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Ja, Panik: Die besten vorletzten Lieder

(c) Ja, Panik
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Die wichtigsten Strophen kündigt der Sänger von „Ja, Panik“ nur an. Dennoch ist dieser burgenländischen Band im Berliner Exil mit „DMD KIU LIDT“ ein wichtiges Album geglückt.

Lass mich mein seltsames Lied jetzt zu Ende singen. [...] Da kommen noch ein paar Strophen, an denen mir mehr als allem anderen liegt.“ Es kommt kein Wort mehr.

So endet das neue Album von „Ja, Panik“, der 2009 nach Berlin ausgezogenen burgenländischen Band, die so wichtig und gut ist, wie sie sich vorkommt: nämlich sehr wichtig und sehr gut.

Es sind auf diesem Album also „Vorletzte Lieder“, wie Georg Kreisler das einst nannte: Lieder, die gesungen werden, obwohl der Sänger das Gefühl hat, dass sich das Singen eigentlich überholt hat, dass schon alles gesungen ist. Freilich: „Ich weiß, dass es zu früh ist, und ich weiß auch, dass es spät ist“, singt Andreas Spechtl in einem beschwingten, seltsam gut gelaunten, fast verzückten Lied, das „Time Is on My Side“ heißt, genauso wie einst die Rolling-Stones-Nummer. Das macht nichts, diese Band nennt Songs auch frech „Like a Hurricane“ oder „Nevermind“, hier weiß man: Alles, was zählt, ist die Kunst des Zitats; und was gestern gezählt hat, zählt heute nicht mehr.

Wie ein Falco ohne Haargel

Vor allem nicht die Attitüde des „ehrlichen“, „erdigen“ Rock, in dem ein Ich sich unter Getöse „befreit“: Es ist an sich schon eine Leistung, dass diese Band den für seinen Hang zum Wuchtigen bekannten Produzenten Moses Schneider schon zum zweiten Mal dazu gebracht hat, ihr einen dünnen Sound zu schneidern, der zu ihrer nervösen Musik passt, die mehr den unruhigen Geist des Post-Punk atmet als alle Post-Punk-Wiedergänger aus England und Amerika.

Sie klingt so kunstvoll unsicher wie die Texte Spechtls, der noch immer leicht näselnd zwischen Deutsch und Englisch wechselt wie ein Falco ohne Haargel. „Sorry for my bad English, but my German is even worse“, singt er in „Trouble“, in einer Passage, die, wie er selbst erklärt, auf Walter Benjamins tödliche Flucht vor den Nazis anspielt. Aber das muss man nicht wissen.

Oder? Muss man das alles wissen? Jedes Zitat würdigen? Und muss man wissen, was der Albumtitel „DMD KIU LIDT“ bedeutet? Das Geheimnis, das die Band offiziell bewahrt, ist längst offen, es steht für: „Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit.“ Was für eine Rede. Was für eine Ausrede. Der fast eine Viertelstunde lange Song desselben Namens erinnert zugleich an „Desolation Row“ und „Highlands“ von Bob Dylan: „DMD KIU LIDT“ (so gesungen!), dort, in diesen Refrain münden alle neun Strophen des Songs, in dieser fixen Idee von der Verlorenheit auf dem Markt, vom Gefangensein in der Freiheit ist der Erzähler verloren, dem entkommt er nicht, ob er nun in Kairo durchdreht oder in Rio mit Baldrian und Haschisch beruhigt wird, ob er sich allein niederlegt oder eine vom Leben gezeichnete Exgeliebte wieder trifft.

Hallo, zerrissenes Ich!

Mit dieser beginnt er dann im zweiten Teil des Stücks einen irrwitzigen Dialog, der zum hysterischen Monolog wird: „Denn was uns kaputt macht, ist auch etwas, das uns eint“, gellt Spechtl dringlich, als ob es um eine unverzichtbare Erklärung zur Lage der Welt ginge, „denn was uns zerstört, wird uns gleich schon reparieren; unser Schmerz, der darf nicht abfallen in einer Welt in dieser Ordnung.“

Und da kommt es auch schon, das zerrissene Ich, da sind sie, die „atomisierten Einsamkeiten“, doch in Spechtls rasendem Rap, mit seiner brechenden Stimme gewinnen die Phrasen aus den soziologischen Post-post-Proseminaren dieser Generation neues Leben.

Neue Ehrlichkeit? Sind wir doch wieder back in good old Rock-'n'-Roll-Bekenntnislyrik? Berichtet uns Spechtl live aus der Gefühlswetterlage in den Privileged-Poor-Soziotopen von Kreuzkölln? Ja und nein und überhaupt, wir wissen ja: Die letzten Strophen sind gar nicht auf dem Album...

Sehr wohl drauf sind 14 weitere Songs, die Fadesse und Hass, Trauer und Wahnsinn in der Welt, wie sie sich einem nicht reißfesten Ich hier und jetzt vorstellt, einfangen, bündeln und streuen wie kein Album seit Dylans „Blonde on Blonde“. Das ist natürlich übertrieben, und darum passt es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.04.2011)

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