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„Waves Vienna“: Klagelieder und Raserei

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Soap & Skin rührte, Gang of Four glühten vor Zorn: Der erste Abend beim neuen Wiener Popfestival.

War da ein Lächeln? War da eine Träne? Man wusste es nicht. Anja Plaschg alias Soap & Skin, die man bei Konzerten schon weinen und sich zu Boden stürzen gesehen hat, wirkte bei „Waves Vienna“ gelöster und entschlossener als früher: Wenn sie dem Publikum den Rücken zeigte, erschien das nicht so sehr als Ausdruck der Scheu, sondern als bewusster Akt des In-sich-Gehens. Zugleich ging die steirische Bauerntochter, die mit ihrem Debüt „Lovetune for Vacuum“ einen der wichtigsten Pop-Exporte der letzten Jahre schuf, mehr denn je aus sich heraus: Zum furiosen „Marche Funèbre“ schlug sie mit den Händen wild durch die Luft – teils, als wollte sie ihr Ensemble dirigieren, teils als würden der immer heftiger pulsierende Rhythmus und die schrillen Geigenklänge durch ihren Körper fahren.

„Ich sehe die Sonne, sie stirbt“

Songs wie diesen machte das Ensemble – vier Streicher, ein Bläser, eine Background-Sängerin – nicht nur voluminöser, sondern auch eindringlicher. Bei anderen trug der raumfüllende Klang dazu bei, dass sich die bestürzende Intimität, die manche ihrer Auftritte auszeichnete, nicht einstellte. Das machte nichts. Plaschg rührte dennoch. Etwa, wenn sie beim einzigen deutschsprachigen Stück (ihrem verstorbenen Vater gewidmet) mantrahaft wiederholte, eine Made sein zu wollen, um einem geliebten Menschen nahe zu sein, der von ihr gegangen ist. Das nur mit klarem Klavier, ohne das unheimliche Dröhnen von der Festplatte.

Neben neuen Stücken brachte sie zwei Coverversionen: Velvet Undergrounds „Pale Blue Eyes“ und den Achtziger-Hit „Voyage Voyage“, der zum bitteren Klagelied geriet. Als die 21-Jährige in „The Sun“ die Zeile „Ich sehe die Sonne“ und dann „Sie stirbt über uns“ sang, wurde sie mit gelben Licht angestrahlt. Es schien, als würde sie selbst leuchten, ja glühen. Dieser Auftritt untermauerte: Ihr Stern wird das noch länger.

Gang of Four, die großen alten Herren des politischen Post-Punk, glühen über 30 Jahre nach ihrem Debüt „Entertainment!“ (1979) immer noch – vor Zorn. Während US-Newcomerin EMA im Clubschiff ihre Songs über Verlust und Verzweiflung anschwellen ließ, wünschte Gang-of-Four-Sänger Jon King im Flex die Armut schreiend zur Hölle („To Hell with Poverty“). Mit erhobener Faust und fast bis zum Nabel offenen Hemd, zum perfekt gehackten Rhythmus, zur schneidenden Gitarre von Andy Gill. Die Band zeigte sich schärfer, konzentrierter als 2007 beim Donaufestival in Krems, vor allem bei ihren großen alten Songs wie „At Home He's a Tourist“, „Anthrax“ und „Damaged Goods“: Ihr Zorn, ihre Raserei sind zeitlos. holf

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2011)

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