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Salzburger Jazzherbst: In der Küche des uralten Jazz

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Paul Anka und Dionne Warwick boten beim 16. Salzburger Jazzherbst gewohnten Glamour. Doch die große Entdeckung war China Moses, die agile Tochter von Dee Dee Bridgewater, die tief in die Jazzgeschichte blickte.

Ein Verwandlungskünstler: Mit einer rasanten Mischung aus Ohrwürmern und Showbiz-Tricks verwandelte Paul Anka das doch recht reife Festspielhaus-Publikum in einen Schwarm aufgeregter Teenager, die freudig jede seiner Volten mitmachten. Und doch muss man warnen. Seinen ersten Welthit „Diana“ hat Anka mit 15 Jahren geschrieben. 55 Jahre später kämpft er immer noch im wohl wankelmütigsten Gewerbe der Welt ganz vorne mit. Da will er sich keine Zufälle leisten. Das Prinzip der Wiederholung, das zu einem bestimmten Ausmaß jede populäre Musik konstituiert, Anka hat es auf die Spitze getrieben. Im Bewusstsein, dass die Lüge meist bühnenwirksamer ist als alle Authentizität, produziert er die stets gleichen „spontanen“ Einlagen.

Anka: Kuscheln, bis die Fans schnurren

Bei allen Performances findet sich eine Dame, die ihr Idol beschenkt. Anka stimmt dann stets ein Ständchen an, das beinah glaubwürdig improvisiert wirkt. Auch seine Gänge durchs Publikum, für die ein eigener Mikrofonkabelträger hinter ihm herlaufen muss, sind präzise durchchoreografiert. Ein Fanfoto hier, ein Küsschen dort, Kuschelgesten, bis die Fans schnurren. In Salzburg goss Anka frohgemut Jahrzehnte und Ästhetiken zusammen, organisierte mit erstaunlicher Militanz die Affekte der Anwesenden. Rock'n'Roll, Country, Brasil, Schlager und Swing – er hat alles im Programm. Besonders schön waren einmal mehr die großen Schmonzetten wie „My Destiny“ und „Put Your Head On My Shoulder“, die das Gefühl vermitteln sollen, unser aller ereignisarmes Leben könnte eines Tages geigenumflort und glamourös sein. So fuhr Anka mit Illusionsproduktion donnernden Applaus ein.

Warwick: Sünden wider Bacharachs Geist

Das versuchte am Vorabend auch die tapfer ihren einstigen Ruhm verwaltende Dionne Warwick. Doch die Zeit ist an dieser einstmals ersten Burt-Bacharach-Interpretin nicht spurlos vorübergegangen. Mit brüchiger Altersstimme bog und dehnte Warwick die ursprünglich extrem ökonomischen Melodien von Klassikern wie „Walk on by“ und „I Say a Little Prayer“, um am Ende doch noch alle Silben unterzubringen. Die Veränderung der Stimme kann man ihr nicht vorwerfen, eine Sünde wider den Geist Bacharachs war aber die Verwendung von Keyboards, die Streicher und Mundharmonika simulierten. Ihr Brasil-Medley und der Bee-Gees-Song „Heartbreaker“ glückten; Die Sammy-Cahn-Songs ihrer aktuellen CD verkitschte sie mit zu viel Eifer.
Groß hingegen war China Moses, die agile Tochter von Dee Dee Bridgewater. Im Rüschenkleid, auf lebensgefährlich aussehenden High Heels, mit höchst flexibler Intonation führte sie – aufs Terrain des steinalten Blues und R&B. Sie sang Songs, die man nur in völlig zerkratzter und dumpfer Tonqualität kennt, etwa den „Kitchen Song“ von Mamie Smith, in dem es heißt, dass Männer kochen können müssen, um einer Frau zu gefallen. In solchen Momenten verstand man wieder, welche Kraft der Jazz in seiner Anfangszeit hatte, als schnelle Emotion und textliche Pointiertheit zu seinen Wesenszügen gehörten. Aber sie sang auch Neueres, etwa den sozialkritischen „Work Song“ von Oscar Brown Jr. und etliches von Dinah Washington, der lebenslustigen Sängerin, der sie ein ganzes Album gewidmet hat. Dass diese in nur 39 Jahren auf Erden nicht weniger als sieben Ehemänner verbrauchte, bezeichnete Moses übermütig als „gute Schule“.
Highlights waren heuer auch hochkarätige Saxofonisten wie Miguel Zenon, Don Byron und Charles Lloyd. Zenon, angetreten mit dem aus Österreich ausgewanderten Bassisten Hans Glawischnig, begeisterte mit flamboyanten Balladen aus Puerto Rico. Der sich gerne exzentrisch gebende Don Byron erstaunte mit erdigem Funk eines Eddie Harris („Sham Time“) und einer Klarinettenversion von John Coltranes „Giant Steps“. Auf bewährt elegische Weise schwelgte der große Charles Lloyd in Spiritualität – ganz ohne auf die Sandbänke des Esoterischen aufzulaufen. Im gebetsähnlichen „Tagi“ rezitierte er zwar demütig indische Weisheiten, die das Leben am liebsten frei von Verlangen sehen würden; davor aber stimmte er, angetrieben von Pianist Jason Moran, immer wieder schärfere Töne an. Besonders intensiv: Leonard Bernsteins „Somewhere“, von Lloyd durch und durch urban angelegt.
Apropos urban: Jazzherbst-Impresario Johannes Kunz, der 85 % des Festivalbudgets durch Kartenverkauf und Sponsorengelder deckt, fühlt sich vom Gratisfestival „Jazz & City“, das die Stadt Salzburg fast zur gleichen Zeit ausrichtet, kaum gestört. Er registriere sogar eine stimulierende Wirkung, meint er: Das Publikum werde jünger.

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