloß“ noch von einem Produzenten bearbeiten lassen. Nicht mit James Blake: „Ich will Sounds machen, die ich so noch nicht gehört habe. Die Frage, ob das, was dabei herauskommt, im Radio gut klingt, interessiert mich nicht eine Sekunde. Wenn ich Musik mache, dann muss sie in erster Linie mich selbst befriedigen. Alles andere kommt nachher.“

Viel Feind, viel Ehr. Auf den verqueren Reiz von James Blakes Cover von Leslie Feists „Limit To Your Love“ können sich überraschend viele einigen, von BBC1 bis zum Underground. Der hauchige Song kombiniert die zart zwitschernde Stimme Blakes mit ein paar mysteriösen Echos, dezenten Pianotupfern und elektronischem Knistern. Die Ingredienzien scheinen banal, die Wirkung ist phänomenal. Was auch zu denken gibt, ist die Art, wie erfahrenere Kollegen den Rising-Star James Blake attackieren. 

Geoff Barrow von Portishead witterte offensichtlich sofort einen Fressfeind. Er ätzte: „Wird man sich an diese Dekade erinnern, als jene Ära, in der sich Dub­step und Pubsänger die Hand reichten?“ Chilly Gonzales, Ko-Komponist des Liedes, machte sich bei seinen eigenen Gigs schon lustig über Blake.

Und Feist, die Sängerin des Originals, gibt sich aus Prinzip pampig: „Ich höre mir nie Coverversionen meiner Songs an.“ Viel Feind, viel Ehr. Die Zukunft gehört James Blake.

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